USA und der Krieg in Gaza:Mit einer Behelfsbrücke will Biden Gaza retten - und sich selbst

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Internationale Flugzeuge werfen Hilfsgüter für die Palästinenser im nördlichen Gazastreifen ab. Biden will Hilfe nun auch über eine behelfsmäßige Anlegestelle im Meer ermöglichen. (Foto: Ilia Yefimovich/dpa)

Der US-Präsident lässt vor Gaza einen Pier ins Meer bauen, um mehr Hilfe an die Palästinenser zu liefern. Das ist wohl auch dem Wahlkampf geschuldet.

Von Fabian Fellmann, Washington

Über das Meer soll mehr Hilfe die vom Hungertod bedrohte Bevölkerung von Gaza erreichen. Die USA werden dafür eine behelfsmäßige Anlegestelle ins Mittelmeer vor der Küste des Palästinensergebiets bauen, teilten Vertreter der US-Regierung am Donnerstag mit. Der schwimmende Pier soll es Hochseeschiffen ermöglichen, vor der Küste Gazas anzulegen, um Lebensmittel, Wasser, Medikamente und andere Hilfsgüter in großen Mengen anzuliefern.

Der Plan sieht vor, dass täglich Hunderte Lastwagen die Waren von der Seebrücke aus in den Küstenstreifen transportieren sollen, der seit dem Anschlag der Terrorgruppe Hamas auf Israel vor genau fünf Monaten weitgehend abgeschnitten und nur unzureichend mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser versorgt ist. Laut Warnungen von UN-Organisationen ist eine Hungersnot in Gaza kaum mehr abzuwenden.

Hunderte US-Soldaten sollen Landungsbrücke bauen, ohne nach Gaza selbst zu müssen

Der von US-Präsident Joe Biden angeordnete Bau der Behelfsbrücke soll einige Wochen dauern. Er hat damit das US-Militär betraut, das mehrere Hundert Soldaten dafür einsetzen will. Diese sollen allerdings den Boden von Gaza nicht betreten, nachdem Biden mehrmals gelobt hatte, in dem Krieg würden keine US-Truppen dorthin geschickt. Die Soldaten sollen vielmehr auf Schiffen vor der Küste stationiert bleiben.

Joe Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation im März 2024. (Foto: CHIP SOMODEVILLA/Getty Images via AFP)

Bei den Bauarbeiten möchten die Amerikaner mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Das Weiße Haus machte zunächst keine klaren Angaben dazu, wie stark Israel am Projekt beteiligt ist. Die Beamten sagten einzig, Israel sei für die Sicherheitskontrollen der Hilfslieferungen zuständig, damit diese nicht für Waffen oder anderes Kriegsmaterial missbraucht werden können. Medien zitierten anonyme israelische Beamte, die von einer "vollen Unterstützung" der US-Pläne sprachen.

Mehrere Länder hatten schon seit Monaten Diskussionen darüber geführt, wie Lebensmittel über das Meer nach Gaza transportiert werden könnten; allerdings fehlte ein geeigneter Tiefseehafen. Darum sollen die Güter vom zyprischen Hafen Larnaka aus zu dem geplanten Pier vor der Küste gebracht werden. Die USA hoffen, dass die Landungsbrücke mit der Zeit zu einem permanenten kommerziellen Hafen ausgebaut werden kann.

Biden verfolgt damit sowohl außenpolitische wie innenpolitische Ziele. Er dürfte mit der Ankündigung versuchen, den Druck auf die israelische Regierung zu erhöhen, einem Waffenstillstand mit der Terrorgruppe Hamas und einem Tausch von israelischen Geiseln gegen palästinensische Gefangene zuzustimmen, bevor am Wochenende der muslimische Fastenmonat Ramadan beginnt.

"Mehr als 30 000 Palästinenser wurden getötet, von denen die meisten nicht der Hamas angehören", sagte Biden am Donnerstagabend (Ortszeit) bei der traditionellen Rede zur Lage der Nation vor den beiden Kammern des US-Kongresses in Washington. Kinder seien zu Waisen geworden, Menschen hätten ihre Häuser verloren und seien vertrieben worden. Viele seien ohne Nahrung, Wasser und Medizin. "Es ist herzzerreißend." Eindringlich wandte sich Biden an die israelische Führung, ihren Beitrag zu leisten zur humanitären Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung: "Israel muss mehr Hilfslieferungen nach Gaza zulassen und sicherstellen, dass die humanitären Helfer nicht ins Kreuzfeuer geraten", mahnte der Demokrat. "Humanitäre Hilfe darf nicht zweitrangig sein oder als Verhandlungsmasse dienen. Der Schutz und die Rettung unschuldiger Menschen muss Vorrang haben."

Biden handelt auch aus innenpolitischen Gründen

Vor einer Woche hatten die USA erstmals Hilfsgüter aus der Luft über der Küste vor Gaza abgeworfen. Kurz danach empfing Vizepräsidentin Kamala Harris in Washington Benny Gantz. Er ist Mitglied in Israels Kriegskabinett und gleichzeitig größter politischer Rivale von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der Empfang war auch eine undiplomatische Zurechtweisung für Netanjahu, dem Biden bisher entgegen den Gepflogenheiten im Verhältnis zwischen den zwei verbündeten Ländern eine Einladung ins Weiße Haus verweigert hat. Nach Einschätzung des US-Präsidenten unternimmt Netanjahu zu wenig, um beim Krieg gegen die Hamas die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen.

Der Zeitpunkt von Bidens Ankündigung hängt allerdings wohl nicht nur mit dem anstehenden Ramadan zusammen. Ähnlich wichtig dürfte in seinem Kalkül der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf gewesen sein. Bei der Vorwahl am Super Tuesday zeigte die Wählerschaft in Minnesota dem Demokraten, wie groß die Unzufriedenheit mit seiner als zu proisraelisch wahrgenommenen Nahostpolitik ist.

Fast 19 Prozent der Teilnehmer an der demokratischen Vorwahl, mehr als 45 000 Personen, verweigerten ihm explizit ihre Stimme und kreuzten auf dem Wahlzettel "uncommitted" an, was einer Enthaltung entspricht. Ähnlich war es Biden schon in Michigan ergangen.

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Kritik übt zwar eine Minderheit in Bidens Partei, vor allem jene aus dem progressiven Lager sowie jene mit arabisch-muslimischen Wurzeln. Die Gruppen wirkten aber bei den Vorwahlen zahlreich und organisiert genug, um Biden in Swing States mit knappen Mehrheitsverhältnissen in Schwierigkeiten zu bringen, falls sie ihm auch bei der Präsidentschaftswahl im November ihre Stimmen verweigern sollten. Indem Biden bei seiner viel beachteten Rede zur Lage der Nation mehr Hilfe für Gaza ankündigt, will er solche Kritik entschärfen. Der US-Präsident liegt aktuell in Umfragen hinter seinem republikanischen Herausforderer Donald Trump.

Allerdings dürfte Biden mit der wochenlangen Stationierung von US-Soldaten vor Gaza auch Risiken eingehen. Nach dem Ausbruch des Krieges wurden amerikanische Truppen in Jordanien, Irak und im Roten Meer von Milizen angegriffen, die wie die Hamas von dem schiitischen Regime in Iran unterstützt werden.

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