Indien:Modis Mondpolitik

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"Wann immer die Inder eine Mission durchführen, sind sie meistens spitze": Livestream der Mondlandung von "Chandrayaan-3" in dieser Woche in einem Saal der Gujarat Science City im indischen Ahmedabad. (Foto: Amit Dave/Reuters)

Der Triumph der schwierigen Landung am Südpol beflügelt den Nationalstolz auf dem Subkontinent. Warum die Raumfahrt für Indien immer wichtiger wird.

Von Arne Perras

Ein europäischer Diplomat hat es einmal so formuliert: "Wann immer die Inder eine Mission durchführen, sind sie meistens spitze. Aber im Alltagsmodus, wenn es um die Mühsal der Ebene geht - da bin ich nicht so sicher." Zumindest für die erste Hälfte der Einschätzung hat das bevölkerungsreichste Land der Welt in dieser Woche einen eindrücklichen Beleg geliefert: Indien landete seine unbemannte Sonde Chandrayaan-3 auf dem schwer zugänglichen Südpol des Mondes. Berge des ewigen Lichts haben Mondforscher einst die gebirgige Kraterlandschaft genannt. Ein kleiner Rover namens Pragyan (Weisheit in Sanskrit) erkundet dort seither die Oberfläche, sammelt Daten in einem extraterrestrischen Terrain, an das noch nie jemand zuvor herangekommen ist.

Die Riesennation, ja die ganze Welt, blickt auf den Triumph indischer Raumfahrttechnik. Und das ist - abgesehen vom generellen Gewinn für Wissenschaft und Technik - auch ein Booster für den indischen Nationalstolz. In Zeitungen und Fernsehsendern wurde diese Befindlichkeit immer und immer wieder in einen einzelnen Satz gegossen: "India is over the Moon." Ein Land, ergriffen von größter Glückseligkeit.

Den Erfolg der Mission Chandrayaan-3 hat sich Indien durch Fleiß und technische Expertise hart erarbeitet. Politisch bedeutsam ist er, weil er zum einen den Großmachtanspruch Indiens untermauert. Zum anderen zählt die Landung aber auch zu jenen - eher seltenen -Ereignissen, die ein großes Maß an Einigkeit erzeugen. Der Blick ins All lenkt ab von der irdischen Zerrissenheit, die Indiens Gesellschaft plagt.

Da ist die immense Arbeitslosigkeit, die Millionen Inder - und deren Familien - drückt. Indien ist ein dynamisches Land, aber bisher reicht das Wachstum nicht aus, um alle mitzunehmen in eine bessere Zukunft. Hinzu kommt der Klimawandel, mit seinen extremen Wetterphänomenen. Er erschwert zusehends das Leben auf einem Subkontinent, der schon ohne die Erderwärmung mit erheblichen Wetterrisiken durch den Monsun zu kämpfen hatte. Und da sind schließlich jene Verwerfungen, die mit dem Aufstieg des Hindu-Nationalismus zu tun haben. Die politisch forcierte Dominanz der Hindu-Mehrheit stößt religiöse Minderheiten vor den Kopf, allen voran die Muslime. Spannungen zwischen den Religionen haben eine lange Geschichte in Indien. Aber unter der hindu-nationalistischen Regierung von Premier Narendra Modi haben sie enorm zugenommen. Hindu-Eiferer fühlen sich seit Jahren ermuntert. Sie kämpfen für einen Staat, der mit den pluralistischen Prinzipien des säkularen Gemeinwesens nichts mehr zu tun hat, als das die Republik Indien gegründet wurde. Sie wollen eine Hindu-Nation.

Das alles ist jetzt für einen kurzen Moment ausgeblendet. Für den Erfolg von Chandrayaan-3 haben Muslime in Moscheen gebetet, Hindus und Sikhs in Tempeln, Christen in Kirchen. Es waren teils rührende Szenen, die für einen Augenblick vergessen ließen, dass hinter den Emotionen auch handfeste indische Interessen stecken.

Handfeste innenpolitische Motive: Indiens Premier Narendra Modi möchte den Erfolg der Mondmission auch im Wahlkampf nutzen - Straßenfeier in Delhi nach der Landung der Sonde. (Foto: Raj K. Raj/Hindustan Time/IMAGO)

Die haben zunächst einmal eine innenpolitische Dimension. Modi möchte die Erfolge im All gerne im Wahlkampf für seine Partei BJP nutzen. Das Heilsversprechen nationaler Größe ist ein Leitmotiv, das Modi in die Hände spielt. Er ist Nationalist und Populist in Personalunion und setzt darauf, dass er 2024 nochmals siegt.

Im Moment des indischen Triumphs bezeichnete Modi die Mondlandung als "Siegesschrei eines neuen Indiens". Der Vorstoß zum Mond zeigt - über wahltaktisches Kalkül hinaus - aber auch ein langfristiges Interesse an der Raumfahrt in einem Land, das sich geopolitisch längst unter den führenden Nationen der Welt verortet. Das Weltraumprogramm ist so gut wie unumstritten; es herrscht ein breiter Konsens, weit über Parteigrenzen hinaus, dass Indien eine Raumfahrernation sein muss.

Dass dieser Konsens sich weiter verfestigt, mag auch am großen Nachbarn Indiens im Nordosten liegen. China wird als Rivale wahrgenommen, der Indiens Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt. Nicht nur die blutigen Grenzstreitigkeiten im Himalaja rufen den Indern schmerzhaft in Erinnerung, dass China auf Expansionskurs ist. Dabei sieht sich Indien selbst als aufsteigende Großmacht, die Ambitionen im All passen dazu. Keinesfalls will es im Wettlauf zurückstecken.

Der Erfolg der jüngsten Mission wird den Ehrgeiz weiter befeuern. Indien baut die kommerzielle Raumfahrt stark aus. Dass Indien Satelliten besonders günstig ins All schießt, macht das Land unter Wettbewerbern attraktiv. Beobachter in Delhi betrachten die Raumfahrt unterdessen nicht nur unter wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern explizit auch als Werkzeug der Geopolitik. Jetzt, da Indien triumphiert und Russland mit seiner Mondmission gescheitert ist, gilt die Mondmission als bedeutsame Wegmarke: Die Zeit ist reif für Indien, einen vorderen Platz im Weltall zu beanspruchen.

Dazu gehört, dass Indien der Raumfahrt zunehmend militärische Bedeutung beimisst. Der Trend wird ebenfalls durch die Rivalität mit China befeuert. Umgekehrt begünstigt dies eine Allianz mit den USA: Delhi und Washington wollen bei Weltraummissionen künftig enger zusammenarbeiten.

Und wann wird Indien selbst Astronauten ins All schießen? Der Luftwaffenpilot Rakesh Sharma flog schon 1984 in den Orbit, an Bord des russischen Sojus T-11-Raumschiffs . Inzwischen gibt es ein prestigeträchtiges Programm, drei Astronauten in einer eigenen Mission ins All hinauszuschicken. Die Raumkapsel heißt Gaganyaan, Himmelsfahrzeug auf Sanskrit. Für den ersten bemannten Flug gibt es noch kein Datum. Doch die Mondlandung dürfte dem Vorhaben neuen Schub verleihen.

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