Hessen:Stabiler Start für Schwarz-Rot

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Der Christdemokrat Boris Rhein wird von Landtagspräsidentin Astrid Wallmann als neuer Ministerpräsident von Hessen vereidigt. (Foto: Boris Roessler/DPA)

Der Wiesbadener Landtag hat Boris Rhein zum Ministerpräsidenten wiedergewählt, zum ersten Mal seit fast 75 Jahren regiert in Hessen nun also ein Bündnis aus CDU und SPD. Kann das ein Aufbruch sein?

Von Gianna Niewel, Wiesbaden

Und dann ist es geschafft. Boris Rhein war am Morgen im Gottesdienst in der Wiesbadener Marktkirche, jetzt sitzt er im Landtag und schaut zu, wie die Abgeordneten der Reihe nach aufgerufen werden, ihre Stimmzettel in die Wahlurnen werfen. Seine CDU hat gemeinsam mit der SPD eine stabile Mehrheit, aber es kann immer etwas schiefgehen. Geht es nicht. 76 von 133 Stimmen, damit ist er der alte und neue hessische Ministerpräsident.

An diesem Donnerstag also nimmt die erste CDU-geführte große Koalition in der Geschichte Hessens ihre Arbeit auf. Es ist ein Neuanfang - aber ist es auch ein Aufbruch?

Während Boris Rhein im Landtag hinter einem Blumenstrauß verschwindet, ein kurzer Blick zurück. Im vergangenen Oktober hatte die CDU die Wahl mit 34,6 Prozent gewonnen. Sie lag damit deutlich vor der SPD, die auf 15,1 Prozent kam, und vor den Grünen, die 14,8 Prozent holten. Schon am Wahlabend war klar: Da wird ein Sieger mit zwei Verlierern verhandeln. Dass die CDU sich dann gegen die Grünen - ihren bisherigen Koalitionspartner - und für die SPD entschied, habe mit "größeren gemeinsamen Schnittmengen" zu tun, etwa in Fragen der inneren Sicherheit. Bei den Grünen heißt es: von wegen.

Indem Boris Rhein sich von den Grünen löst, löst er sich auch von Bouffier

Boris Rhein hat das Amt des Ministerpräsidenten im Mai 2022 von Volker Bouffier übernommen, aber die Übernahme hat eine Vorgeschichte. Ursprünglich wollte Bouffier seinen Finanzminister zum Nachfolger machen, aber der starb, und auch mehrere andere Namen musste er von der Liste streichen, weil sie den Grünen nur schwer zu vermitteln gewesen wären. So kam er zu Boris Rhein. Der zog dann in eine Staatskanzlei, in der Bouffier mehr als ein Jahrzehnt gesessen hatte, und übernahm eine Koalition, die Bouffier geschmiedet hatte, und vermutlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich in den vergangenen Wochen daran erinnert hat. Indem er sich von den Grünen löst, löst er sich auch von Bouffier. Es ist jetzt seine Regierung.

Unten im Landtag tritt Boris Rhein ans Rednerpult, er bedankt sich dafür, dieses Land "weiter führen" zu dürfen, und natürlich ist die Frage: in welche Richtung?

Schaut man in den Koalitionsvertrag, fällt zunächst auf, in welche Richtung es eher nicht geht. In seiner ersten Regierungserklärung im Mai 2022 - die Grünen hatten ihn gerade mitgewählt - ging es viel ums Klima. Er sprach von Extremwetterereignissen und deren Folgen, von 90 000 Hektar Wald, die in nur fünf Jahren der Trockenheit zum Opfer gefallen seien. Klimaschutz sei ein "zentrales Zukunftsthema", deshalb stelle die Landesregierung ihn in den "Mittelpunkt unserer Politik".

Das Thema Klima ist im Koalitionsvertrag an den Rand gerückt

In diesem Koalitionsvertrag ist das Thema in die Peripherie der Politik gerückt. Da stehen nur wenige messbare Ziele, da gibt es kein Ministerium mehr, das dem Namen nach zuständig wäre. Stattdessen kümmert sich der künftige Umweltminister um "Landwirtschaft, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat". Salopp gesagt: um alles außer Klima.

Im Mittelpunkt des Koalitionsvertrags steht jetzt unter anderem das Thema Migration. Die Landesregierung will die Abschiebehaft ausweiten, Rückführungszentren einrichten, die Geflüchteten in den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen Bezahlkarten statt Bargeld bekommen. "Wir starten eine echte Rückführungsoffensive", heißt es da, und vielleicht muss man an der Stelle daran erinnern, dass die CDU zwar viele Punkte in den Vertrag verhandelt hat, dass die SPD ihn aber unterschrieben hat. Auch den Law-and-Order-Teil.

Im Landtag in Wiesbaden ist die Sitzung jetzt unterbrochen, Boris Rhein ernennt sein Kabinett, neun Minister, drei Ministerinnen. "Das spiegelt in keiner Weise die Breite der Gesellschaft wider", kommentierte der Hessische Rundfunk.

Die Grünen kritisieren, CDU und SPD wollten zurück in die Vergangenheit

Während die neuen Kabinettsmitglieder ihre Urkunden bekommen, ist Zeit für einen Kaffee mit einem Christdemokraten. Sicher, sagt der Mann, die CDU habe die Wahl gewonnen, und sicher, Boris Rhein baue sie weiter um. "Er formt ein Machtzentrum." Die Kritik am Koalitionsvertrag aber könne er nicht verstehen, aus der Wirtschaft sei viel Lob gekommen, und dass die Grünen, die nicht mehr in der Regierung sind, nun davon sprechen, CDU und SPD wollten zurück in die Vergangenheit, sei nur Ausdruck ihres Frusts. "Hätten die Menschen grüne Politik gewollt, hätten sie die Grünen ja wählen können", sagt der Mann.

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Stattdessen haben die Menschen mehrheitlich CDU gewählt, haben Boris Rhein gewählt, der ein letztes Mal zurück in den Landtag kommt, um sein Kabinett zu vereidigen. Dann steht die neue Landesregierung. Von jetzt an können CDU und SPD zeigen, wozu sie ihre Macht nutzen wollen, und der Ministerpräsident kann zeigen, in welche Richtung genau er dieses Land führen will. Noch einmal also Konzentration, noch einmal klicken die Kameras. Es ist nur eine Momentaufnahme.

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