Kinderlosigkeit:Italien gehen die Babys aus

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2050 in Italien: Das letzte Baby wird geboren. Zumindest, wenn es nach dem Werbespot eines Babybrei-Herstellers geht. (Foto: Plasmon)

Ausgerechnet die kindervernarrten Südeuropäer begehen gerade "demografischen Selbstmord". Das ist für alle ein Debakel - vor allem aber für die Hersteller von Babybrei.

Von Ulrike Sauer, Rom

Man stelle sich vor, die Italiener sterben aus und alle gucken weg. Erst werden die Geburten immer seltener, dann nehmen die Beerdigungen krass zu. Irgendwann machen auch die letzten Kreißsäle und Kitas dicht. Diese Horrorvision benötigt nicht viel Fantasie. Sie bahnt sich längst als krude Realität an. In Genua, der Stadt in Europa mit der ältesten Bevölkerung, sterben heute drei Mal so viele Menschen, wie Säuglinge auf die Welt kommen. Auf zwei Läden für Babyausstattung der Marke Prénatal kommen 15 Supermärkte zur Versorgung von Haustieren.

Was passiert, wenn das so weitergeht, hat sich der italienische Marktführer für Babynahrung ausgemalt: 2050 kommt in Italien das letzte Kind auf die Welt. Es heißt Adamo.

Der Hersteller Plasmon, 1902 in Mailand gegründet, erzählt in dem Kurzfilm "Adamo - eine wahre Geschichte aus der Zukunft" davon, wie ein junges Paar zum allerletzten Mal in Italien Nachwuchs bekommt. Acht Minuten lang zeigt er ein Land, in dem die Entscheidung für ein Kind buchstäblich zum Einzelfall geworden ist. Ein Land, in dem Adam ohne Spielgefährten aufwächst. Seinem Namensgenossen wird es nicht anders ergangen sein. Was mit Adam anfing, geht in Italien mit Adam zu Ende.

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So überspitzt der Plot daherkommt, so real sind die Gefahren der demografischen Falle, in die Italien vor 50 Jahren getappt ist. Noch schlimmer aber ist: Teilnahmslos schaut das ehemals kindervernarrte Land dem "demografischen Selbstmord" zu, vor dem die Fachleute seit Jahrzehnten warnen. Plasmon macht da, aus nachvollziehbaren Gründen, eine Ausnahme. Im Jahr 1983 befragte das besorgte Unternehmen einen Statistiker, ob eine Umkehr des Trends in Italien möglich sei. Der Experte verneinte und ermunterte den Hersteller, seine Diversifizierung ins Geschäft mit gesunder Erwachsenenkost voranzutreiben.

Nun hat sich der Kinderschwund so dramatisch verschärft, dass Plasmon 40 Jahre später mit einer Provokation in die Öffentlichkeit geht. 2022 kamen in Italien erstmals weniger als 400 000 Kinder auf die Welt. Die Geburten gingen in einem Jahrzehnt um ein Viertel zurück. Die Bevölkerung schrumpfte in sieben Jahren von knapp 61 Millionen Menschen auf weniger als 59 Millionen Einwohner. Die Vereinten Nationen erwarten in ihrem jüngsten Bericht, dass die Zahl der Italiener bis 2060 auf 36,9 Millionen fallen wird.

Genau diese Entwicklung war bereits vor 20 Jahren vom französischen Soziologen Henri Mendras kommentiert worden. "Kein Volk kann so ein Trauma verkraften", schrieb er. Und: Der "Harakiri der italienischen Zivilisation" würde das Gleichgewicht in Europa erschüttern. Die wirtschaftlichen Folgen der Geburtenkrise sind beklemmend: Gibt es heute 36 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, so werden es in 30 Jahren nur 27 Millionen sein. Italiens Wirtschaftsleistung wird im Jahr 2070 allein durch den demografischen Wandel um 32 Prozent zurückgehen, warnt das römische Statistikamt Istat.

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Logisch, dass sich das Debakel beim Hersteller von Babybrei früher bemerkbar macht. Mit dem Film stellte Plasmon die digitale Plattform "Adamo 2050" zur Unterstützung der Elternschaft in Italien vor. "Das Projekt soll Unternehmen und Institutionen an einen Tisch bringen", sagte Marketingchef Francesco Meschieri.

Zur Premiere in Mailand war auch die Ministerin für Familie und Geburten, Eugenia Roccella, angereist. Ihre Antwort auf die sinkende Geburtenrate: "Wir denken an begleitende Maßnahmen für Mütter, an ein Netz von Diensten, an Nachbarschaftshilfe und an einen Ethikkodex für Unternehmen." Es gehe um konkrete Initiativen, die ein neues kulturelles Klima für Familien schaffen könnten. Ganz konkret war der Regierung von Giorgia Meloni in ihrem ersten Haushaltsgesetz aber etwas Anderes wichtiger: neue Frührenten, ein Inflationsausgleich für Ruheständler, Steuersenkungen für Selbständige. Solche Sachen.

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