Extremismus:Ein Zerrbild von Deutschland

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Stumme Choreografie gegen Deutschland: Teilnehmer einer Versammlung von "Muslim Interaktiv". (Foto: Gregor Fischer/dpa)

In Hamburg dürfen Islamisten erneut gegen eine vermeintliche "Meinungsdiktatur" protestieren. Diesmal wirken die Auflagen.

Von Ulrike Nimz, Hamburg

Ihre Bilder haben sie auch dieses Mal bekommen, die Mitglieder von "Muslim Interaktiv". Mehr als 2000 Menschen sind am Samstagnachmittag auf den Kreuzweg im Hamburger Stadtteil St. Georg gekommen. Einige stemmen Schilder in die Höhe, die Veranstalter haben sie zuvor verteilt. Darauf steht jeweils nur ein einziges Wort: "zensiert", "verboten", "banned". Begleitet wird die Aktion von minutenlangem Schweigen, das vereinzelt unterbrochen wird. "Allahu akbar", tönt es aus den hinteren Reihen.

Ein "stiller Protest mit lauter Botschaft" soll das sein, gegen die "Meinungsdiktatur" in Deutschland - eine Reaktion auf die verschärften Auflagen, die die Hamburger Versammlungsbehörde für die erneute Demonstration der Islamisten erlassen hat: kein Umzug durch die Innenstadt, keine Geschlechtertrennung, kein Leugnen des Existenzrechtes Israels und keine Träume vom Kalifat in Wort, Bild oder Schrift. Da bleibt an möglichen Botschaften nicht viel übrig.

Der Traum vom Kalifat? Gehört zum Meinungskampf, sagt der Justizminister

Vor zwei Wochen war das noch anders, da hielten die Demonstranten mit roter Farbe beschmierte Exemplare der Zeitung Bild in die Luft, forderten in Sprechchören einen Gottesstaat als "Lösung". Die Versammlung rief bundesweit Empörung und Verbotsforderungen hervor. Der Kanzler und die Bundesinnenministerin versicherten, die Extremisten im Blick zu haben. "Wir setzen alle Instrumente ein: von der nachrichtendienstlichen Beobachtung bis hin zu intensiven Ermittlungen", sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir können in unserem Rechtsstaat solche Gruppierungen aber nur verbieten, wenn die hohen rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind."

Auch der Bundesjustizminister sieht dafür derzeit wenig Spielraum. So absurd die Forderung nach einem Kalifat auch sein möge, das bloße Äußern dieses Wunsches sei Teil des geistigen Meinungskampfes und müsse, sofern keine Verletzung von Rechtsgütern vorliege, ertragen werden, so Marco Buschmann (FDP).

Die jungen Männer tragen Burberry, die Frauen Niqab

Das ist der schmale Grat, auf dem Joe Adade Boateng wandelt. Der mutmaßliche Kopf von "Muslim Interaktiv" ist Lehramtsstudent und Influencer, nennt sich "Raheem". Er ist der einzige Redner an diesem Tag, und er zeichnet das Zerrbild eines Landes, in dem angeblich Repression und Meinungszwang herrschen. Muslime sollen sich unterwerfen und zum Schweigen gebracht werden, behauptet Boateng. Er ruft das in ein Mikrofon, seine Stimme beschallt ein ganzes Stadtviertel.

Der islamistische Influencer Joe Adade Boateng während seiner Rede im Hamburg. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Sein Publikum besteht fast ausschließlich aus jungen Männern, darunter vereinzelt Kinder und Paare wie dieses: Sie trägt Niqab, er Burberry. Ein Team der "Tagesschau" wird während der Live-Schalte von Teilnehmern gefilmt. Die Fragen der Journalisten will an diesem Tag ohnehin niemand beantworten. Noch vor Beginn der eigentlichen Versammlung haben die Veranstalter den Verhaltenskodex klargemacht: "Wegen der medialen Hetze kann es zu Provokationen kommen." Störer sollen an die Ordner verwiesen und die Presse bitte ignoriert werden.

Der Wortführer hält eine geschickt formulierte Rede

Oben auf der Bühne zweifelt Joe Adade Boateng das "Nie-wieder" der deutschen Erinnerungspolitik an. Damit könne es ja nicht weit her sein, wenn der "Hass gegen Muslime", gegen "die Träger der Wahrheit", sich überall Bahn breche. Es ist eine geschickt formulierte, eine demagogische Rede, die rassistische Verbrechen wie den Mord an der ägyptischen Handballnationalspielerin und Pharmazeutin Marwa El-Sherbini instrumentalisiert, Pegida-Parolen wie die vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" als gesamtdeutsche Furcht darstellt, um das Grundgesetz als "Leerformel" und "Lüge" zu diffamieren. "Wir haben gewagt, uns dieser Staatsräson nicht unterzuordnen", schwört Boateng die Menge ein. "Sie haben uns dafür zum Staatsfeind gemacht."

Strafbar ist das alles vermutlich nicht, selbst wenn Raheem sich anmaßt, für alle Muslime zu sprechen; selbst wenn er in dem "Gebet", mit dem er endet, doch noch ein Kalifat fordert, "das die koloniale Ordnung überwindet", und Gott bittet, die Pläne jener zu vereiteln, die dem im Wege stehen.

Nach knapp einer Stunde ist alles vorbei. Eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten packt die Plakate zusammen. "Allah, schmeiß Hirn vom Himmel", steht auf einem, "Hamburg bleibt frei" auf dem anderen.

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