Italien:Von Zelten und Palästen

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In Mailand hat es begonnen, mittlerweile gibt es Zeltproteste im ganzen Land. Im Bild der Campus der Polytechnischen Universität. (Foto: Luca Bruno/AP)

Italiens akademische Jugend begehrt auf: Heute können sie die Miete nicht zahlen, morgen suchen sie nach ordentlich bezahlten Jobs - auch das oft vergeblich.

Von Marc Beise, Rom

Dass Studenten in Zelten vor den Uni-Gebäuden kampieren, um auf vergebliche Wohnungssuche hinzuweisen, ist nicht ganz neu. In Rom allerdings kontrastiert dieses Bild besonders auffällig zu den altherrschaftlichen Gebäuden, in denen jene residieren, deren Aufgabe es wäre, die Situation der jungen Menschen zu verbessern. Die zuständigen Ministerinnen und Minister arbeiten häufig hinter kunstvollen Fassaden und Portiken.

Die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni führt das Land vom Palazzo Chigi aus, einem beeindruckenden Gebäude in der Mitte der Stadt, in unmittelbarer Nachbarschaft des monumentalen Hauses des Parlaments, des Palazzo Montecitorio. Und junge Menschen können sich in der Hauptstadt Rom und in anderen Universitätsstädten des Landes nicht einmal ein Zimmer leisten. Zwischen Zelten und Palästen bewegt sich gerade die Sozialpolitik Italiens.

Es sind nicht nur ein paar Zelte vor dem Hauptgebäude der Sapienza in Rom, sie stehen auch in Mailand und Turin, Florenz und Perugia und sogar in Cagliari auf der Insel Sardinien. So hatte sich das Ilaria Lamera gar nicht gedacht, die 23-jährige Studentin aus der Nähe von Bergamo, die von der Zimmersuche in Mailand so genervt war, dass sie einfach ein Zelt auf der Piazza Leonardo da Vinci aufschlug. Und wie es manchmal so geht, bekam der kleine Anlass eine große Wirkung. Die Medien sind voll von Erfahrungsberichten, die sich gleichen: 700 Euro und mehr, das muss man in den großen Städten hinlegen, um eine Unterkunft zu finden, wenn überhaupt.

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Es gibt weitere Initiativen und Aufrufe, das verfehlt seine Wirkung nicht. Universitätsverwaltungen und Kommunen reagieren, sie planen die Bereitstellung von Betten in Kasernen und prüfen die Umwidmung von Airbnb-Wohnungen. In Rom äußerte Universitätsministerin Anna Maria Bernini Verständnis, allerdings musste sie zunächst ihren Kollegen, Unterrichtsminister Giuseppe Valditara, in die Schranken weisen, der die Wohnungsnot flugs zu einem Problem mittelinks regierter Kommunen erklärte.

Das ist natürlich Unsinn, wie Bernini dem Kollegen auch beschied, denn das Problem ist ganz offensichtlich allgegenwärtig, und es ist keineswegs punktuell: Italiens Studenten finden ja nicht nur keinen bezahlbaren Wohnraum, sie finden auch keine angemessen bezahlten Praktikumsplätze, und später werden sie keine Jobs finden, jedenfalls keine ordentlich bezahlten. Immer mehr von ihnen gehen zum Arbeiten ins europäische Ausland, ein verhängnisvoller "Brain drain".

All das ist natürlich bekannt in Italien, aber angesichts der kleinen Zeltstädte vor den Hochschulen kommt die Regierung ins Rotieren. Einiges geht plötzlich ganz schnell. So wurden erste Mittel bewilligt für den Bau von Studentenwohnungen, und in Rekordzeit wurde die notwendige Genehmigung der Brüsseler Kommission für 660 Millionen Euro aus dem Nationalen Wiederaufbauplan eingeholt, um weiteren Wohnraum zu schaffen. Und auch über die Wohnungspolitik insgesamt wird wieder diskutiert. Hat alles begonnen vor wenigen Tagen mit dem kleinen Zelt der Ilaria Lamera in Mailand.

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