Karlsruhe:Künast setzt sich im Streit um Hassposts durch

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"Ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter", nannte Renate Künast das Urteil. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Das Verfassungsgericht setzt dem Hass im Netz Grenzen: Politiker müssen sich Beleidigungen in sozialen Medien nicht gefallen lassen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Im Streit um eine Hasskampagne gegen die Grünen-Abgeordneten Renate Künast hat das Bundesverfassungsgericht das Persönlichkeitsrecht aufgewertet - und zwar auch zugunsten von Politikerinnen und Politikern, die sich als Regierende im Land eigentlich mehr gefallen lassen müssen als andere Menschen. Das Karlsruher Gericht hob ein Urteil des Berliner Kammergerichts auf und ordnete eine neuerliche Prüfung an. Das Berliner Gericht hatte aus einer Liste von 22 gegen Künast gerichtete Posts auf Facebook nur zwölf als strafbare Beleidigung eingestuft. Die Verfassung setze der Hetze und Verächtlichmachung Grenzen, auch dann, wenn sie gegen Personen des öffentlichen Lebens gerichtet seien, heißt es nun in dem Karlsruher Beschluss.

Entzündet hatte sich die Auseinandersetzung an einem Künast-Satz von 1986. Damals war im Berliner Abgeordnetenhaus eine andere Grünen-Politikerin gefragt worden, wie sie zur Forderung der NRW-Grünen stehe, sexuelle Handlungen an Kindern straffrei zu stellen. Dazu notierte das Protokoll einen Zwischenruf Künasts: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!" Was offenkundig als Präzisierung der kolportierten Grünen-Forderung aus NRW gedacht war. 30 Jahre später - die Debatte über die einstige Haltung der Grünen zur Pädophilie war wieder hochgekocht - legte ihr ein Netz-Aktivist auf Facebook den Satz in den Mund: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist der Sex mit Kindern doch ganz o. k. Ist mal gut jetzt."

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Bei Meinungsfreiheit und Beleidigung ist das Bundesverfassungsgericht bisher sehr diskursfreundlich. Es verkennt aber, dass Viele eben diesen Diskurs zerstören wollen.

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Künast zog vor Gericht, und im Zuge des Prozesses wurde sie mit zahlreichen Hassposts überzogen. Sie verlangte von Facebook Auskunft über die Bestandsdaten der Nutzer - aber in einem ersten, heftig kritisierten Urteil hielt das Landgericht Berlin im Jahr 2019 eine lange Liste solcher Kommentare für zulässig, darunter "Dreckschwein", "Drecks Fotze" und "Stück Scheisse". Auf Künasts Beschwerde korrigierte das Landgericht sich teilweise, und das Kammergericht hielt in der nächsten Instanz weitere Posts für beleidigend.

Das Bundesverfassungsgericht beanstandete nun die Wertung des Kammergerichts zu den zehn für zulässig erachteten Posts. Darunter die Formulierungen "Pädophilen-Trulla", "Die alte hat doch einen Dachschaden, die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch" und "Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck". Zwar habe die Meinungsfreiheit zum Schutz von "Machtkritik" nach wie vor ihre Bedeutung. Allerdings erlaube sie "nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern".

Schriftliche Hetze wiegt schwerer

Besonders zu gewichten sei dabei die Breitenwirkung sozialer Netzwerke. "Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist." Zwar dürfe man nicht jedes Wort auf die Waagschale legen, jedoch sei gerade bei schriftlichen Äußerungen ein höheres Maß an Zurückhaltung zu erwarten.

Renate Künast nannte den Beschluss "ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter". Die Gerichte seien damit zu einer "sehr konkreten Abwägung im Einzelfall verpflichtet - und dazu, auch in den sozialen Medien Zurückhaltung einzufordern.

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