Migration:Ruanda an der Adria

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"Historischer Wendepunkt": Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Albaniens Premier Edi Rama nach Unterzeichnung der Asylvereinbarung in Rom. (Foto: Roberto Monaldo/AP)

Zwei Aufnahmezentren für 40 000 Bootsflüchtlinge in Albanien - wie Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni die Migrationspolitik der EU umkrempeln will.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist erklärtermaßen eine Anhängerin des Ruanda-Modells, das in Deutschland nun diskutiert wird. Die Idee dahinter: Migranten von der Flucht nach Europa abzuschrecken, indem man ihnen in Aussicht stellt, dass sie zur Abwicklung ihrer Asylverfahren in einen sogenannten Drittstaat außerhalb Europas gebracht werden. Melonis persönliches Ruanda sollte ursprünglich Tunesien sein, aber Präsident Kais Saied sagte Nein trotz freundschaftlicher Bande zu der Italienerin. Die schmutzige Arbeit für Europa zu erledigen, sei des tunesischen Volkes unwürdig. Nun hat Meloni eine andere Lösung gefunden: Albanien, auf der anderen Seite der Adria gelegen.

Italiens Regierung will dort zwei Aufnahmezentren für Migranten bauen und in eigener Regie betreiben. Meloni und Albaniens Regierungschef Edi Rama unterzeichneten in Rom eine entsprechende Absichtserklärung. Die Grundlage dafür hatten sie bei einem Urlaubstreffen im August gelegt. In den beiden Lagern sollen Aufnahmeanträge möglichst innerhalb von 28 Tagen geprüft und schnelle Rückführungen in die Herkunftsländer ermöglicht werden. Die Zentren gehen den Plänen zufolge bereits im Frühjahr 2024 in Betrieb, sie würden pro Jahr insgesamt Platz für knapp 40 000 geflüchtete Menschen bieten.

Ob die Übereinkunft mit europäischem Recht vereinbar ist, wird nun debattiert werden

Es handele sich um einen "historischen Wendepunkt nicht nur für Italien, sondern für die gesamte Europäische Union", ließ Giorgia Meloni verlauten. Erstmals hat sich ein Drittstaat bereit erklärt, einem EU-Land bei der Abwicklung von Asylverfahren zu helfen. Allerdings handelt es sich nicht um ein fernes afrikanisches Land, sondern um einen EU-Beitrittskandidaten, der Italien freundschaftlich verbunden ist. Was genau dieser angeblich historische Pakt bedeutet und ob er mit europäischem Recht vereinbar ist, darüber wird nun debattiert werden.

Die Regelung, so hieß es in Rom, gelte nicht für Migranten, die an den italienischen Küsten oder in italienischen Gewässern ankommen. Vielmehr gehe es um Menschen, die von italienischen Schiffen im zentralen Mittelmeer außerhalb italienischer Gewässer aufgegriffen werden. Die Reise nach Albanien soll Minderjährigen, Schwangeren und schutzbedürftigen Personen erspart bleiben. Der große Rest wird den Plänen zufolge in den albanischen Hafen von Shëngjin und von dort in das nahe gelegene Gjadër gebracht. Albanische Beamte, so hieß es, sollen bei der Überwachung der Lager helfen, aber Betreiber sei der italienische Staat. Alle internationalen Regeln würden beachtet, versichert Meloni.

Die Asylrechtsreform, die gerade zwischen den EU-Institutionen verhandelt wird, sieht Asyl-Schnellverfahren in großen Lagern an den EU-Außengrenzen vor, was allerdings bedeutet: innerhalb der EU-Grenzen. Bis zu den Europawahlen im Juni 2024 sollen die neuen Regeln verabschiedet sein. Mit der Ruanda- und nun der Albanien-Debatte stellen die Mitgliedstaaten aber das angestrebte EU-Gesetzgebungsverfahren infrage, noch ehe es verabschiedet ist. Die EU-Kommission tat sich am Dienstag denn auch schwer, die rechtlichen Fragen des Italien-Albanien-Deals zu beantworten. Man brauche mehr Details dazu, hieß es.

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:Ruanda wird's nicht richten

Asylverfahren in Afrika - ach, wie klingt das zielführend und gewinnbringend. Für Deutschland zumindest. Tatsächlich aber wirft diese Idee nur Fragen auf, löst aber kein Problem.

Kommentar von Josef Kelnberger

Die für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson hatte in der Vergangenheit erklärt, sie halte das von Großbritannien und auch Dänemark angestrebte Ruanda-Modell für "komplett unrealistisch" und für ein "Verbrechen gegen Menschenrechte". Sie ließ erkennen, dass sie es für einen Verstoß gegen EU-Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention hält, in Europa angekommene Flüchtlinge nach Afrika zu schicken und die Verfahren dorthin auszulagern. Nun gilt es zu klären, was der Deal mit einem EU-Beitrittskandidaten wie Albanien bedeutet, zumal, wenn die Verfahren in der Hand eines EU-Staates bleiben. Die große Frage, die bisher niemand beantworten kann: Will Italien den nach Albanien verfrachteten Menschen wirklich vollumfänglich das europäische Asylrecht gewähren, obwohl sie streng genommen außerhalb der EU-Grenzen aufgegriffen wurden?

Die Opposition in Rom prophezeite, in Albanien werde ein "italienisches Guantanamo" entstehen. Giorgia Meloni selbst rühmte sich dagegen für einen unbürokratischen Deal, der viele Migranten erst einmal von italienischem Boden fernhält. Und profitieren dürfte auch der albanische Premierminister Rama. Die Opposition in Albanien rügt ihn zwar dafür, dass er afrikanische Migranten ins Land bringt. Aber Albanien erhält sehr viel Geld und rückt auch näher an die Europäische Union heran. In Meloni hat Rama jedenfalls nun eine große Fürsprecherin, was den EU-Beitritt betrifft. "Nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten beweist Albanien seine volle europäische Reife", ließ Meloni schon am Dienstag verbreiten. Albanien sei dem üblichen Tempo der EU-Bürokratie weit voraus.

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