Grüne:Alles nicht so einfach

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"Wir starten jetzt in die neue Bundesregierung mit einem starken und vielfältigen Kabinett": Die Präsentation der grünen Ministerriege in Berlin, von links: Claudia Roth, Anne Spiegel, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Cem Özdemir, Steffi Lemke. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Dass ein Ja herauskommen würde beim Mitgliederentscheid, das war schon klar, bevor es losging. Denn eines hat die Parteibasis noch nie getan.

Von Constanze von Bullion

Dann stehen sie da, mit erwartungsvollen Gesichtern, mit einer Portion Respekt im Bauch, auch das ist zu erkennen. Und mit ausdrücklicher Vorfreude. Das wird mehrmals betont. Auch wenn einige im grünen Regierungsteam schon jetzt etwas abgekämpft aussehen. "Es ist eine Phase, die nicht einfach ist", sagt Annalena Baerbock.

Montag in der Alten Münze in Berlin, in einer angejahrten Geldfabrik sind die künftigen grünen Ministerinnen und Minister der nächsten Bundesregierung auf eine kleine Bühne getreten. "Verkündung" heißt die Veranstaltung, bei der bekannt gegeben werden soll, ob die Parteimitglieder der Grünen dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP zustimmen. Dass ein Ja herauskommen würde bei diesem Mitgliederentscheid, das war schon klar, bevor es losging. Denn bei allem Murren über die Koalitionsverhandlungen, über das preisgegebene Verkehrsministerium oder auf der Strecke gebliebene Anführer wie Toni Hofreiter - einer Regierungsbeteiligung hat sich die grüne Basis noch selten verweigert, noch nicht einmal, als es um Krieg und Frieden ging.

Die Parteiführung wertet das Abstimmungsergebnis als Rückenwind

"Ich freue mich. Es ist ein guter Tag", sagt also Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, als er die Ergebnisse des Mitgliederentscheids vorlegt, genüsslich, als seien es Preziosen. 71 150 gültige Stimmen wurden abgegeben, 61 174 davon waren Ja-Stimmen. 86 Prozent der Grünen-Mitglieder, die sich an der Urabstimmung beteiligt haben, sind demnach einverstanden mit dem Verhandlungsergebnis. "Rückenwind" sei das, sagt Kellner. "Jetzt geht's an die Arbeit." Dass nur 56 Prozent der mehr als 125 000 Grünen-Mitglieder überhaupt abgestimmt haben, will man an der Parteispitze nicht als Dämpfer gelten lassen. Das sei ein "Mega-Ergebnis", wird später die designierte Kulturstaatsministerin Claudia Roth jubilieren. Verglichen mit früheren Urabstimmungen sei die Wahlbeteiligung beachtlich.

Was dann kommt, ist eine Kurzvorstellung der grünen Kabinettsmitglieder. Ein jeder und eine jede darf da die wichtigsten Vorhaben präsentieren. "Wir starten jetzt in die neue Bundesregierung mit einem starken und vielfältigen Kabinett", sagt die nächste Außenministerin Annalena Baerbock. Schon im zweiten Satz ist Baerbock dann bei der Corona-Pandemie, die zunächst einmal die "prioritäre und allerwichtigste Aufgabe" werde - neben den außenpolitischen Herausforderungen, etwa in der Ukraine.

Er schaue "zufrieden, fast stolz" auf den Koalitionsvertrag, sagt der designierte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die Versöhnung von ökologischen und ökonomischen Anliegen ziehe sich durch alle Ressorts und werde "die große Herausforderung dieser Regierung". Habeck bemüht sich sichtlich um etwas Optimismus und Aufbruchstimmung. Die Verhältnisse allerdings, sie sind nicht so. Klimakrise, Gesundheitskrise, außenpolitische Krise, Vertrauenskrise - es sind solche Stichworte, die den grünen Auftritt am Montag prägen.

Bald-Umweltministerin Steffi Lemke, eine von zwei Ostdeutschen im Kabinett, verspricht mit großem Ernst, das "Gespräch nicht zu kurz kommen lassen" zu wollen mit allen Landesteilen, etwa über Umweltschutz . "Das ist für mich ein ganz besonderer emotionaler Moment", sagt der nächste Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Er meint die Tatsache, dass einer wie er, Sohn türkischer Gastarbeiter, nun Bundesminister wird. Das sei "auch ein Symbol oder Zeichen für den Veränderungsprozess dieses Landes". Im Übrigen sehe Özdemir sich, auch als Vegetarier, als Anwalt von Bäuerinnen und Bauern.

In der Fraktion macht sich, was die Grünen einst das Feminat nannten, auf den Weg

Die designierte Familienministerin Anne Spiegel, die hier die nachwachsenden Generationen vertritt, betont immerhin, sie gehe "voller Vorfreude und Tatendrang" an die Arbeit. Familie, das sei vor allem Vielfalt, das müsse sich "auch rechtlich widerspiegeln" in Deutschland. Die Bundesregierung hat sich etliche gesellschaftspolitische Reformen vorgenommen, insbesondere auch im Familienrecht. Die designierte Kulturstaatsministerin Claudia Roth kündigt an, "der Erinnerungskultur einen großen Stellenwert einzuräumen in einer Zeit, in der es Fackelmärsche gibt", aber auch für eine gesellschaftliche Gruppe einzutreten, die die Pandemie besonders hart getroffen habe: "die Kulturleute". Im Übrigen, so gibt sie noch zu verstehen, vertrete sie im Kabinett mit Freuden den Freistaat Bayern. CSU-Generalsekretär Markus Blume hatte moniert, Bayern sei in der nächsten Bundesregierung nicht mehr vertreten.

Am Dienstag steht den Grünen schon die nächste Versammlung ins Haus. Die Bundestagsfraktion wählt eine neue Fraktionsspitze, und bis zuletzt sah es so aus, als mache sich da eine Formation auf den Weg, die in grüner Vorzeit mal "Feminat" hieß. Mit der Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge will eine Volkswirtin aus der linken Parteiströmung Fraktionsvorsitzende werden, sie gilt bei den Grünen schon länger als Nachwuchshoffnung; als gesetzt verbucht bis zuletzt auch die Wahl der langjährigen parlamentarischen Geschäftsführerin Britta Haßelmann zur Faktionschefin. Außerdem hat sich die Innenpolitikerin Irene Mihalic als erste parlamentarische Geschäftsführerin beworben. Die ehemalige Polizistin und promovierte Kriminologin aus Gelsenkirchen hat sich in den letzten Jahren gegen Rechtsextremismus, für die Aufarbeitung der NSU-Verbrechen und eine neue Architektur der Sicherheitsbehörden in Deutschland eingesetzt.

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