Atomruine Fukushima:Die Fischer klagen, China zürnt

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"Kein strahlenverseuchtes Wasser in den Ozean!" In Japan sorgen sich viele vor den Folgen der Einleitung ins Meer, wie hier Demonstranten in Tokio. (Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Betreiber Tepco ist froh, dass er behandeltes Kühlwasser aus seinem havarierten Atomkraftwerk Fukushima ins Meer leiten darf. Für das Ansehen der japanischen Regierung im In- und Ausland aber ist der Vorgang ein Desaster.

Von Thomas Hahn und Lea Sahay, Peking/Tokio

Der Donnerstag war ein guter Tag für Tepco, den Betreiber des kaputten Kernkraftwerks Fukushima Daiichi an Japans Ostküste. Am Donnerstag durfte der Energieproduzent nämlich damit anfangen, behandeltes Kühlwasser aus den Reaktor-Ruinen durch einen Tunnel stark verdünnt ins Meer zu leiten. Fast zwölfeinhalb Jahre ist es her, dass ein Tsunami im Kraftwerk eine dreifache Kernschmelze auslöste. Jeden Tag braucht Tepco etwa 170 Tonnen Wasser, um den verbliebenen hoch radioaktiven Schrott zu kühlen. Die Auffangtanks sind fast voll. Tepco blieb nicht mehr viel Zeit. Es muss eine Erleichterung sein für die Fachleute der Firma, dass das Wasser nach der Reinigung unter anderem mit einem speziellen Filtersystem namens "ALPS" endlich abfließen darf.

Ob der Tag gut für Japan war, ist allerdings eine andere Frage. Denn er hat eine Welle des Zorns ausgelöst, die nicht nur das Verhältnis zu vielen Nachbarn in der Pazifikregion trübt, sondern auch zu Spaltungen innerhalb Japans führt. Dabei hat die IAEA, die Atomenergie-Aufsicht der Vereinten Nationen, Japans Vorgehen für unbedenklich erklärt, weil in dem behandelten Kühlwasser nur noch das eher schwach radioaktive Radionuklid Tritium enthalten sei. Ein Radionuklid ist eine Atomsorte, die wegen ihres instabilen Kerns radioaktiv ist. Die IAEA hat eine Website angelegt, bei der man Tepco-Daten zum Wasser-Ablassen live verfolgen kann. Die Betreiberfirma hat ihr Vorgehen vielfach erläutert. Südkoreas konservative Regierung sagt, sie respektiere das Urteil der IAEA. Japans Premierminister Fumio Kishida mahnt "zu einer wissenschaftlich fundierten Diskussion". Aber es nützt nichts.

Südkoreas Oppositionsführer wütet, Japan handle wie ein "Umwelt-Kriegsverbrecher"

An Japans Ostküste fühlen sich Fischer und Anwohner übergangen. Rund 100 von ihnen wollen deshalb gegen Tepco und die Regierung vor Gericht ziehen, das gaben deren Anwälte am Donnerstag bekannt. Ziel des Prozesses: dass Tepco aufhört, das Wasser abzulassen. Und im Ausland beschweren sich nicht nur jene, die grundsätzlich gegen Japan sind, Nordkorea zum Beispiel oder die "Diaoyutai Education Association" in Taiwan - der Verband macht Taiwans Ansprüche auf die Felseninseln im Ostchinesischen Meer geltend, welche Japan unter dem Namen Senkaku verwaltet.

Auch das Gesundheitsministerium in Malaysia erklärte, es prüfe seit Donnerstag "Hochrisiko-Lebensmittel aus Japan". Das Forum der Pazifik-Inselstaaten war verstimmt, weil die Fukushima-Frage unter seinen 18 Mitgliedern noch umstritten sei. "Wir haben unser Bestes getan, um Japan dazu zu bewegen, mit der Einleitung nicht zu beginnen, solange sich nicht alle einig sind, dass es nachweislich sicher ist. Aber Japan hat eine souveräne Entscheidung getroffen", sagte Generalsekretär Henry Puna in Fidschi. Jetzt konzentriere man sich darauf, dass Japan die Sicherheitsstandards einhalte.

Über diese Vorrichtung wird das Kühlwasser verdünnt und dann in einen Tunnel geleitet - der führt in den Ozean vor Japans Küste. (Foto: AP)

In Südkoreas Hauptstadt Seoul gab es Proteste von Bürger- und Umweltgruppen. Oppositionsführer Lee Jae-myung nutzte die Gelegenheit zu einer Attacke auf den japanfreundlichen Präsidenten Yoon Suk-yeol. "Japan hat den Weg eines Umwelt-Kriegsverbrechers gewählt", sagte Lee, Yoon sei ein "Komplize". Vize-Regierungschef Han Duck-soo sagte hingegen, übertriebene Sorge sei unnötig, und mahnte, Japan solle während der 30 Jahre, in denen Tepco Kühlwasser ins Meer leiten will, "transparent und verantwortlich" bleiben. Die Einfuhr von Meeresfrüchten aus der Region Fukushima verbietet Seoul seit 2013.

Peking kritisiert Japan hart, im Netz diskutieren die Chinesen fast panisch

Aber am größten ist die Entrüstung beim größten Handelspartner Japans. Am Donnerstag kündigten Chinas Behörden einen Stopp sämtlicher Importe von Fisch und Meeresfrüchten aus Japan an. Zuvor hatte die Regierung in Peking den japanischen Botschafter einbestellt. Ein Sprecher des Außenministeriums warnte vor einer "zweiten menschengemachten Katastrophe", Japan sei ein "Saboteur des Ökosystems". Peking warf Tokio vor, falsche Daten über das verunreinigte Wasser zu veröffentlichen. Japan sei daran gescheitert zu beweisen, dass das Kühlwasser sicher und harmlos ist. "Sobald Japan mit der Einleitung beginnt, ist es gezwungen, für viele Jahre die internationale Ächtung auszuhalten."

Die Kritik ist wohl eher politisch motiviert. Für Wissenschaftler ist es in China kaum mehr möglich, öffentlich eine Einschätzung zu äußern, die der Parteilinie widerspricht. Und die Diskussionen der Menschen im Internet wirken fast panisch. Chinas Regierung hatte schon im Juni eine Großkampagne gegen Japan gestartet, angeblich, um die Einleitung des Wassers noch zu stoppen. In verschiedenen Online-Umfragen erklärten Menschen, aus Sicherheitsbedenken keine Fischprodukte aus Japan mehr essen zu wollen. Am Donnerstag war in einigen Onlineshops jodhaltiges Salz vergriffen. Eine Mutter teilte das Video ihres heulenden Sohns, der Japan von einer Weltkarte riss. Viele riefen zum Boykott von japanischen Produkten auf. Manche erklärten, ihre japanischen Spielkonsolen für umgerechnet ein paar Euro zu verkaufen. "Können wir Japan nicht angreifen? Warum ist das kleine Land noch nicht tot?", kommentierte jemand. "Die Welt kann ohne Japan existieren, aber nicht ohne die Ozeane", schrieb ein anderer.

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Japanische Produkte sind in China beliebter als Japan selbst. Deshalb könnte ein Boykott Japans Firmen durchaus schaden. Aber ob es dazu wirklich im großen Stil kommt? Experten gehen vorerst davon aus, dass Japans Wirtschaft nicht besonders leidet unter der Eskalation in der Kühlwasser-Debatte, auch wenn China Japans größter Absatzmarkt für Meeresfrüchte und die Fischer im Inselstaat die Hilfen brauchen dürften, die Tokio wegen der Krise in Aussicht stellt. Meeresfrüchte machen weniger als ein Prozent des japanischen Exports aus. "Wirtschaftlich gesehen sind die Auswirkungen eines möglichen Verbots von japanischen Lebensmittellieferungen minimal", sagte Stefan Angrick von der Unternehmensberatung Moody's Analytics der Nachrichtenagentur Reuters.

Aber der Ärger der anderen bleibt, und den wird Japan so schnell wohl nicht loswerden.

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