Hassbotschaften:Herabwürdigung als Waffe

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  • Bei der Beurteilung, ob eine Aussage beleidigend ist oder unter die Meinungsfreiheit fällt, ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher sehr liberal.
  • Jedes Wort wird daraufhin gescannt, ob sich nicht tief drinnen doch ein Beitrag für unser großes demokratisches Gespräch verbergen könnte.
  • Diese Bewertung verkennt aber - wie im Fall der Hassbotschaften gegen Grünen-Politikerin Renate Künast - dass heutzutage viele nicht mehr am demokratischen Diskurs interessiert sind, sondern genau diesen zerstören wollen.

Von Wolfgang Janisch

Nach dem Skandalbeschluss des Landgerichts Berlin, der Renate Künast zumuten wollte, wüste Beschimpfungen von "alte perverse Drecksau" bis "Stück Scheisse" (sic) hinzunehmen, herrschte über zweierlei rasch Einigkeit. Der Beschluss muss so schnell wie möglich in der nächsten Instanz einkassiert und der Verfolgungsdruck gegen Hetzer im Netz muss verstärkt werden. Doch hinter diesen Selbstverständlichkeiten nimmt eine ungleich kompliziertere Frage Konturen an: Welche Verantwortung trägt eigentlich das Bundesverfassungsgericht für die Proliferation des Hasses?

Man muss die Frage schon deshalb stellen, weil das Landgericht ja treulich aus der Karlsruher Rechtsprechung zu Meinungsfreiheit und Schmähkritik zitiert hat. Schmähkritik, muss man dazu wissen, ist in der Begriffswelt der Verfassungsrichter das, was nicht gesagt werden darf, das absolute No go im Meinungskampf. Worte und Sätze, die in dieser Kategorie landen, sind von vornherein draußen aus der Burg der Meinungsfreiheit. Da wird nicht einmal mehr abgewogen, obwohl Richter sonst wirklich alles abwägen - hier bleibt die Zugbrücke oben. Schmähkritik ist gleichsam der Gipfel der Beleidigung (oder ihr Tiefpunkt), die "in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann". Schrieb das Landgericht Berlin und zitierte damit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2008.

Ja gut, könnte man sagen, richtig zitiert, falsch umgesetzt. Kann doch Karlsruhe nichts dafür!

Scharfe Angriffe sind erlaubt, wenn sie ein Fünkchen Sinn enthalten.

Doch ganz so einfach liegt die Sache nicht. Das Verfassungsgericht fährt eine sehr meinungsfreiheitsfreundliche Linie, weil es einem Diskursparadigma folgt. Jedes Wort wird daraufhin gescannt, ob sich nicht tief drinnen doch ein Beitrag für unser großes demokratisches Gespräch verbergen könnte. Zum Beispiel im "durchgeknallten Staatsanwalt", als den einst Michael Naumann einen Juristen titulierte, weil Details zu Ermittlungen gegen Michel Friedmann an die Presse gelangt waren. Das könnte auch eine zulässige Kritik am Umgang des Generalstaatsanwalts mit den Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten sein, fand Karlsruhe. Die Kunst der Polemik, wenn man so will. Oder der "Dummschwätzer", den ein Stadtratsmitglied dem anderen an den Kopf geworfen hatte. Muss keine Schmähung sein, fand das Verfassungsgericht; vielleicht bedeute es auch nur, dass jemand in der Stadtratsdebatte halt "dumme Aussagen" getroffen habe.

Klar ist damit jedenfalls: Scharfe Angriffe sind erlaubt, wenn sie ein Fünkchen Sinn enthalten. Der juristische Filter ist da sehr großporig eingestellt. Er enthält sogar noch eine Fehlertoleranz, ähnlich wie die Blitzer am Straßenrand. So wie man ein klein wenig zu schnell fahren darf, so darf man auch ein bisschen zu wüst formulieren. Weil zu rigide Sprechverbote dazu führten, dass die Leute lieber den Mund halten. "Chilling effect", so nennen Juristen das.

Dieser Ansatz ist grunddemokratisch und erzliberal und so richtig, dass man hofft, daran möge sich nie etwas ändern. Ein freiheitliches Verständnis von Meinungsfreiheit ist der Lebensnerv der Demokratie.

Aber es gibt einen zweiten Aspekt, der in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts viel zu wenig ausgeleuchtet ist. Die Herabwürdigung von Personen des öffentlichen Lebens durch gezielte Kampagnen ist zum politischen Kampfinstrument regelrechter Hassgemeinschaften geworden. Andreas Zick, Konflikt- und Gewaltforscher an der Universität Bielefeld, beobachtet solche Kampagnen verstärkt in den letzten fünf Jahren, unter Einsatz der in dieser Hinsicht eher wenig sozialen Medien. Wichtig für die rechtliche Diskussion ist folgender Befund: Im Netz haben sich Gruppen zusammengefunden, die gar keinen Dialog führen wollen, sagt Zick. Das Karlsruher Diskursparadigma, die Einladung zum demokratischen Gespräch, geht hier also ins Leere. Die wollen gar nicht reden. Die wollen die demokratische Debatte stören, oder auch: zerstören.

Vor diesem Hintergrund erweist sich eine weitere, gebetsmühlenhaft wiederholte Formel aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als problematisch. Eine Schmähkritik, heißt es dort, "liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt". Fehde? Man merkt schon an der Sprache, der Satz ist nicht mehr ganz taufrisch. Vor allem aber ist die Trennung zwischen privat und öffentlich von ebenjener Diskursidee getragen. Was öffentlich ist, wird erst einmal der demokratischen Debatte zugerechnet und wird allenfalls nach einer komplizierten Abwägung wieder ausgeschieden.

Lässt Anonymität im Netz die letzten Hemmungen fallen?

In dieser Logik müsste dieser Demokratiebonus dann aber auch für Hasskampagnen in den ja irgendwie öffentlichen sozialen Medien gelten. Möglicherweise erreicht die demokratische Offenheit aber damit das Gegenteil dessen, was sie anstrebt. "Gerade bei Hassbotschaften im Internet besteht aufgrund der Breitenwirkung von Angriffen zunehmend eher die Gefahr, dass der demokratische Prozess durch einen Overkill an kommunikativer Aggression beeinträchtigt wird", gibt der Bonner Staatsrechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz zu bedenken. Die widerwärtige Hasskampagne gegen Künast habe dies besonders anschaulich gezeigt. "Durch gezielte Erniedrigung, Aufbau verbalen Bedrohungspotenzials und Diffamierung einer Person wird eine politische Auseinandersetzung in der Sache verhindert."

Die Wirkung solcher Hassbotschaften auf die Betroffenen werde, so Zick, von den Juristen unterschätzt. "Hassrede hat gesundheitliche, psychische und soziale Wirkungen, die aus Mangel an Wissen darüber in Gerichtsverfahren schlichtweg übersehen werden." Der Weg zu einer Störung des demokratischen Prozesses ist da nicht mehr weit, wie eine Bielefelder Studie zu verbalen Angriffen auf Journalisten zeigt. Wer solchen Attacken ausgesetzt war, klagt häufig über psychische Belastungen - immerhin ein Viertel berichtet von Beeinträchtigungen der Arbeit. Zick weist darauf hin, dass eine Verfestigung menschenfeindlicher "Hassbilder" auch die Akzeptanz von Gewalt zur Durchsetzung solcher Ansichten steigen lässt.

In der Karlsruher Rechtsprechung findet sich zu alldem wenig. Es macht sich schmerzhaft bemerkbar, dass es zu dieser demokratischen Fundamentalfrage in den vergangenen Jahren kein Grundsatzverfahren gab. Deshalb arbeiten die Gerichte mit den alten Karlsruher Formeln, obwohl sich neue Fragen stellen. Multiplizieren die sozialen Medien die verletzende Wirkung der Beleidigung? Sind sie das leicht entzündliche Feld, auf dem die Hetze höher lodert als je in der Geschichte? Und was ist mit der Anonymität im Netz: Lässt sie die letzten Hemmungen fallen? Verbindliche Antworten kann hier nur das Bundesverfassungsgericht geben. Seine großen und leider zu seltenen mündlichen Verhandlungen sind oft Lehrstunden für die Republik gewesen. Höchste Zeit also für eine Anhörung zu Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz. An passenden Fällen sollte ja kein Mangel herrschen.

© SZ vom 10.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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