Italien:Wie ein Schlag ins Gesicht

Italien: Ornela Casassa beklagt in einem Video ihre Bezahlung

Die Bauingenieurin Ornela Casassa ging mit einem Video viral, in dem sie sagt, sie sei nicht bereit, einen Job für 750 Euro Nettogehalt zu akzeptieren.

(Foto: Screenshot Youtube)

750 Euro für den ersten qualifizierten Job: Wie das Video einer jungen Ingenieurin aus Genua eine Debatte über die katastrophale Bezahlung der italienischen Jugend auslöst.

Von Marc Beise

Eine junge Frau redet sich vor laufender Handy-Kamera in Rage, und das Video rast durchs Internet. Es hatte binnen Stunden mehr als 1,5 Millionen Aufrufe allein auf Tiktok, 120 000 Likes und mehr als 2000 Kommentare. Da hat jemand einen Nerv getroffen.

Dabei hat Ornela Casassa, 28, aus Genua bei einem politischen Stammtisch einfach von ihrem Einstieg ins Berufsleben erzählt, engagiert, lebhaft, aber auch zunehmend erbost. Casassa ist Ingenieurin, das sollte für gute Jobchancen reichen, in Italien, in Deutschland, eigentlich überall. Gut, der Start ist gelegentlich etwas holprig, die erste Stelle häufig die schwierigste. Da muss man schon mal ein schlecht bezahltes Praktikum übernehmen, um sich überhaupt bekannt zu machen. Aber dann kommt die Festanstellung, und schon ist man drin im System, das ist die Idee.

Nur leider klappt das häufig nicht so, in Deutschland nicht und schon gar nicht in Italien, wo junge Menschen in vielen Branchen katastrophal bezahlt werden, - und eben auch nicht bei Ornela Casassa. Nach sechs Monaten bot man ihr wie erhofft eine Festanstellung an - für 900 Euro brutto, 750 netto. "Nur 150 Euro mehr als das Praktikum. Für mich war es ein Schlag ins Gesicht", empört sie sich im Video.

Wie schwer das Problem ist, wie groß der Leidensdruck, zeigt die Reaktion. Das eher durchschnittliche Video war das große Thema am Wochenende. Der greise Ex-Premier Silvio Berlusconi und Partner der neuen Meloni-Regierung wurde am Abend in einem Fernsehinterview befragt, und natürlich waren die 750 Euro ein Thema. Seine Antwort, sinngemäß: An mir liegt es nicht. Aber woran dann? An der aktuellen Koalition auch nicht, denn es ist ein altes Thema. Seit Jahren klagen die Medien, dass Italien seine Jugend vergessen hat, immer mehr junge Menschen verlassen das Land, um zum Beispiel im kalten Deutschland besser zu verdienen. Allerdings hat die Regierung bisher auch keinen überzeugenden Plan vorgelegt, was sie ändern will.

Ornela Casassa sieht niedrige Beweggründe. "Leider gehen die Arbeitgeber so vor in der Hoffnung, dass der Arbeitnehmer akzeptiert, weil es nur den einen Job gibt. Sie leben in dem Glauben, dass das Anbieten eines Arbeitsplatzes ein Gefallen ist. Sie nutzen es aus", sagte sie. Tatsache ist aber auch, dass sich der Niedriglohnsektor bereits seit Ende der 1980er-Jahre weltweit stark ausweitet. Gründe sind der Wettbewerb, die internationale Arbeitsteilung, die Globalisierung.

Ornela Casassa hatte das unmoralische Angebot zunächst angenommen. Aber als die versprochenen bescheidenen Gehaltssprünge nicht kamen, kündigte sie. Sie hatte das Glück, in einem sehr spezialisierten Bereich zu arbeiten und einen anderen Job zu finden. Doch sie selbst sagt, eine ausreichend bezahlte Arbeit zu finden, sollte kein Glück sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Glück ist vielleicht auch ein anderer Umstand, der in Italien verbreitet ist: "Ich habe eine Familie, ein Haus, einen Partner, ich habe keine Kinder zu ernähren und ich wäre nie auf der Straße gelandet."

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