Es ist ein düsteres Omen: Nach mehreren Jahren ohne gemeldete Fälle ist die Cholera zurück in Haiti. Schon Anfang Oktober registrierten die lokalen Behörden zwei neue Erkrankungen im Großraum der Hauptstadt Port-au-Prince, seitdem scheint sich die Seuche schnell weiter auszubreiten, es gibt mittlerweile wohl mehrere Hundert Infizierte und Dutzende Tote.
Für Haiti könnte dies den Beginn einer weiteren Katastrophe bedeuten. Die Lage in dem bitterarmen Karibikstaat ist schon jetzt desaströs: In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder schwere Naturkatastrophen, Erdbeben haben ganze Städte zerstört, Wirbelstürme Tausende obdachlos gemacht.
Gleichzeitig versinkt das Land im politischen Chaos: Vor rund einem Jahr ermordeten Söldner den damaligen Präsidenten in seinem Schlafzimmer. Motiv und Auftraggeber sind bis jetzt ungeklärt. Eine umstrittene Übergangsregierung unter Premierminister Ariel Henry führt heute das Land. Eigentlich sollte sie vor allen auch Neuwahlen organisieren, bislang aber gibt es noch nicht einmal ein Datum für die Abstimmung.
Banden kontrollieren weite Teile, die Überlandstraßen und Treibstoffvorräte
Henry und seinem Kabinett fehlt der Rückhalt, ein Machtvakuum ist entstanden, und kriminelle Gangs übernehmen zunehmend die Kontrolle. Mehrere Hundert unterschiedliche Banden soll es geben, sie haben heute weite Teile Haitis und der Hauptstadt im Griff. Dazu kontrollieren sie auch wichtige Überlandstraßen, ebenso wie den Zugang zum größten Treibstofflager des Landes.
Die Folgen sind gravierend: Die Preise für Wasser und Lebensmittel sind die Höhe geschossen, seit Wochen schon gibt es deswegen Proteste. Demonstranten errichten Barrikaden aus brennenden Autoreifen und bewerfen die Polizisten mit Steinen. Diese antworten mit Tränengas, Anfang dieser Woche kam eine Frau ums Leben, nachdem Sicherheitskräfte Augenzeugenberichten zufolge das Feuer eröffnet hatten.
Premierminister Henry hat mittlerweile die internationale Gemeinschaft zu Hilfe aufgerufen. Das komplette Land werde als Geisel gehalten, sagte er in einer im Fernsehen und Internet ausgestrahlten Rede am vergangenen Mittwoch: "Ich bitte alle mit Haiti befreundeten Länder, an unserer Seite zu stehen und uns bei der Bekämpfung dieser humanitären Krise zu helfen."
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, bat daraufhin in einem internen Brief den UN-Sicherheitsrat um sofortige Entsendung einer Spezialeinheit: "Ein oder mehrere Mitgliedstaaten könnten auf Einladung und in Zusammenarbeit mit der haitianischen Regierung bilateral tätig werden und so dringend eine schnelle Eingreiftruppe zur Unterstützung der haitianischen Polizei entsenden." Aus welchen Ländern die Soldaten für so eine Mission kommen sollen und welche Aufgabe sie hätte, ist allerdings noch unklar.
Gleichzeitig gibt es auch in Haiti Widerstand gegen den Einsatz internationaler Truppen. Immer wieder haben diese in der Vergangenheit nicht nur Hilfe gebracht, sondern auch Not und Leid. Nach einem Staatsstreich wurde 2004 eine Friedensmission der Vereinten Nationen zur Stabilisierung Haitis entsandt. Sie blieb für rund 13 Jahre im Land, immer wieder kam es dabei zu sexuellen Übergriffen, Blauhelmsoldaten wird vorgeworfen, Einheimische vergewaltigt zu haben und an sexuellem Missbrauch und Prostitution Minderjähriger beteiligt gewesen zu sein. Nach einem schweren Erdbeben 2010 waren es UN-Soldaten, welche die Cholera ins Land brachten. Mindestens 10 000 Menschen starben damals an der Seuche, und es dauerte Jahre, um die Krankheit wieder in den Griff zu bekommen.
Dass es in Haiti nun zu einem erneuten Cholera-Ausbruch gekommen ist, zeigt wie katastrophal die Lage ist. Ein Sprecher des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen sprach von einer "Cholera-Zeitbombe", die nun zu explodieren drohe. Es brauche dringend internationale Hilfe.
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Haitis Nachbar, die Dominikanische Republik, kündigt derweil eigene Maßnahmen an. Die beiden Länder teilen sich die Karibikinsel Hispaniola, während Haiti aber immer tiefer im Chaos versinkt, boomt in der Dominikanischen Republik die Wirtschaft dank internationalem Strand- und Badetourismus. Auf der Flucht vor Not und Armut versuchen immer mehr Haitianer über die Grenze zum vergleichsweise reichen Nachbarn zu gelangen. Dort aber gibt starke Vorurteile und die Angst, mit den Flüchtlingen könnten auch Gewalt und Kriminalität ins Land kommen.
Sollte es zu einem Einsatz internationaler Hilfskräfte kommen, würde man die Grenzübergänge schließen, sagte Präsident Luis Abinader am Wochenende: "Es könne gefährlich werden für die Dominikanische Republik, Flüchtlinge aufzunehmen." Schon Mitte September hatte er die Situation in Haiti als "niedrigschwelligen Bürgerkrieg" bezeichnet.