Natürlich wird an diesem Wochenende wieder von Freundschaft die Rede sein, vom Tandem, vom Motor, vom Paar. Wenn der Jahrestag des Élysée-Vertrages ansteht, werden traditionell viele Bilder für das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich bemüht. Am 22. Januar 1963, also vor 60 Jahren, legten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle die Grundlage für dieses Vokabular - mit der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages, der das Verhältnis der beiden einst so verfeindeten Länder auf eine neue Ebene heben sollte. Mit keinem anderen Land arbeitet die Bundesrepublik seitdem so eng zusammen wie mit Frankreich.
Das Programm für die große Jubiläumsfeier am Sonntag in Paris klingt nach viel Pomp: Es treffen nicht nur Mitglieder der beiden Parlamente zusammen, sondern auch die deutschen und französischen Regierungen sowie Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz. Es soll einen großen Festakt an der Universität Sorbonne geben, eine Kranzniederlegung vor dem Panthéon, eine gemeinsame Sitzung der Abgeordneten in der Assemblée Nationale, der Nationalversammlung, und eine Pressekonferenz im Élysée-Palast, also dort, wo vor 60 Jahren alles anfing.
Dabei hatte sich die Stimmung zwischen Deutschland und Frankreich zuletzt eher weniger festlich angefühlt. Der Krieg in der Ukraine legte Konflikte offen, die schon lange zwischen den Nachbarländern schwelen. In der Verteidigungspolitik und in der Energiepolitik, bei der Vorstellung von Europa. Der eigentlich schon im vergangenen Herbst geplante deutsch-französische Ministerrat wurde kurzfristig abgesagt und auf Januar verschoben. Offiziell waren Terminprobleme schuld, inoffiziell hieß es, die Differenzen seien einfach zu groß gewesen.
Auf die offene Eskalation folgten eine gegenseitige Besuchsoffensive und jede Menge Beteuerungen der deutsch-französischen Freundschaft. Statt zusammen mit seinen Ministerinnen und Ministern reiste Kanzler Scholz im Oktober allein von Berlin nach Paris, im Umfeld beider Politiker gab man sich Mühe zu betonen, dass das Gespräch sehr gut gelaufen sei. Kurz darauf kamen innerhalb einer Woche Außenministerin Annalena Baerbock, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner nach Paris. Wenn an diesem Wochenende der deutsch-französische Ministerrat nachgeholt wird, wird sich zeigen, ob man inhaltlich tatsächlich weitergekommen ist.
Rüstung, Atomkraft, Gaspreisdeckel - das Streitpotenzial ist groß
Zuletzt überraschte Macron mit der Ankündigung, der Ukraine "leichte Kampfpanzer" des Typs AMX-10 RC liefern zu wollen. Frankreich sei das erste Land, das der Ukraine Kampfpanzer westlicher Bauart zur Verfügung stelle, hieß es aus dem Élysée-Palast. Macron machte seine Ankündigung nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij. Dabei hatte es zuvor offenbar bereits Abstimmungsversuche zwischen Frankreich, Deutschland und den USA gegeben. Einen Tag nach Macrons Vorpreschen erklärten Deutschland und die USA gemeinsam, der Ukraine Marder- und Bradley-Schützenpanzer liefern zu wollen.
Beim Thema Rüstung hatte es zuletzt immer wieder gehakt zwischen Deutschland und Frankreich. Im vergangenen Jahr irritierte Berlin Paris damit, dass es in den USA Tarnkappenflugzeuge vom Typ F-35 kaufte und mit osteuropäischen Nachbarn einen Luftverteidigungsschirm ohne französische Beteiligung verabredete.
Beim Luftkampfsystem FCAS, das Deutschland und Frankreich zusammen mit Spanien entwickeln, gab es zuletzt Fortschritte. Nach langem Hin und Her um die Führungsrolle soll der französische Flugzeugbauer Dassault das Konsortium anführen, das Projekt soll in die Entwicklungsphase gehen. Dafür sind allerdings noch immer nicht alle Verträge zwischen den beteiligten Unternehmen unterschrieben.
Auch in den Bereichen Energie und Wirtschaft gab es in den vergangenen Monaten Unstimmigkeiten zwischen den Nachbarländern. Dass in Deutschland drei Atomkraftwerke länger laufen müssen als bisher geplant, führte Wirtschaftsminister Habeck auch darauf zurück, dass die französischen Atomkraftwerke wegen Korrosionsschäden und Wartungsarbeiten weniger Strom produzierten. Kritik am französischen Atompark sei "unangebracht", sagte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire in einem Interview mit der FAZ.
Deutschland dürfe sich nicht isolieren, warnte Macron
Als Bundeskanzler Scholz im September sein 200-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die deutsche Wirtschaft verkündete, war man im Nachbarland verärgert. Gerne wäre Paris, wie es eigentlich deutsch-französische Tradition ist, vorher über die Pläne informiert worden. In Berlin verteidigte man sich, auch Frankreich habe seine Unterstützungspakete für die französische Wirtschaft nicht vorher abgesprochen.
In der EU gehörte Deutschland zu den Ländern, die einen europäischen Gaspreisdeckel zunächst ablehnten, Frankreich war hingegen dafür. Die Unstimmigkeiten gingen so weit, dass Macron im Herbst am Rande eines EU-Gipfels davor warnte, Deutschland dürfe sich "nicht isolieren". Der Kompromiss mit vielen Sicherheitsvorkehrungen, auf den sich die EU inzwischen geeinigt hat, ist weniger als das, was Frankreich sich erhofft hatte.
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Die Liste mit Streitpunkten ließe sich noch weiterführen, mit dem China-Besuch des deutschen Kanzlers im vergangenen Herbst, bei dem der französische Präsident gerne dabei gewesen wäre, mit der Midcat-Pipeline für Flüssigerdgas durch die Pyrenäen, die Scholz gerne gehabt hätte und die Macron hinter seinem Rücken zusammen mit den Spaniern beerdigt hat.
Erst vor zwei Tagen unterschrieb Macron mit Spaniens Premierminister Pedro Sánchez ein französisch-spanisches Freundschaftsabkommen, vor zwei Jahren hatte er ein ähnliches Abkommen mit Italien geschlossen. Sucht Frankreich sich jetzt neue Partner, unabhängig von Deutschland? Dass man seine Beziehungen zu Spanien verstärke, habe keine Auswirkung auf die Art und Weise, wie man die Beziehung zu Deutschland wahrnehme, hieß es im Vorfeld aus dem Élysée-Palast.
Auf die Frage, ob sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich in den vergangenen Monaten verbessert hätten, sagen Macrons Berater: Man wisse nicht, ob man von Verbesserung sprechen müsse, die Beziehungen seien schließlich nie abgebrochen.