Hongkongs Sonderstatus:Jetzt bleiben nur noch wenige Wochen

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Bereitschaftspolizisten halten Mitte der Woche junge Demonstranten fest: Die Protestbewegung sieht sich nun endgültig von den USA verlassen. (Foto: Kin Cheung/dpa)

Die USA lassen Hongkongs Demonstranten im Stich - und zwingen Deutschland zu einer Entscheidung, auf die die Bundesregierung nicht vorbereitet ist.

Kommentar von Stefan Kornelius

Donald Trump hat den Bruch seines Landes mit Hongkong verkündet. Wie immer sind die Worte des Präsidenten, Hongkong den bisherigen wirtschaftlichen Sonderstatus entziehen zu wollen, mit Vorsicht zu lesen. Wie genau die USA ihre Beziehung zu Hongkong nun gestalten wollen, ob das chinesische Verfassungsprinzip von einem Staat und unterschiedlichen Systemen tatsächlich von Washington nicht mehr akzeptiert wird - all dies ist offen.

Prinzipiell aber bleibt sich Trump treu. Seine sogenannte Sanktionspolitik straft vor allem die USA selbst. Der Rückzug aus Hongkong trifft nämlich vor allem die amerikanische Finanzindustrie, die durch den Freihafen Hongkong einen ordentlichen Handelsbilanzüberschuss erwirtschaftet hat. Zweitens trifft sie die Protestbewegung, die sich nun endgültig von den USA verlassen sehen, nachdem ihr Trump im vergangenen Jahr während der Hochphase der Demonstrationen bereits die kalte Schulter gezeigt hat.

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Die Hongkong-Entscheidung treibt die USA und China noch weiter auseinander - allerdings ist diese Beziehung bereits derart zerrüttet, dass niemand die Rückkehr von Vernunft vor den Präsidentschaftswahlen im November erwartet hat.

Peking wird lediglich die Nachricht besorgen, dass Trump die Formel von einem Staat und den zwei Systemen nicht mehr anerkennen mag. Die Formel ermöglicht es der Welt, China den territorialen Anspruch auf Hongkong und Taiwan zuzugestehen und gleichzeitig die politische Autonomie einzufordern. Wenn Trump nun die Formel für nichtig erklärt, dann rückt eine staatliche Anerkennung Taiwans in den Bereich des Möglichen. Das ist für China der politische und möglicherweise auch der tatsächliche Kriegsfall.

Trumps Isolationsentscheidung bringt auch die Europäische Union in den Zwiespalt. Vor einem Jahr noch hat die EU für China große Worte gefunden: "strategischer Rivale", aber auch "Partner" und "Wettbewerber". Heute zeigt sich, was die hochtrabende Strategie in Wahrheit ist: eine Ansammlung von Phrasen, eine Anleitung zur politischen Alchemie, ein gedruckter Widerspruch. In der Praxis ist sie nicht mehr zu gebrauchen.

Die USA haben es durch die kühne Unfähigkeit ihres Präsidenten geschafft, die Neuvermessung der Welt zu beschleunigen und Europa zu einer Positionsbestimmung gegenüber China zu zwingen. Das ist eine neue Situation, besonders für Deutschland. Die Bundesregierung muss als EU-Ratspräsidentin eine strategische Entscheidung vorbereiten, auf die sie nicht vorbereitet ist und die sie in dieser Relevanz nur selten - Nachrüstung, Wiedervereinigung - treffen musste. Beteiligt sie sich mit den USA an der Dämonisierung Chinas, dann befördert sie eine Spaltung der Welt, die für viele Jahrzehnte prägend bleiben und voller Nachteile sein wird. Lässt sie China gewähren, nährt sie nur die Gefräßigkeit Pekings, toleriert das Gebaren und verrät ihre eigenen Werte.

Immerhin: Die deutsche Ratspräsidentschaft hat den Kalender mit seinen Gipfeltreffen auf ihrer Seite

Ein Mittelweg, der den Druck aus Washington abfedert und Peking gleichwohl auf den Pfad der Tugend zwingt, könnte - wenn überhaupt - nur gemeinsam mit allen EU-Mitgliedern Erfolg haben. Wie wenig die 27 aber mit einer Stimme sprechen, hat die trippelnde Reaktion auf das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong gezeigt. Peking spaltet, Peking gewinnt.

Nun ist es richtig, derart bedeutende Weichenstellungen nicht zu überhasten und mit Tagespalaver zu belasten. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat den Kalender mit seinen Gipfeltreffen auf ihrer Seite. Sie hat es möglicherweise auch mit einer chinesischen Führung zu tun, die momentan vor dem Konflikt mit dem Marktgiganten Europa zurückschreckt.

Es bleiben also wenige Wochen, in denen Berlin nicht zögern sollte, Bedingungen klar zu benennen (sie wurden übrigens schon vor einem Jahr beim vorigen EU-China-Gipfel aufgezählt und seitdem fleißig ignoriert). Dann aber läuft die Zeit ab. Allen wohl und keinem weh - das mag in Strategiepapieren und in Volkshallenreden in Peking funktionieren, im Umgang mit China gilt das nicht.

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