Italien:Die Lücken und Tücken in Melonis Albanien-Deal

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Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama geben am Montag in Rom ihre migrationspolitische Kooperation bekannt. (Foto: Tiziana Fabi/AFP)

Italiens Premierministerin Meloni erntet mit ihrem Plan für ein Aufnahmezentrum an der albanischen Küste europaweit Aufmerksamkeit. Aber das Projekt ist hochproblematisch.

Von Marc Beise, Rom

Am Ende der Woche, in der Italiens Premierministerin Giorgia Meloni ihren migrationspolitischen Scoop gelandet hat, lichtet sich langsam der Nebel. Viel Aufsehen hat ihre albanische Initiative erregt, aber siehe da: Sie birgt auch viele Unsicherheiten.

Meloni hatte am Montag in Rom zusammen mit Albaniens Regierungschef Edi Rama eine Absichtserklärung unterzeichnet, der zufolge sein Land ein Ankunftszentrum und ein Flüchtlingslager für Bootsflüchtlinge bauen wird. 3000 auf dem Mittelmeer aufgegriffene Menschen sollen dort Platz finden. Italien übernimmt für die Dauer des zunächst auf fünf Jahre angelegten Projekts alle laufenden Kosten und zahlt zusätzlich jährlich 16,5 Millionen Euro. Damit aber hören die Gewissheiten auch schon auf.

Die Opposition spricht von einem "italienischen Guantanamo"

Schon die Entstehung des Deals ist ungewöhnlich. Die Rechtsaußen-Politikerin Meloni und der Sozialist Rama haben das Projekt offensichtlich bei einem privaten Treffen im Sommer erwogen und seitdem im Geheimen vorangetrieben. Die beiden verstehen sich erkennbar bestens, Rama äußert sich regelrecht überschwänglich über Meloni. Dass sie im August während ihres recht kurzen Urlaubs in einem streng abgeriegelten Feriendomizil in Apulien mit der Familie zu einem Ausflug per Schiff nach Albanien aufbrach, wo Rama sie in seine Sommervilla eingeladen hatte, war seinerzeit viel beachtet worden. Der Zweck der Reise wurde aber nicht ganz klar. Jetzt kennt man ihn.

Die in Albanien geschmiedeten Pläne und die folgenden Vorbereitungen blieben womöglich nicht nur der Öffentlichkeit verborgen. Auch die beiden Koalitionspartner Melonis schienen nicht vollständig eingeweiht zu sein, jedenfalls äußern sie sich ziemlich reserviert. Heftige Ablehnung kommt aus den Reihen der Opposition, die von einem "italienischen Guantanamo" spricht und harte Gegenwehr im Parlament ankündigt. Auch in Albanien wächst der Widerstand, und im Europaparlament wenden sich die Sozialisten gegen ihren Parteifreund Rama.

In anderen europäischen Ländern und in den Brüsseler EU-Gremien dagegen wird die Initiative bisher positiv gesehen, weil darin eine mögliche Lösung des Migrationsproblems zu liegen scheint. Allerdings, so zeigt sich nun, ist das Verfahren kompliziert.

Die Aufgegriffenen müssten auf hoher See sortiert werden

Das Problem beginnt schon auf dem Mittelmeer. Das neue Empfangszentrum im Hafen von Shëngjin ganz im Norden von Albanien und ein Lager in Gjader, wenige Kilometer im Landesinneren, sollen ausdrücklich nur Geflüchtete aufnehmen, die von der italienischen Marine auf See aufgegriffen werden. Das sind etwa die Hälfte jener Menschen, die den gefährlichen Weg übers Mittelmeer nach Italien suchen. Die anderen werden von privaten Rettungsschiffen geborgen oder gelangen selbständig an Land, zum Beispiel auf der zwischen Tunesien und Sizilien gelegenen italienischen Insel Lampedusa.

150 000 Migranten sind seit Januar bereits auf dem Seeweg nach Italien gekommen, im gesamten vergangenen Jahr waren es nur 88 000. Die hohe Zahl an Ankömmlingen und die Probleme bei ihrer Versorgung in Italien setzen die Regierung unter Druck, zumal ihre Köpfe im Wahlkampf lauthals versprochen hatten, das Problem rasch zu lösen.

Meloni hat am Montag mitgeteilt, dass Minderjährige, Frauen und besonders schutzbedürftige Personen nicht nach Albanien gebracht werden sollen, sondern nur volljährige Männer. Die Aufgegriffenen müssten also auf hoher See sortiert werden. Fragt sich, wie das gehen soll. Allein schon das genaue Alter der meist jungen Männer festzustellen, dürfte schwierig sein. Nächstes Problem: die Kapazität. In den Lagern können sich laut Abkommen maximal 3000 Migranten gleichzeitig aufhalten. Das rechnet Meloni hoch auf 36 000 - so viele Menschen glaubt sie jährlich nach Albanien auslagern zu können. Dafür müsste jedes Verfahren binnen Monatsfrist abgeschlossen sein. Das ist ambitioniert.

Die Umsetzung ist alles andere als unkompliziert

Auf albanischem Boden muss sodann die Nationalität der aufgegriffenen Männer ermittelt werden: Wer kommt aus einem als sicher deklarierten Herkunftsland, wer aus einem unsicheren? Letztere dürfen nach italienischem Recht nicht inhaftiert werden, müssten also unverzüglich nach Italien gebracht werden, wo ihr Asylantrag bearbeitet wird. Wer im Lager Gjader verbleibt, hat natürlich Anspruch auf ein rechtssicheres Verfahren. Zuständig sind Verwaltungsbeamte, Anwälte und Richter, vermutlich im italienischen Bari, sie müssten dann wohl nach Albanien reisen.

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Das Abkommen hält außerdem fest, dass Migranten sich in Albanien nicht frei bewegen dürfen. Sollte ein Gericht die Freilassung eines Migranten verfügen, müsste dieser unverzüglich nach Italien gebracht werden. Und in jenen Fällen, in denen eine Ausweisung verfügt wird, ist noch sehr die Frage, ob diese auch gelingt. Bekanntlich scheitern viele Rückführungen - auch aus anderen Ländern wie Deutschland - daran, dass kein Land die Ausgewiesenen aufnehmen will.

Nur eines ist nahezu sicher: Sollten die albanischen Einrichtungen tatsächlich wie geplant im Frühjahr 2024 zu arbeiten beginnen, wird es einen regen Verkehr zwischen beiden Ländern geben.

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