Ein paar Straßenecken vom Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel entfernt haben die Geheimagenten der EU ihre Büros. Wobei, Agenten sind sie eigentlich nicht; die etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EU Intelligence and Situation Centre (Intcen) dürfen nicht selbst spionieren. Sie sammeln, was die echten Agenten der einzelnen Mitgliedstaaten ihnen an Informationen liefern, und bereiten sie für den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell auf. Bis jetzt gibt es kaum klare Regeln dafür, welcher nationale Geheimdienst was wann übermitteln soll. Die Aufgabe des Intcen ist auch eher, strategische Analysen zu erstellen, und nicht, ad hoc zu koordinieren, wenn irgendwo ein Anschlag zu befürchten ist.
Die deutschen Grünen fordern deshalb eine "europäische Nachrichtendienstagentur" - zwar keinen eigenen EU-Geheimdienst, aber ein Zentrum, das die nachrichtendienstliche Arbeit in der Union stärker, besser und schneller koordinieren soll als das Intcen. Im Prinzip, wie Europol es schon für die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten tut. So schrieben es Konstantin von Notz und Irene Mihalic, die für die Grünen im Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestags sitzen, zusammen mit Co-Parteichef Omid Nouripour am Dienstag in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Die Dienste tauschen sich auf Zuruf längst aus
Eine solche EU-Behörde soll Terroranschläge und Desinformationskampagnen verhindern helfen. Denn zum Beispiel Russland, so schreiben die Grünen, greife Europa systematisch auf vielen Ebenen an, mit Spionage, Desinformation, Unterwanderung. Diese und andere Bedrohungen beträfen viele EU-Staaten gleichzeitig. Wie verworren die Spurensuche sein kann, hat etwa der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines gezeigt - Gasleitungen nach Deutschland, die in den Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens gesprengt wurden.
Die Idee von einer starken Brüsseler Geheimdienstbehörde ist nicht neu. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor zwei Jahren angeregt, ein gemeinsames "Lage- und Analysezentrum" für die Geheimdienste zu gründen, ohne allerdings ins Detail zu gehen. EU-Chefdiplomat Borrell sagte im vergangenen Jahr, an konkreten Vorschlägen arbeite man. Im Hintergrund laufen die Gespräche weiter, ist zu hören.
Dabei sind die deutschen Geheimdienste zufrieden mit der europäischen Zusammenarbeit. Die gibt es auch ohne kompetenzstarke Zentralbehörde: Die Dienste der EU-Staaten tauschen sich auf Zuruf aus, wenn irgendwo eine Information ankommt, die für ein anderes Land relevant ist. Und zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus wurde nach den Anschlägen des 11. September eigens die Counter Terrorism Group (CTG) eingerichtet, in der Dienste aus 30 europäischen Staaten ihre Erkenntnisse austauschen. Die CTG wiederum ist hervorgegangen aus dem "Berner Club", in dem sich seit Jahrzehnten die europäischen Geheimdienstchefs regelmäßig austauschen - und auch ihre Mitarbeiter auf Fachebene.
"Kein Mehrwert für Sicherheit", heißt es aus der CDU. Und was sagt die SPD?
Das Argument, dass es Foren wie das von den Grünen vorgeschlagene doch längst gebe, hört man auch von den Ampelkoalitionspartnern. Besonders bei den Sozialdemokraten herrscht Verwunderung über den Vorstoß. "Wir sollten erst mal darüber sprechen, wie wir die deutschen Dienste schlagkräftiger machen, bevor wir über neue europäische Modelle diskutieren", sagt Sebastian Hartmann, Geheimdienstexperte der SPD. Zu oft sei Deutschland bei konkreten Bedrohungslagen auf Hinweise befreundeter Staaten angewiesen.
Da ist der SPD-Politiker der Union näher als dem eigenen Koalitionspartner. Roderich Kiesewetter von der CDU sagt, den Vorschlag der Grünen finde er zwar grundsätzlich gut, aber es bringe "keinen Mehrwert für Sicherheit, wenn einer europäischen Nachrichtenagentur dieselben Fesseln angelegt werden wie den deutschen Diensten bisher". Der Linken-Geheimdienstkontrolleur André Hahn lehnt den Grünen-Vorschlag rundweg ab. Er finde es "befremdlich", dass gerade die Grünen neue und "letztlich kaum kontrollierbare Geheimdienststrukturen" forderten, sagte er der SZ - schließlich seien sie es doch, die innerhalb der Ampelkoalition mehr Kontrolle der Nachrichtendienste fordern.
Im Vergleich zu Sicherheitsbehörden anderer europäischer Staaten müssen Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst in Deutschland hohe Kontroll- und Transparenzstandards erfüllen. SPD-Experte Hartmann sagt, Geheimdienste anderer Länder seien da anders aufgestellt, hätten auch andere Befugnisse und Fähigkeiten. "Wenn die Basis für eine europäische Zusammenarbeit der kleinste gemeinsame Nenner sein soll, dann weiß ich nicht, wo der Anreiz für die anderen Europäer liegen sollte."