Großbritannien: Premier Cameron:"Wie auf einer Gartenparty"

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Die neue britische Regierung will die staatliche Überwachung zurückschrauben. Premier Cameron geht mit gutem Beispiel voran - und schlendert zum Schrecken der Geheimdienste ohne Personenschutz zur Arbeit.

In Großbritannien läuft nicht nur die letzte Staffel der Fernsehshow Big Brother, auch die Briten außerhalb des Containers sollen sich künftig weniger überwacht fühlen: Die neue konservativ-liberale Regierung kündigt eine radikale Kehrtwende bei der inneren Sicherheit an: Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren sollen abgeschafft, biometrische Personalausweise gar nicht erst eingeführt werden. Einen entspannten Umgang mit seiner persönlichen Sicherheit demonstriert auch der seit dem 11. Mai amtierende Premierminister David Cameron - zum Ärger der eigenen Geheimdienste.

Die Geheimdienste sind besorgt, weil er auf dem Weg zur Downing Street Nummer 10 auf Personenschutz verzichtet: Großbritanniens neuer Premier David Cameron. (Foto: dpa)

Cameron stellte bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt die etablierten Sicherheitsregeln für einen Premier auf den Kopf: Der 43-Jährige geht die wenigen hundert Meter zwischen Downing Street Nummer 10 und dem Parlamentsgebäude wie ein Tourist zu Fuß und teilweise ohne Personenschutz. Der Inlandsgeheimdienst MI5 stufte Camerons Bedrohung laut Medienberichten auf "akut" hoch, womit ein Anschlagsversuch als sehr wahrscheinlich angenommen wird. Sicherheitsbeamte werfen dem Konservativen vor, sich schutzlos einem Angriff von Terroristen auszusetzen. Bei Dienstfahrten verzichte er auf Polizei-Eskorten. Auch sein privates Internet-Handy will er nicht hergeben.

Ein früherer Personenschützer sagte der Online-Ausgabe der Londoner Times: "Er läuft herum wie auf einer Gartenparty, doch die Öffentlichkeit erträgt strenge Sicherheitskontrollen an Flughäfen und die Parlamentsgebäude sind von Pollern, Barrikaden und bewaffneten Polizisten umringt."

Camerons Sprecherin wies die Bedenken als "lächerlich" zurück. Der Premier gehe "keine extremen Risiken" ein, die Sicherheit sei jederzeit sehr hoch. Cameron will mit seiner persönlichen Haltung offensichtlich auch die Abkehr seiner Koalition aus konservativen Tories und Liberaldemokraten vom Überwachungsstaat demonstrieren.

4,5 Millionen Kameras

Die britische Regierung ist berüchtigt für die Überwachung ihrer Bürger und ihre Daten-Sammelwut. Mehr als 4,5 Millionen Kameras filmen das Leben der Briten und sollen Kriminelle abschrecken.

Damit soll auf der Insel jetzt Schluss sein. Die neue Regierung will viele von Bürgerrechtlern kritisierte Passagen in Gesetzen streichen. Das geht aus der am Donnerstag veröffentlichten Koalitionsvereinbarung hervor. Der europaweit geplante Personalausweis mit Fingerabdrücken, Iris- und Gesichtsmerkmalen soll in Großbritannien nicht eingeführt werden. "Die Regierung ist der Meinung, dass der britische Staat zu autoritär geworden ist und im vergangenen Jahrzehnt menschliche Grundfreiheiten und historisch gewachsene Bürgerrechte missbrauchte und aushöhlte", heißt es in dem Dokument. Die meisten der umstrittenen Verordnungen hatte die nun abgewählte Labour-Regierung unter Tony Blair und Gordon Brown erlassen.

Die Liste der neuen Freiheiten ist lang: DNS-Datenbanken und die öffentliche Kameraüberwachung sollen stärker reguliert werden. In Schulen soll kein Fingerabdruck von Kindern ohne Erlaubnis der Eltern mehr erfasst werden. Auf den Prüfstand kommt unter anderem das Verleumdungsrecht, das London neben dem Scheidungsrecht zum Mekka für Millionenklagen machte. Wie in Deutschland sollen Briten ein Auskunftsrecht in Behörden erhalten. Kurzum: Dem Volk soll die Angst vor dem Staat genommen werden. Auf dem Weg dorthin sollen David Camerons einsame Spaziergänge zur Arbeit der erste Schritt sein.

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