Bundeswirtschaftsministerium:Das ist auch seine Niederlage

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Seine Entscheidiung sei "weitreichend für mein Haus, schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen", sagt Robert Habeck am Mittwochvormittag bei der eigens wegen der Ministeriumskrise anberaumten Pressekonferenz in Berlin. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Robert Habeck hatte wegen der Energiewende bis zuletzt an seinem Staatssekretär Patrick Graichen festhalten wollen. Aber es ging nicht mehr. Denn es sind noch weitere Ungereimtheiten im Ministerium entdeckt worden.

Von Georg Ismar und Nicolas Richter, Berlin

Robert Habeck flüchtet sich am Ende in Galgenhumor - und macht ein Versprechen für die Nachfolgesuche: "Also ich werde nicht meinen Trauzeugen als neuen Staatssekretär berufen." Er hat knapp zehn Minuten vom Blatt abgelesen: warum er sich nun doch von seinem Architekten der Energie- und Wärmewende, Staatssekretär Patrick Graichen, trennt; was der eine Fehler zu viel war. Kurzfristig hatte der Bundeswirtschaftsminister am Mittwochmorgen für 11 Uhr zu einem Statement in sein Ministerium einladen lassen. "Thema: aktuelle Entwicklungen", stand in der Einladung etwas nebulös.

Habeck selbst ist von den aktuellen Entwicklungen wieder einmal unliebsam überrascht worden. Der Konferenzsaal ist überfüllt, und Habecks Stimme zittert etwas, das ist auch seine Niederlage, noch vor wenigen Tagen hatte er im Wirtschaftsausschuss des Bundestags betont, an Graichen festhalten zu wollen. Da ging es noch um den Fehler, dass dieser verschwiegen hatte, dass sein Trauzeuge neuer Chef der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) werden sollte, Graichen selbst aber war am Auswahlverfahren beteiligt. Dieses Auswahlverfahren wird neu aufgerollt.

Wirtschaftsministerium
:"Ein Fehler zu viel" ist laut Habeck Grund für Graichens Rücktritt

Wegen der sogenannten Trauzeugen-Affäre soll der Staatssekretär in den vorgezogenen Ruhestand versetzt werden, sagt der Minister. Er verweist auf neue Ungereimtheiten und konkret einen Verstoß gegen interne Compliance-Regeln.

Von Nadja Lissok

Den einen Fehler zu viel, einen zusätzlichen Fehler, macht Habeck nun selbst öffentlich, er will nicht weiter Getriebener sein. Nach der Trauzeugen-Geschichte liefen wegen der Verwandtschaftsverhältnisse Graichens weitere interne Prüfungen, ob er sich bei Auftragsvergaben an die Compliance-Regelungen gehalten hat. Zur Erinnerung: Graichens Schwester ist verheiratet mit dem anderen Staatssekretär Michael Kellner. Sie arbeitet wie Graichens Bruder beim Öko-Institut, das immer wieder Aufträge vom Bund bekommt. In der Szene kennen sich viele seit Jahren, mit dem Regierungseintritt der Grünen und Übernahme des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums stehen die Verbindungen unter verschärfter Beobachtung, zugleich bringen die handelnden Personen viel Expertise mit, allen voran Graichen.

Der Treueschwur hielt genau eine Woche

Die Prüfungen wurden am 23. April beauftragt. Vor einer Woche, einen Tag vor dem Auftritt in den Ausschüssen für Energie sowie Wirtschaft und Klimaschutz, hatte Habeck erstmals einen Hinweis bekommen, dass da noch etwas sein könnte. Aber da der Fall noch nicht ganz klar war, wurde das im Ausschuss nicht thematisiert, und Habeck sprach den Treueschwur aus, der genau eine Woche hielt.

Es war klar, dass Graichen zum Beispiel nicht beteiligt sein sollte an Vergaben an den Energie-Thinktank Agora Energiewende, da er diesen lange selbst geleitet hat. Doch Robert Habeck ließ nun sämtliche Vorgänge durchleuchten, besonders jenen, von dem er vor dem Auftritt im Ausschuss erstmals gehört hatte. "Wir haben seit gestern Abend ein Ergebnis vorliegen. Dieses Ergebnis ist der Grund für die heutige Pressekonferenz", liest er vom Redezettel, für ihn untypisch, ab. Die erste Einschätzung sei noch entlastend gewesen - bei der Prüfung habe sich das dann aber in belastend umgekehrt.

Gestolpert, gefallen: Staatssekretär Patrick Graichen, Mit-Architekt der Energiepolitik der Bundesregierung. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Patrick Graichen zum Verhängnis wird nun ein Vorgang aus der Hochphase der Energiekrise, als es um Gasumlage und schließlich einen 200-Milliarden-Schirm zur Abfederung der im Zuge des russischen Krieges in der Ukraine in die Höhe geschnellten Strom- und Gaspreise ging. Und zwar eine von Graichen am 30. November 2022 bewilligte Projektförderung im Volumen von 600 000 Euro für ein Klimaschutzprojekt des Landesverbands Berlin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Im Landesverband Berlin sei aber Graichens Schwester aktiv, als Vorstandsmitglied, erläutert ein konsternierter Habeck, laut Vereinsregister sei sie bis Mai 2022 sogar Landesvorsitzende gewesen. Warum Graichen ihn darüber nicht informiert hat, das sagt Habeck an diesem Tag nicht.

"Bei diesem Sachverhalt handelt es sich um einen Vorgang der nationalen Klimaschutz-Initiative", referiert Habeck. "Es ist noch kein Geld geflossen, aber das Projekt wurde mit der Abzeichnung als förderungswürdig eingestuft. Die finale Entscheidung war daher nur noch eine reine Formsache." Habeck bilanziert: "Insofern ist es, wie die tiefere Prüfung zeigt, als Compliance-Verstoß zu bewerten." Es müsse schon der Anschein der Parteilichkeit vermieden werden. "Das ist hier nicht eingehalten worden." Die Fehler stünden eben nicht für sich allein, sondern seien in der Gesamtschau zu sehen.

"Um einen schweren Fehler zu verteidigen beziehungsweise damit umgehen zu können, muss ich sicher sein, dass die Compliance-Brandmauer, die wegen der Verwandtschaftsverhältnisse gezogen wurde, keine Risse hat. Diese Risse hat sie", sagt Habeck.

Am Vorabend dieses Auftritts musste Habeck eine Entscheidung treffen - und sie fällt ihm schwer, gerade weil er nicht dem medialen und politischen Druck nachgeben wollte. Um kurz nach elf Uhr ist an diesem 17. Mai 2023 aber dann das Kapitel Graichen beendet, das Habeck und den Grünen schwer zugesetzt hat, für die mit herben Verlusten ausgegangene Bremen-Wahl war das sicher kein Rückenwind.

"In der Gesamtschau" habe sich der Staatssekretär "zu angreifbar gemacht"

"In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch erfolgreich ausüben zu können", sagt der Wirtschaftsminister. Vor diesem Hintergrund seien Patrick Graichen und er gestern Abend in einem persönlichen Gespräch darin übereingekommen, "dass wir die gemeinsame Arbeit nicht fortsetzen". Er habe dem Bundespräsidenten vorgeschlagen, Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Das sei eine Entscheidung, "weitreichend für mein Haus, schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen". Es gehe jedoch darum, das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses als Institution zu schützen.

Fast zur gleichen Zeit äußert sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der isländischen Hauptstadt Reykjavik zu dem Vorgang, am Rande des Treffens des Europarats: "Ich bin darüber informiert worden und habe das zur Kenntnis genommen", sagt der Kanzler. "Mit Herrn Graichen habe ich gut zusammengearbeitet, und ich gehe nun davon aus, dass der Wirtschaftsminister seine gute Arbeit fortsetzt."

Einige in der Koalition werden an diesem Tag, nach diesen Wochen an das Sprichwort "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" denken. Und gerade aus der FDP gab es immer wieder Hinweise, dass Graichen ihre Einwände nicht ernst genug nehme, nicht mit allen auf Augenhöhe verhandele, mitunter wurde er als selbstherrlich und arrogant beschrieben.

Der Rauswurf erfolgt nun inmitten der finalen Verhandlungen über das Gebäude-Energie-Gesetz, besser bekannt als Heizungsgesetz. Ab 2024 sollen de facto neue Öl- und Gasheizungen nicht mehr eingebaut werden, aber die Ausnahmen, Übergangsregelungen und nach Einkommen gestaffelten Wärmepumpen-Förderungen sind noch auszuhandeln.

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Aus Sicht der Organisationen Lobbycontrol hat Robert Habeck mit dem nun bekannt gewordenen Fall keine andere Wahl gehabt. "Die vom Ministerium behauptete sogenannte Brandmauer hat nicht funktioniert", sagt Timo Lange von Lobbycontrol. "Das ist sehr bedenklich. Das Wirtschaftsministerium muss nun jenseits des Fehlverhaltens von Graichen erklären, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Graichen in die fragliche Förderentscheidung eingebunden war." Der Fall zeigt ganz deutlich, dass das Ministerium, aber auch die Bundesregierung insgesamt ihre Compliance-Verfahren und ihren Umgang mit Interessenkonflikten deutlich verbessern müssten, um alle Arten von Interessenkonflikten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Habeck ist es am Ende seines Auftritts am Mittwoch wichtig, zwei Dinge noch mal zu betonen. Die Art, wie die Debatte geführt worden sei, solle nicht stilbildend sein. Er berichtet von rechtsextremen Accounts, die Lügen über die Familie verbreitet hätten, diese seien von russischen Accounts verstärkt worden. In der Union wiederum war vom Graichen-Clan die Rede, der ganze Umgang ist für Habeck "unerträglich". Graichen sei über das berechtigte Maß an Kritik angefeindet worden. Und man solle bitte nicht Graichens Verdienste vergessen. "Patrick Graichen hat große Leistungen für dieses Land erbracht." Er habe durch seinen "überaus großen Einsatz" Deutschland vor einer ganzen Menge bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschafts- und Energiekrise abzuwenden, die Klimaschutzanstrengungen zu beschleunigen.

Aber Habeck muss einräumen, dass auch er selbst nun keinen Fehler mehr machen darf. Direkt nachdem er die Bühne verlässt, verspricht er, sich ans Telefon zu hängen und mit der Nachfolgesuche zu beginnen. Alle Kandidaten würden auf Herz und Nieren getestet - und bei jedem Auswahlverfahren solle aktiv gefragt werden, ob es persönliche Verbindungen gäbe. Eine Trauzeugen-Affäre soll ihm nicht noch einmal unterkommen.

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