Energiekrise:EU einigt sich auf Gaspreisdeckel

Energiekrise: Erdgasspeicher in Sachsen-Anhalt: Die EU deckelt den Preis.

Erdgasspeicher in Sachsen-Anhalt: Die EU deckelt den Preis.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Die EU-Energieminister verständigen sich auf die Höhe. Auch die Bundesregierung stimmt zu, obwohl das Limit recht niedrig ist - anders als Berlin lange gefordert hat.

Von Björn Finke, Brüssel

Europa bekommt nun den umstrittenen Gaspreisdeckel: Von Mitte Februar an kann es die EU Gashändlern und -versorgern verbieten, an Börsen Verträge jenseits einer beweglichen Obergrenze abzuschließen. Die liegt bei mindestens 180 Euro je Megawattstunde. Darauf einigten sich die EU-Energieminister nach zähen Verhandlungen am Montag bei einem Treffen in Brüssel. Im Moment kostet Gas an der wichtigsten europäischen Börse nur etwa 110 Euro, doch im August waren es schon einmal 350 Euro. Damals hatten sich Mitgliedstaaten bei der Jagd nach Gas für ihre Speicher gegenseitig überboten; Deutschland spielte hier eine unrühmliche Rolle. Der sogenannte Marktkorrektur-Mechanismus soll derartige Anstiege im kommenden Jahr verhindern.

Wird der Anstieg der Preise für Händler und Versorger gedeckelt, würde dies auch allzu heftige Zusatzbelastungen für Verbraucher vermeiden, so das Kalkül. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stimmte dem Kompromiss am Ende zu. Dabei gehörte Deutschland zu der Handvoll EU-Regierungen, die vor den Risiken eines zu harten Deckels gewarnt hatten und daher - wenn überhaupt - nur eine hohe Obergrenze akzeptieren wollten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte nach dem EU-Gipfel vorige Woche gesagt, der Deckel solle "so hoch sein, dass ich hoffe, dass er niemals relevant wird".

Der Gesetzentwurf der EU-Kommission von Mitte November sah eine Obergrenze von 275 Euro je Megawattstunde vor. Das war der Mehrheit der EU-Regierungen, zum Beispiel der italienischen und polnischen, jedoch viel zu großzügig; sie forderten ein aggressiveres Limit und drängten darauf, den Entwurf entsprechend zu ändern.

Skeptiker wie die deutsche und niederländische Regierung mahnten dagegen, dass ein künstlich verbilligter Preis die Nachfrage anheizen könnte, obwohl die EU eigentlich Gas sparen muss. Zugleich könnten Förderländer ihre Tankschiffe mit Flüssigerdgas - das wird auf Englisch LNG abgekürzt - lieber zu anderen Kontinenten schicken, die mehr zahlen.

Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein

Der Kompromiss sieht nun zwei Bedingungen für die Aktivierung des Deckels vor. Erstens muss der Preis für Lieferungen im Folgemonat an Europas wichtigster Gasbörse TTF 180 Euro je Megawattstunde überschreiten, und das drei Tage hintereinander. Zweitens muss dieser Preis den durchschnittlichen weltweiten Preis für Flüssigerdgas um mindestens 35 Euro übertreffen. Steigt der Preis in der EU also im Gleichschritt mit den Notierungen auf anderen Kontinenten, tritt der Deckel nicht in Kraft. Im laufenden Jahr gab es mehr als 40 Tage, an denen beide Voraussetzungen erfüllt waren.

Der Deckel selbst ist beweglich, er liegt immer 35 Euro über diesem weltweiten Durchschnittspreis - aber mindestens bei 180 Euro. Das Limit soll auf diese Weise verhindern, dass Förderländer von Gasimporteuren in der EU deutlich mehr verlangen als zum Beispiel von asiatischen Kunden.

Die Obergrenze gilt für Verträge für Lieferungen im Folgemonat, in drei Monaten sowie in einem Jahr, nicht jedoch für den kurzfristigen Handel. Das Limit wird auch nur an Gasbörsen angewandt, nicht bei Verkäufen jenseits dieser Handelsplätze: dem sogenannten Over-the-Counter-Geschäft. Kritiker befürchten, dass Unternehmen den Deckel umgehen könnten, indem sie Abschlüsse von den Börsen wegverlagern in den wenig transparenten Over-the-counter-Bereich.

Auf Druck der Skeptiker wie Deutschland wurden einige Sicherheitsvorkehrungen für die Obergrenze etabliert. So wird das Limit automatisch aufgehoben, wenn es dazu führt, dass der Gasverbrauch steigt, das Angebot an Flüssigerdgas für die EU abnimmt oder der grenzüberschreitende Handel zwischen Mitgliedstaaten oder der Handel an den Gasbörsen versiegt. Sinkt der Preis für drei Tage in Folge unter 180 Euro, wird die Obergrenze ebenfalls wieder einkassiert. "Wir haben jetzt sehr viele Instrumente definiert, die die Gefahr eines unbedachten Effekts deutlich reduzieren", sagte Habeck dazu.

Lieferant Norwegen warnt vor dem Deckel

Das Treffen der 27 Minister wurde vom tschechischen Vertreter Jozef Síkela geleitet, da sein Land noch bis Jahresende die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat, also die Geschäfte im Ministerrat führt. Der Tscheche sagte, der gefundene Kompromiss "verteilt den Schmerz gleichmäßig" zwischen den Lagern der Deckel-Skeptiker und -Fans. Trotzdem stimmte Ungarn offenbar gegen die Verabschiedung des Gesetzes, Österreich und die Niederlande enthielten sich. Bei dem Rechtsakt war allerdings keine Einstimmigkeit nötig. Die Hauptstädte müssen das Ergebnis des Ministertreffens nun im schriftlichen Verfahren abnicken. Das ist aber eine Formalie.

Bevor die Regelung Mitte Februar in Kraft tritt, werden jedoch Acer und Esma, die EU-Aufsichtsbehörden für den Energiemarkt und für Börsen, im Januar eine Untersuchung über mögliche Gefahren vorlegen. Energiekommissarin Kadri Simson betonte nach der Ministerkonferenz, dass die EU-Kommission die Einführung des gerade beschlossenen Deckels stoppen werde, sollte die Studie zeigen, "dass die Risiken die Vorteile überwiegen".

Intercontinental Exchange, der amerikanische Betreiber der wichtigsten europäischen Gasbörse TTF in den Niederlanden, teilte mit, er werde jetzt die Details des Gesetzes studieren. Vorige Woche hatte der Konzern gewarnt, er könnte im schlimmsten Fall den Handel aus der EU wegverlagern, sollte der Preisdeckel allzu große Schwierigkeiten zur Folge haben.

Einer der bedeutendsten Gaslieferanten ist Norwegen. Die Regierung in Oslo hat die Idee eines Preisdeckels lange kritisiert. Nach dem Beschluss am Montag wiederholte Amund Vik, Staatssekretär im Öl- und Energieministerium, dass seine Regierung betont habe, wie wichtig es sei, "Maßnahmen zu wählen, bei denen nicht das Risiko einer Verschlechterung der Situation besteht".

Umweltschützer kritisieren den Genehmigungs-Turbo

Aus der deutschen Wirtschaft kamen ebenfalls mahnende Töne. So sagte Holger Lösch, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Gaspreisdeckel lösten "keine Versorgungskrise, sondern riskieren grundsätzlich die Versorgungssicherheit in Europa". Auch Kerstin Andreae, die Chefin des Bundesverbands der Energiewirtschaft (BDEW), sagte, ihre Branche schaue "mit Sorge auf die Entscheidung". Man müsse genau im Auge behalten, welche Auswirkungen das "extrem niedrig" gewählte Limit habe.

Die Einigung ermöglichte es den Ministern auch, am Montag andere, unstrittige Initiativen zu verabschieden. So sollen die Mitgliedstaaten im kommenden Jahr einen Teil des Gases für ihre Speicher gemeinsam ordern. Das soll verhindern, dass sich Länder gegenseitig überbieten und die Preise hochtreiben, so wie es im vergangenen Sommer geschehen ist. Zudem sollen Genehmigungsverfahren für Solardächer, Wärmepumpen und die Modernisierung von Windparks drastisch verkürzt werden. Das würde den Gasverbrauch verringern. Die Deckel-Fans unter den Regierungen wollten diese Initiativen aber nur billigen, wenn zugleich die Preisobergrenze verabschiedet wird.

Am Genehmigungs-Turbo für Ökostrom-Projekte gab es prompt Kritik von Umweltschützern. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), sagte, nun sei "ein schadhafter Wildwuchs von Erneuerbaren zu Lasten der Natur zu befürchten". Jahrzehntelang "bewährte und für den Natur- und Klimaschutz wichtige Planungs- und Umweltstandards" seien in Gefahr.

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