Nahost:Die Hürden sind hoch für ein Genozid-Urteil gegen Israel

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Explosion in Gaza-Stadt während eines israelischen Luftangriffs. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag könnte Israel im Extremfall auffordern, alle Kampfhandlungen einzustellen. (Foto: Mahmud Hams/AFP)

Findet in Gaza ein Völkermord statt? Dieser Frage geht der Internationale Gerichtshof in Den Haag ab Donnerstag nach. Beantragt hat das Verfahren ein treuer Verbündeter der Palästinenser: Südafrika.

Von Paul Munzinger und Ronen Steinke, Berlin/Kapstadt

Es ist der wohl heftigste Vorwurf, der in diesen Wochen gegen die israelische Regierung erhoben wird: Israels Kriegsführung in Gaza laufe darauf hinaus, einen Völkermord zu verüben. Diese Behauptung, die Demonstrierende von Marrakesch über Madrid bis München auf ihre Transparente schreiben, wird von diesem Donnerstag an auch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag beschäftigen.

Dieser UN-Gerichtshof - nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof -, der sich nicht mit einzelnen Personen, sondern nur mit Beziehungen zwischen Staaten befasst, verhandelt dann zwei Tage lang einen Eilantrag gegen Israel.

Sollte der Gerichtshof zu dem Schluss kommen, dass tatsächlich ausreichend Anhaltspunkte für einen Genozid in Gaza bestehen, dann könnten eine Reihe von Sofortmaßnahmen angeordnet werden. Israel könnte dann zum Beispiel dazu verurteilt werden, besseren Zugang für medizinische Versorgung zu gewähren oder auch für Nahrung oder Trinkwasser.

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Der UN-Gerichtshof hat keine Zwangsmittel, aber politisch Gewicht

Im Extremfall könnte Israel auch dazu aufgefordert werden, alle Kampfhandlungen einzustellen. So wünscht es sich jedenfalls der UN-Mitgliedsstaat Südafrika, der diesen Eilantrag an das Gericht gestellt hat - unter Verweis auf die Völkermordkonvention von 1948, die auch Israel ratifiziert hat.

Was die Richterinnen und Richter mit einfacher Mehrheit entscheiden, ist völkerrechtlich bindend. Es wird allerdings immer wieder ignoriert. So war es zum Beispiel kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. Der Gerichtshof verurteilte die Russische Föderation, sofort wieder abzuziehen, wovon Wladimir Putin sich wenig beeindruckt zeigte.

Zwangsmittel hat das Gericht nicht. "Es hat aber politisch Gewicht", sagt der Völkerrechtler Helmut Aust, Professor an der Freien Universität Berlin. "Auch Staaten, die Israel unterstützen, werden genau auf die Entscheidung schauen." Artikel 1 der Völkermordkonvention verpflichtet alle Vertragsparteien zur "Verhütung und Bestrafung" von Genoziden.

Für andere denkbare Verbrechen - etwa Kriegsverbrechen - ist Den Haag nicht zuständig

Die zentrale Frage während der Verhandlung wird sein, ob aus den israelischen Kriegshandlungen tatsächlich eine "genozidale Absicht" spricht. Die Absicht, ein Volk ganz oder teilweise zu vernichten, ist schwer nachzuweisen. "Die Anforderungen sind hoch", sagt der Völkerrechtsprofessor Aust. "Der Gerichtshof müsste so sicher sein, dass keine vernünftigen Zweifel an der Existenz eines solchen Genozid-Plans verbleiben."

Der Internationale Gerichtshof (nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof) im Friedenspalast in Den Haag. (Foto: Yves Herman/Reuters)

Südafrika versucht, die Existenz eines solchen Plans anhand von Äußerungen israelischer Politiker und Militärs zu belegen. In dem 84-seitigen Eilantrag, den die Regierung nach Den Haag übermittelte, zitiert sie etwa Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, der gesagt habe, nicht nur die Hamas, sondern auch all jene, die sie unterstützten, müssten "zerstört" werden. Dass das reicht, um den Völkermordvorwurf zu belegen, bezweifelt der Völkerrechtler Aust.

Zwar sei es denkbar, dass das Gericht sich bestimmte Militärtaktiken ansieht und daraus Rückschlüsse zieht. Aber auch dann seien die Anforderungen hoch - ein Genozid bleibt ein großes Wort. Für andere denkbare Verbrechen, beispielsweise Kriegsverbrechen, ist der UN-Gerichtshof nicht zuständig.

Südafrikas Regierung sieht die Palästinenser im Kampf gegen ein Apartheid-Regime

Der Gerichtshof ist mit 15 Richterinnen und Richtern besetzt, die in der Regel nicht für Experimentierfreude stehen. "Dies ist kein aktivistisches Gericht", sagt der Völkerrechtler Aust. Einer der Richter ist ein Deutscher, Georg Nolte, Austs Doktorvater. In dem aktuellen Eilverfahren gegen Israel wird außerdem noch ein israelischer Richter auf der Richterbank Platz nehmen - so wie es in Den Haag üblich ist, wenn ein Staat sonst nicht auf der Richterbank repräsentiert ist.

Für die Aufgabe hat die israelische Regierung den ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts in Jerusalem nominiert, Aharon Barak. Er ist kein Freund der Netanjahu-Regierung, sondern gilt im israelischen Koordinatensystem eher als Linksliberaler. Zusätzlich darf auch Israels Gegenseite einen Richter für diesen Einzelfall entsenden. Dies ist nicht Palästina, sondern Südafrika - der Staat, der sich hier als Anwalt der Völkermordkonvention im Namen der Palästinenser engagiert, die nicht selbst UN-Mitglied sind.

Außerhalb der muslimischen Welt gibt es wohl keinen Staat, der die Palästinenser so bedingungslos unterstützt wie Südafrika. Aus Sicht des seit 30 Jahren in Pretoria regierenden African National Congress (ANC) kämpfen die Palästinenser an der gleichen Front wie einst die schwarze Bevölkerung Südafrikas gegen das rassistische Apartheid-Regime, das bis 1994 herrschte. "Unsere Freiheit ist unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser" - dieser Satz des ersten schwarzen Präsidenten Nelson Mandela wird seit dem 7. Oktober rauf und runter zitiert in Südafrika.

Nach dem Angriff auf Israel mit 1200 Toten hatte Südafrikas Regierung ein Statement veröffentlicht, das lediglich von einer "zerstörerischen Eskalation im Israel-Palästina-Konflikt" sprach, die auf die "anhaltende Unterdrückung des palästinensischen Volkes" zurückzuführen sei.

Es wird erwartet, dass der Gerichtshof schon bald entscheidet

Im Eilantrag der Regierung heißt es nun zwar, dass Südafrika den Überfall der Hamas verurteile. Doch kein Angriff, so schwerwiegend und grausam er auch sein möge, rechtfertige einen Bruch der UN-Völkermordkonvention von 1948. So sehe es aus, schrieb Südafrikas Regierungssprecher auf der Plattform X, wenn das Land "seine Muskeln im Namen der Menschlichkeit" anspanne.

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Am Donnerstag wird vor dem Gerichtshof zunächst der Vertreter Südafrikas das Wort haben und die Kritik an Israel vortragen, dies ist Dikgang Moseneke, bis 2016 Vizepräsident des südafrikanischen Verfassungsgerichts. Am Freitag dann soll der Vertreter Israels erwidern.

Zu erwarten ist, dass der Gerichtshof dann auch schon bald entscheidet. Zum Vergleich: Im Fall der Ukraine fiel die Eilentscheidung schon am 16. März 2022, gerade mal drei Wochen nach Beginn des russischen Überfalls.

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