Schlechte Starts gehören zu Angela Merkels Koalitionen wie welke Salatblätter zur Käsesemmel: Man braucht sie nicht, bekommt sie aber immer mal wieder vorgesetzt. 2005 rumpelte Merkels erste große Koalition zwei Jahre lang vor sich hin, ehe die Finanzkrise sie zu einer beachtlichen Gemeinschaftsleistung motivierte. Die einzige schwarz-gelbe Koalition dieser Kanzlerin hielt sich für ein besonderes Projekt der Geschichte und war von Anfang an nur besonders unfähig. Merkels nächste Koalition begann 2013 von allen am ordentlichsten, ehe die Flüchtlingspolitik die Union spaltete.
Mit der vierten Koalition ist es wieder besonders mühsam. Die jetzt amtierende und ganz gewiss letzte Regierung Merkel brauchte allein schon ein halbes Jahr, ehe sie zusammengebastelt war. Und von einem schlechten Start ist nur deshalb noch nicht zu sprechen, weil man gar nicht sicher sein kann, ob sie überhaupt schon richtig angefangen hat. Horst Seehofer hatte als Innenminister in Berlin kaum eine Wohnung gefunden, da zettelte die CSU schon den nächsten Streit mit Merkel an. Ein Blick auf den Wahlkalender der kommenden Monate lässt ahnen, dass das nicht der letzte war, unabhängig davon, ob Seehofer die Rivalitäten in der eigenen Partei politisch überlebt oder nicht.
Treffen im Kanzleramt:Merkel, Seehofer und Scholz ringen um Rentenpaket
Stundenlang debattieren die drei Spitzenpolitiker, ohne sich zu einigen. Die SPD wirft der Union vor, die geplante Garantie des Rentenniveaus zu blockieren.
Nun nörgelt es sich hierzulande leicht und auf relativ hohem Niveau: Gemessen an manch anderem europäischen Staat wird Deutschland noch immer verlässlich regiert. Und Streit in der Sache gehört auch in eine Regierung und ihre Parteien. Nach aller Erfahrung raufen sich die Hauptdarsteller ja wieder zusammen und einigen sich vielleicht nicht immer, aber häufig auf brauchbare Kompromisse. Doch in dieser vierten Regierung Merkel werden die Kanzlerin und ihre Partner einfach dem eigenen Anspruch noch nicht gerecht, besser zu sein als eine Notregierung aus Wahlverlierern und mehr zu sein als eine Koalition des Übergangs.
Niemand erwartet noch Ausstrahlung von einer Regierung mit so vielen Akteuren
Das Spitzentreffen vom Samstagabend ist symptomatisch für den dickteigigen Charakter dieser Koalition. Wenn sich Kanzlerin, Vizekanzler und CSU-Chef nach dem Sommer treffen, dann würde man erwarten, dass sie sich eine Art strategischen Überblick verschaffen: Wo stehen wir? Angela Merkel hätte nach ihrer Kaukasusreise manches zu erzählen gehabt über die Anziehungskraft von politischem Optimismus oder die Aufbruchsstimmung ins digitale Zeitalter anderswo.
Stattdessen diskutiert das Spitzenpersonal stundenlang, ob man ein fertiges Rentenpaket noch mit neuen Vorhaben spickt, oder verhakt sich an Details von Arbeitslosenversicherung und Weiterbildung. Dem liegt der Irrglaube zugrunde, mit einer verlängerten, aber nicht gegenfinanzierten Rentengarantie oder mit 0,1 Prozentpunkten Beitragssenkung mehr oder weniger könnte man aus dem Gemütszustand der nächsten Landtagswähler noch etwas mehr Wohlwollen wringen.
Niemand erwartet noch Ausstrahlung von einer Regierung mit so vielen Akteuren in jeder Partei, die dagegen ankämpfen, dass Erfahrung allmählich wie Erstarrung wirkt. Aber wenn diese Koalition nicht zumindest Überzeugungskraft entwickelt, wird sie es schwer haben, überhaupt noch in die Gänge zu kommen. Denn nach den Wahlen in Bayern, Hessen und 2019 in Brandenburg und Sachsen dürfte immer mindestens eine Partei mit der Diskussion beschäftigt sein, ob ihr die Arbeit in der großen Koalition in Berlin nicht vielmehr schadet als nützt.