Italien:Richterin stoppt Melonis Pläne gegen Migranten

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Ministerpräsidentin Giorgia Meloni möchte Einwanderung begrenzen. (Foto: MARCO BERTORELLO/AFP)

Neue Lager, Abschiebehaft ohne Einzelfallprüfung: Italiens Regierung will härtere Regeln für Geflüchtete. Ein Gericht hält das für rechtswidrig. Gleichzeitig verschärft sich der Streit über die Seenotrettung, in dem auch Friedrich Merz und US-Milliardär Musk mitmischen.

Von Marc Beise, Rom

Während weiter Tag für Tag Hunderte von Migrantinnen und Migranten übers Meer nach Italien kommen, wächst der Zorn der Regierung in Rom über jene, die angeblich die Anstrengungen der Regierung untergraben, der Situation Herr zu werden und die - in den Worten von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni - "alles tun, um die illegale Einwanderung zu fördern". Das sind wahlweise Menschenrechtsgruppen und die linke Opposition im Land, aber auch Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland - und neuerdings auch die italienische Justiz.

Das derzeit größte Problem der Regierung ist in der sizilianischen Hafenstadt Catania zu lokalisieren, und für Meloni und ihren migrationsfeindlichen Vize, Verkehrsminister Matteo Salvini, hat es ein Gesicht: das von Iolanda Apostolico, 59 Jahre alt, drei Kinder, Zivilrichterin am Gericht von Catania und dort für Flüchtlingsfragen zuständig. Apostolico hat im konkreten Fall eines 20-jährigen Tunesiers, der wie so viele andere übers Meer Gekommene auf der Insel Lampedusa angelandet war, die verschärften Regeln der Regierung gegen Migranten für rechtswidrig erklärt.

Nach diesen neuen Regeln können Asylbewerber, die aus einem sicheren Drittland kommen und bei denen die Ablehnung des Asylantrags wahrscheinlich ist, ohne Prüfung des Einzelfalls bis zu 18 Monate in Abschiebehaft genommen werden. Dazu sollen in ganz Italien eigens neue Lager errichtet werden, als Containerplätze fernab der Städte oder in geräumten Kasernen. Auf Sizilien gibt es in Pozzallo an der Südküste ein erstes solches Lager, in dem der Tunesier festgehalten wurde.

Der Widerstand gegen Migranten wächst, Kommunen erklären sich für überlastet

Dieses Vorgehen, befand die Kammer in Catania unter dem Vorsitz von Richterin Apostolico, sei ein Verstoß gegen europäische Vorschriften und gegen die italienische Verfassung. Niemandem könne eine individuelle Prüfung seines Falls vorenthalten werden, und niemand dürfe, bis das geschehen sei, in haftähnliche Verwahrung genommen werden. Ferner erklärte das Gericht eine andere Regelung für rechtswidrig, wonach Betroffene gegen die Zahlung einer Kaution von knapp 5000 Euro freikommen können.

Anschließend wurden der Kläger und weitere Inhaftierte aus dem Lager Pozzallo entlassen. Damit steht die Regierung vor dem Scherbenhaufen ihrer jüngsten Maßnahmen, mit denen sie versucht, die Zahl der nach Italien Flüchtenden zu begrenzen. Insgesamt sind es dieses Jahr schon mehr als 130 000 Menschen und damit doppelt so viele wie im Vorjahr. Wie auch in Deutschland und anderen Ländern wächst der Widerstand unter anderem der Kommunen, die sich für überlastet erklären. Die drei rechten Parteien, die die Regierung bilden, hatten im Wahlkampf scharf Stellung gegen Migranten bezogen und versprochen, das Problem schnell zu lösen.

Migranten warten in einem Lager auf Lampedusa. Insgesamt sind dieses Jahr schon mehr als 130 000 Menschen nach Italien gekommen - mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. (Foto: Yara Nardi/Reuters)

Entsprechend heftig sind jetzt die Reaktionen aus dem Regierungslager auf das Gerichtsurteil in Catania. Meloni griff die Richterin für dieses "unglaubliche" Urteil persönlich an, andere Rechtspolitiker taten es ihr gleich. Verschiedene Richtervereinigungen solidarisierten sich mit Apostolico, die als zurückhaltend und seriös beschrieben wird und nach Medienberichten bisher nicht durch politisierte Urteile aufgefallen sei. Sie selbst äußerte sich seitdem öffentlich nicht und schloss sogar ihren Facebook-Account. Gegenüber ihren Mitarbeitern sagte sie nach einem Bericht der Zeitung Corriere della Sera, ihre Entscheidung sei keineswegs politisch zu verstehen, sondern auf der Grundlage des Gesetzes getroffen worden.

Für Melonis Koalition ist das Urteil ein Grund mehr, die geplante und sehr umstrittene Justizreform voranzutreiben, mit der sie die Rechte der Justiz beschneiden will. Die Regierung kündigte außerdem an, umgehend in Berufung zu gehen.

Der Unmut der italienischen Regierung über Deutschland ist groß

Der Fall ist nur ein weiteres Puzzlestück zahlloser Probleme, mit der die Regierung derzeit zu kämpfen hat - genau zehn Jahre nach der Tragödie von Lampedusa, der am 3. Oktober gedacht wurde. An diesem Tag im Jahr 2013 geriet ein überbesetztes Fischerboot vor der Insel in Brand, 368 Bootsflüchtlinge verbannten und ertranken. Das Ereignis machte damals weltweit Schlagzeilen, der sozialdemokratische Regierungschef Enrico Letta rief die "Operation Mare Nostrum" ins Leben, mit der Zehntausende auf See gerettet wurden; später wurde daraus eine europäische Aktion.

Heute ist der Unmut der italienischen Regierung über Deutschland groß, dass dieses private Rettungsorganisationen finanziell unterstützt, die mit Schiffen Bootsflüchtlinge aufnehmen. Das sei ein extrem unfreundlicher Akt und eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Italiens, bekräftigte Meloni am Wochenende wieder, und auch Salvini und sogar der meist diplomatisch auftretende Außenminister Antonio Tajani sind nachhaltig empört. Sie verweisen darauf, dass diese Maßnahme selbst in Deutschland zunehmend umstritten sei.

In der Tat haben sich zuletzt Politiker wie CDU-Parteichef Friedrich Merz, aber auch der frühere Spitzenpolitiker Wolfgang Schäuble kritisch geäußert. Merz übernahm die italienische Argumentation, wonach die Anwesenheit der Rettungsschiffe potentielle Migranten dazu verleite, sich auf die gefährliche Überfahrt zu begeben. Es ist allerdings nachgewiesen, dass 90 bis 95 Prozent der Flüchtenden nicht von den privaten Booten, sondern von der italienischen Küstenwache und der Guardia di Finanza aufgenommen werden oder es aus eigener Kraft an die Strände Italiens schaffen. Die deutschen Hilfsschiffe brachten in diesem Jahr bis Ende September 2720 Gerettete in italienische Häfen, wie der Datenforscher Matteo Villa vom Mailänder Institut für Studien internationaler Politik errechnete. Das waren lediglich zwei Prozent der Gesamtankünfte.

Trotzdem sagte Merz zuletzt, "Flüchtlinge aufzunehmen und auf Lampedusa aussteigen zu lassen", das sei "leider - ob gewollt oder nicht - ein Teil des Konzepts der Schlepperbanden". Merz berichtete, Tajani habe sich erst jüngst bei ihm beschwert, dass aus dem Bundeshaushalt Geld an diese Organisationen überwiesen würde. "Ich kann den Ärger verstehen", sagte der CDU-Politiker.

Auch US-Milliardär Elon Musk hat sich über seine Internetplattform X eingeschaltet und kritisiert die deutsche Regierung heftig. Wenn Deutschland eine große Zahl "illegaler Einwanderer" auf italienischen Boden transportiere, habe das "Invasions-Vibes". Auch Lega-Chef Salvini hatte bereits von einer Invasion Italiens gesprochen und von einer kriegsähnlichen Situation.

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