Hannover:In der Sackgasse

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Verfahrene Situation: Belit Onay, Hannovers grüner Oberbürgermeister, wollte Autos aus der Innenstadt verbannen. Die Sozialdemokraten überzeugte sein Konzept nicht. (Foto: Julian Stratenschulte/DPA)

In der niedersächsischen Landeshauptstadt lässt die SPD die rot-grüne Koalition platzen. Schuld sind Pläne für eine autofreie Innenstadt - aber nicht nur.

Von Ulrike Nimz, Hamburg

Es war ein ambitioniertes Vorhaben, das Hannovers grüner Oberbürgermeister im September der Öffentlichkeit vorstellte. Weniger Parkplätze, mehr Fahrradstraßen, Baumreihen und nachhaltiges Regenwasser-Management - bis 2030 sollte das Zentrum der niedersächsischen Landeshauptstadt nahezu autofrei sein, Beginn der Umbauarbeiten schon im kommenden Jahr. Ein Projekt mit deutschlandweiter Signalwirkung in Zeiten der Klimakrise war das und eine Herzensangelegenheit, daran ließ Belit Onay nie einen Zweifel.

Doch ob die Pläne jemals umgesetzt werden, ist inzwischen mehr als fraglich: Denn die Sozialdemokraten in Hannover sind nicht nur auf die Bremse getreten, sondern gleich ganz ausgestiegen aus der rot-grünen Stadtkoalition. Umbauarbeiten gibt es vorerst nur im Rathaus.

Die SPD beklagt Alleingänge des Oberbürgermeisters

Die SPD nennt eine "wachsende Dysfunktionalität" als Grund für den Rückzug aus dem Bündnis. Immer wieder sei bei wichtigen Vorhaben eine Einigung ausgeblieben, nicht nur beim Konzept für die Innenstadt. In einer Pressekonferenz zu Wochenbeginn diagnostizierte SPD-Stadtchef Adis Ahmetović "ideologische Starrheit" beim Koalitionspartner, beklagte Alleingänge des Oberbürgermeisters und fehlendes Vertrauen. Onay habe es versäumt, bei seinen Plänen für ein verkehrsberuhigtes Zentrum die Wirtschafts- und Sozialverbände einzubeziehen, auch die Finanzierung sei unklar geblieben.

Künftig will man im Rathaus mit wechselnden Mehrheiten Politik machen. Ein neues Bündnis lehnen die Sozialdemokraten erst einmal ab, auch wenn die Zusammenarbeit mit CDU und FDP eine komfortable Mehrheit verspricht. Man wolle nun die "Lähmung der Kommunalpolitik" überwinden und die besseren Argumente entscheiden lassen.

Belit Onay zeigte sich überrascht vom Entschluss der SPD, die Koalition platzen zu lassen. Er habe mit wenig Vorlauf aus einem Brief davon erfahren, sagte der Stadtchef am Montag auf seiner eigenen Pressekonferenz. Differenzen beim Mobilitätskonzept räumt Onay ein, hält sie jedoch für überwindbar. "Wir haben in vielen Themen gut zusammengearbeitet." In den vergangenen Tagen und Wochen hatten SPD und Grüne wiederholt zu Details verhandelt. Die Sozialdemokraten machten zuletzt "wichtige und richtige Anknüpfungspunkte" aus, verlangten dann aber doch eine grundlegende Überarbeitung der Vorlage, die das zentrale Thema in Belit Onays Amtszeit ist.

Wirklich harmonisch war das Verhältnis der Koalitionspartner nie

Hannovers erstes grünes Stadtoberhaupt ist seit 2019 im Amt, damals endete die mehr als 70 Jahre währende Regentschaft der SPD, nachdem Onays Vorgänger über die sogenannte Rathausaffäre und die Zahlung unzulässiger Zulagen gestrauchelt war. Manche der Sozialdemokraten haben diese Niederlage offenbar schlecht verkraftet. Die damalige Ampelkoalition im Rat hielt nicht einmal zwei Jahre, weil die Wahl einer grünen Dezernatskandidatin scheiterte. Nach der Kommunalwahl 2021 rauften sich Grüne und SPD noch einmal ohne die FDP zusammen, aber wirklich harmonisch war das Verhältnis nicht.

Einigen Sozialdemokraten stieß die offensive Öffentlichkeitsarbeit des Oberbürgermeisters auf, der sich auch über die Region hinaus geschickt als Stadterneuerer präsentierte. Hinter dieses Versprechen des Aufbruchs kann Onay nun nicht zurück. Bis zu den Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen 2026 will und muss er Ergebnisse präsentieren. Die Grünen scheuen sich davor, die Tür vollends zuzuschlagen, bieten der SPD an, sich wieder an einen Tisch zu setzen: "Die Herausforderungen und Projekte sind zu wichtig und zu groß, als dass sie wegen politischer Spielereien scheitern sollten", sagte Claudia Görtzen, Vorsitzende des Stadtverbandes.

Die Grünen sind angezählt, die Sozialdemokraten wollen sich abgrenzen

Doch für die Sozialdemokraten, die ja immerhin den Stadtbaurat stellen und das Verkehrskonzept zumindest in Zügen mit entworfen haben, könnte der Zwist künftig nützlicher sein als Zugeständnisse. Sie wollen sich absetzen von grünen Themen, nicht nur, weil man im Volkswagen-Land Niedersachsen noch immer Autos baut und sie auch fährt. Anders als 2019 sind die Grünen angezählt, der Trend hat sich gedreht. Die Performance der Ampelregierung im Bund fällt wie ein Schatten auf die Länder, auch die Sozialdemokraten verloren zuletzt deutlich an Zuspruch. Jüngsten Umfragen zufolge hätte die rot-grüne Koalition von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) derzeit keine Mehrheit mehr.

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Schon jetzt versucht Niedersachsens CDU den Koalitionsbruch von Hannover zum Menetekel für die Landespolitik umzudeuten. Die Krise im Rathaus sei "ein eindeutiges Zeugnis für die Unfähigkeit von Rot-Grün, in zentralen politischen Fragen Einigkeit zu erzielen", schrieb Landes- und Fraktionschef Stefan Lechner bei Facebook und ließ es sich nicht nehmen, seine "Bereitschaft zu konstruktiven Gesprächen über mögliche alternative Koalitionen" mitzuteilen.

Vor der nächsten Ratsversammlung an diesem Donnerstag soll es Gespräche zwischen dem Oberbürgermeister und den Spitzen der Fraktionen geben. Belit Onay wirbt vorerst nicht mehr für sich oder die "autoarme Stadt", sondern für ein "pragmatisches und kooperatives Zusammenwirken aller demokratischen Kräfte" im Rat.

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