Gaza:Außenminister der G7 fordern humanitäre Pausen

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G-7-Außenministertreffen in Tokio (von li.): James Cleverly aus Großbritannien, Annalena Baerbock und Antony Blinken, Gastgeberin Yoko Kamikawa, Mélanie Joly aus Kanada, die Französin Catherine Colonna und der Italiener Antonio Tajani. (Foto: Jonathan Ernst/DPA)

Hilfskorridore für die Palästinenser und ein Bekenntnis zur Zweistaatenlösung: Die Minister der westlichen Industrieländer äußern sich in Japan zur Lage in Gaza. Auch für die Ukraine haben sie eine Botschaft.

Von Paul-Anton Krüger, Tokio

Als "echtes Arbeitsteam über drei Kontinente hinweg" hat Annalena Baerbock die G 7 bei ihrer Ankunft zum Außenministertreffen am Dienstagabend in Japan gelobt. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die Gruppe der wichtigsten westlichen Industrienationen schnell von einem Forum für informellen Austausch zu einer zentralen Instanz operativer Außenpolitik gewandelt, nicht zuletzt auf deutsche Initiative hin.

In Tokio stand nun mit der Lage im Nahen Osten die zweite Großkrise auf der Agenda - und der Versuch, zu dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dem Krieg im Gazastreifen eine ebenso geschlossene Haltung zu finden, wie es bei der Unterstützung der Ukraine gelungen ist, auch nicht ohne Diskussionen etwa über Waffenlieferungen. Die Unterschiede waren bei der Abstimmung über die Gaza-Resolution in der UN-Generalversammlung offenkundig geworden. Während die USA gegen den von Jordanien eingebrachten Text stimmten, der von Israel einen Waffenstillstand fordert, votierte Frankreich dafür, die anderen G-7-Staaten enthielten sich.

Wie könnte die Zukunft Gazas nach dem Krieg aussehen?

Bei einem Arbeitsessen im Iikura-Gästehaus des japanischen Außenministeriums tauschten sich die Minister über ihre Gespräche in der Region aus. US-Außenminister Tony Blinken hatte in den Tagen zuvor Israel, Jordanien, das Westjordanland, den Irak und die Türkei besucht. Frankreichs Ressortchefin Catherine Colonna war in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Selbst die Gastgeberin, Japans Außenministerin Yoko Kamikawa, erst seit Ende September im Amt, war in den Nahen Osten gereist.

Alle hätten Israels Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des humanitären Völkerrechts betont, hieß es aus Baerbocks Delegation. Zugleich sei man sich einig gewesen, dass die humanitäre Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung dringend ausgebaut werden müsse. Das spiegelt sich auch in der Abschlusserklärung wider, in der die G-7-Staaten "humanitäre Pausen und Korridore" fordern, um Hilfe ebenso zu ermöglichen wie die Bewegung von Zivilisten im Gazastreifen und die Freilassung der von der Hamas verschleppten Geiseln. Konsens bestand auch, dass eine Eskalation zu einem Krieg, der die gesamte Region erfasst, vermieden werden müsse.

Zudem tauschten sich die Minister über Ideen aus, wie der Gazastreifen nach dem Ende des Krieges verwaltet und die Sicherheit dort gewährleistet werden könne. Israel hat als Kriegsziel ausgegeben, die militärischen Strukturen der Hamas zu zerstören und ihre Herrschaft über Gaza zu beenden. Die radikalislamische Miliz hatte 2007 die konkurrierende Fatah gewaltsam aus dem Gazastreifen vertrieben, seitdem regiert sie das Gebiet autoritär.

Blinken fordert: keine gewaltsame Vertreibung der Palästinenser

In der Abschlusserklärung findet sich dazu nur ein Bekenntnis zur Zweistaatenlösung. US-Außenminister Tony Blinken macht in seiner Pressekonferenz allerdings so konkret und detailliert wie bislang nie seit Kriegsausbruch klar, welche Parameter US-Präsident Joe Biden für die Zeit nach den Kämpfen als unabdingbar betrachtet. Ausgangspunkt ist, dass die Hamas nicht an der Macht bleiben kann, wenn Israels Sicherheit wieder hergestellt werden soll - die Raketenangriffe dauern an.

Zugleich forderte Blinken, es dürfe keine gewaltsame Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen geben, weder während der Kampfhandlungen noch nach Kriegsende. Das Gebiet dürfe keinesfalls als Ausgangspunkt für Terrorismus oder andere gewaltsame Attacken genutzt werden. Zugleich dürfe es aber keine neuerliche Besetzung des Gazastreifens durch Israel geben, das sich 2005 aus dem Küstenstreifen zurückgezogen hatte.

Des Weiteren dürfe es keine Versuche geben, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern. Auch lehnte Blinken ab, das Territorium zu reduzieren, eine Forderung, die in Israel erhoben worden ist, um eine Pufferzone einzurichten. Zudem müsse es eine von Palästinensern geführte einheitliche Regierung für den Gazastreifen und das Westjordanland geben. Angesprochen auf Äußerungen von Israels Premier Benjamin Netanjahu, Israel werde auf unbegrenzte Zeit die Gesamtverantwortung für die Sicherheit im Gaza übernehmen, sagte Blinken, das sei für eine Übergangszeit denkbar. Überlegungen gehen laut Diplomaten in Richtung einer internationalen Präsenz, an der sich westliche und arabische Staaten wohl gleichermaßen mit Truppen beteiligen müssten.

Baerbock und Blinken haben sich abgestimmt

Außenministerin Baerbock äußerte sich wenig später sehr ähnlich. Es brauche "kluge Lösungen, vom wem und wie Gaza verwaltet werden kann" und Schritte zu einer Zweistaatenlösung. Baerbock hatte vor zwei Wochen beim Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg ihre Vorstellungen eingebracht, die sich weitgehend mit denen decken, die Blinken jetzt öffentlich vorbrachte. Die beiden hatten sich bei den UN in New York und auch in Tokio bilateral abgestimmt.

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Zudem wandte sich Blinken "an jene, die einen sofortigen Waffenstillstand fordern" - gemeint waren vor allem die arabischen Staaten. Sie hätten die Verpflichtung zu erklären, wie dann zu verhindern sei, dass die Hamas an der Macht bleibe, mit mehr als 200 Geiseln in ihrer Gewalt sowie der Fähigkeit und erklärten Absicht, den Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober zu wiederholen.

Auf die Aufmerksamkeit, die der Krieg in Gaza auf sich ziehe, verwies Japans Außenministerin auch bei der letzten Arbeitssitzung, zu der Dmytro Kuleba zugeschaltet war, der Außenminister der Ukraine. Von der Sitzung gehe die klare Botschaft aus, dass die G 7 trotzdem geschlossen an der Seite der Ukraine stünden, sagte Kamikawa. Um Russlands Einnahmen aus Importen weiter zu verringern, kündigten die G 7 an, Beratungen über Sanktionen für Wirtschaftssektoren wie Energie, Metalle und Diamanten zu beschleunigen. Russisches Staatsvermögen, das eingefroren ist, soll nicht freigegeben werden, bis Moskau für die Schäden bezahlt hat, die es in der Ukraine verursacht hat, heißt es dazu in der Abschlusserklärung.

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