Nach monatelangen Diskussionen haben sich Bund und Länder am Mittwoch wegen der drastisch gestiegenen Energie- und Wärmepreise in Deutschland auf neue finanzielle Hilfen für die Bürgerinnen und Bürger geeinigt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte nach einem Treffen mit den Länderchefs vor allem milliardenschwere Entlastungen für Millionen Strom- und Gaskunden an. Vom kommenden Jahr an soll es zudem ein 49 Euro teures Nachfolgemodell für das bundesweit gültige Neun-Euro-Nahverkehrsticket geben. "Wir haken uns unter und lösen die Probleme unseres Landes gemeinsam", sagte Scholz. Die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, Stephan Weil (SPD) und Hendrik Wüst (CDU), sprachen von einem guten Kompromiss.
Erstmals spürbar werden sollen die Entlastungen im Dezember. Für rund 20 Millionen Deutsche soll dann die gesamte Gasrechnung entfallen. Je nach Wohnsituation sollen die Bürger auf unterschiedlichen Wegen von der Hilfe profitieren. Wer etwa selbst einen Vertrag bei einem Versorger hat, muss im Dezember keinen Abschlag zahlen. Wer die Kosten für Gas als Mieter über die Nebenkosten zahlt, soll bei der nächsten Jahresabrechnung um den Betrag entlastet werden. Die Kosten beziffert die Regierung auf neun Milliarden Euro. Um die Pläne rasch umzusetzen, sollen Bundestag und Bundesrat den Entwurf bereits kommende Woche beschließen.
Noch Anfang Oktober war eine Sitzung der Länder mit Kanzler Scholz wegen etlicher Streitpunkte ergebnislos zu Ende gegangen. Diesmal hätten sorgfältige Vorbereitungen den Weg geebnet, betonten Scholz, Weil und Wüst. In der jetzigen Lage sei es für Bürgerinnen und Bürger wichtig zu wissen, "dass die unterschiedlichen Ebenen gut zusammenarbeiten", hob Weil hervor. Wüst sprach von einem "Ergebnis, das den Menschen Klarheit gibt".
Insgesamt sollen den Plänen des Bundes zufolge bis April 2024 etwa 200 Milliarden Euro in Entlastungsmaßnahmen fließen. Neben Preisdeckeln für Gas und Strom ist dabei auch ein Härtefallfonds geplant, um besonders hohe Kosten bestimmter Unternehmen, von Krankenhäusern, Pflegeheimen und sozialen Einrichtungen aufzufangen. Die Dezemberhilfe gilt zudem nur als Brücke für ein dauerhaftes Modell, das von Februar oder März an gelten soll. Dann sollen 80 Prozent des gewöhnlichen Gasverbrauchs von Haushalten und Gewerbe auf zwölf Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden. Der Marktpreis liegt im Schnitt derzeit über 20 Cent. Wer mehr verbraucht, muss für diese Strommengen dann den vollen Marktpreis zahlen. In den Genuss der Entlastung sollen Haushalte und kleine Gewerbebetriebe kommen.
Die Länder appellierten allerdings eindringlich an den Bund, für lückenlose Entlastungen zu sorgen. "Es wäre ein gutes Signal, wenn der Bund die Winterlücke schließen würde", sagte Wüst. Gerade im Januar, dem kältesten Monat, solle eine Lücke vermieden werden. Weil sprach in diesem Zusammenhang von einem "gut gemeinten Rat" der Länder. Scholz verwies darauf, dass man sich an den Empfehlungen der Gaspreis-Kommission orientiert habe, sagte aber Überlegungen zu, was "noch verbessert" werden könne. Eine Rückwirkung der Gaspreis-Bremse zum 1. Februar 2023 werde angestrebt, heißt es im Beschluss von Bund und Ländern.
Auch beim Strom droht den Deutschen eine Verzögerung bei den Hilfsmaßnahmen. Zwar wollen Bund und Länder von Januar an eine sogenannte Strompreisbremse einführen. Sie sieht für Haushalte einen Kilowattstunden-Preis von 40 Cent für 80 Prozent des üblichen Verbrauchs vor. Neukunden müssen derzeit für Strom meist deutlich über 60 Cent zahlen. Die Energiebranche, die die Entlastungen über ihre Verträge mit den Kunden umsetzen soll, machte jedoch klar, dass sie die Einführung direkt zum Jahresstart noch gar nicht für machbar hält. "Das ist zeitlich völlig unrealistisch", warnte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Energieverbands BDEW.
Bund und Länder einigten sich in ihren mehrstündigen Verhandlungen auch auf eine Nachfolgelösung für das bundesweite Neun-Euro-Nahverkehrsticket. Es soll zum Preis von 49 Euro kommen, allerdings später voraussichtlich teurer werden. Starten solle das Ticket "nach Möglichkeit im Januar", kündigte Weil an. "Das ist eine wichtige praktische Verbesserung für das Leben vieler Menschen", lobte er.
Auch bei der zuletzt umstrittenen Hilfe für die Unterbringung von Flüchtlingen ging der Bund auf die Länder zu. Die Regierung will Länder und Kommunen den Beschlüssen zufolge mit insgesamt 4,25 Milliarden Euro im laufenden und im kommenden Jahr unterstützen. Russlands Präsident Wladimir Putin treibe ein "zynisches Spiel", indem er im russischen Angriffskrieg möglichst viele Ukrainer in die Flucht zwingen und so auch die Aufnahmeländer destabilisieren wolle, sagte Wüst. "Dem müssen wir trotzen, indem wir zusammenhalten", forderte er.