Flutkatastrophe:Wie viel Fluthilfe bisher angekommen ist

Lesezeit: 3 min

Die Häuser Zehntausender Menschen wurden vor einem Jahr zerstört oder beschädigt, wie hier in Rech im Ahrtal. Immer noch müssen sie sich mit Bürokratie plagen. (Foto: Boris Roessler/dpa)

"Schnell und unbürokratisch" wollte die Politik den Hochwasseropfern in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz helfen. Wie steht es ein Jahr später um die versprochenen 30 Milliarden Euro?

Von Gianna Niewel, Frankfurt, und Jana Stegemann, Düsseldorf, Frankfurt/Düsseldorf

Als Olaf Scholz und Armin Laschet am 3. August 2021, zwei Wochen nach der Jahrhundertflut, im besonders schwer getroffenen Stolberg bei Aachen vor die Mikrofone und Kameras traten und ihr milliardenschweres Versprechen gaben, prasselte der Regen auf sie hinab. Damals waren die beiden Politiker noch Bundesfinanzminister beziehungsweise nordrhein-westfälischer Ministerpräsident - und Kanzlerkandidaten ihrer Parteien SPD und CDU.

In einer für ihn ungewohnt eindringlichen Ansprache hatte Scholz auf dem Kaiserplatz gesagt: Was niemand wiedergutmachen könne, seien "die zerstörten Leben, die zerstörte Gesundheit und das, was die Katastrophe in den Herzen und Köpfen der Menschen angerichtet hat". Dann versprach er den Tausenden betroffenen Menschen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: "Aber das, was man mit Geld in Ordnung bringen kann, das werden wir mit Geld in Ordnung bringen." Der Bund beschloss kurz danach das höchste je in der Bundesrepublik aufgelegte Hilfspaket nach einer Flut: 30 Milliarden Euro.

SZ PlusEin Jahr nach der Flut
:Der Taucher, der 65 Menschen rettete

Nach dem Jahrhunderthochwasser in NRW retteten sie Menschen, befreiten Tiere, sperrten unterspülte Brücken: Patrick Reichelt ist Polizeitaucher und wäre in den Fluten selbst fast ertrunken. Wie er sich an den Tag erinnert.

Von Christian Wernicke

Politiker allerorts sicherten "unbürokratische Hilfe" zu. Doch wie unbürokratisch kann und darf die Auszahlung von 30 Milliarden Euro Steuergeld überhaupt sein? In NRW kümmert sich um die Verteilung der Gelder das Bauministerium von Ina Scharrenbach (CDU), seit 2017 in der NRW-Landesregierung. Zehntausende Menschen in fast der Hälfte aller NRW-Kommunen wurden von der Flut getroffen. Wer ein Jahr nach der Flut wissen möchte, wie viel Geld bei den Menschen, den Firmen und in den Kommunen angekommen ist, hört ausschließlich die Formulierung: "Wurde bewilligt und befindet sich in der Auszahlung."

Vor einigen Tagen zog Scharrenbach Bilanz, sie sagte: "Wir kommen richtig gut voran, besser als in den ebenfalls betroffenen Nachbarländern."

Die NRW-Regierung findet ihre Bilanz gut. Betroffene sehen das ganz anders

Kritik am als zu kompliziert empfundenen Antragsverfahren wies sie zurück, es habe in der Anfangszeit viele Nachbesserungen gegeben, nun "läuft es rund". Im Schnitt dauere es nach erfolgreicher Prüfung des Antrags etwa neun Tage, bis das Geld überwiesen sei. 196 Betrugsversuche mit einem Gesamtvolumen von etwa acht Millionen Euro seien vereitelt worden, so Scharrenbach. Dabei konnte nur etwa ein Viertel der zusätzlichen 280 Stellen, die das Land extra für die Wiederaufbauhilfe geschaffen hatte, besetzt werden.

Von den 12,3 Milliarden Euro, die in NRW insgesamt für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen, werde allerdings bisher nur ein kleiner Teil abgerufen: Etwa 1,6 Milliarden Euro für Privatleute, Unternehmen, Landwirtschaft und Städte befänden sich "in der Auszahlung", so Scharrenbach. Davon gingen 483,4 Millionen Euro an Privathaushalte. Knapp 19 000 Anträge seien gestellt worden, 94 Prozent davon schon geprüft oder bewilligt.

Die Verbraucherzentrale NRW sieht Scharrenbachs Bilanz anders. Sie teilte in der vergangenen Woche mit, dass viele von der Flutkatastrophe betroffene Menschen "frustriert und enttäuscht" seien. Es fehle an Handwerkern, Baumaterialien und Gutachtern. Die Bau- und Materialkosten - gerade bei Dämmstoffen - stiegen immer weiter, und selbst bewilligte Gelder seien nicht immer schnell verfügbar. Außerdem seien zahlreiche Geschädigte nicht ausreichend versichert gewesen.

Rheinland-Pfalz hat zum Jahrestag eine Broschüre zum Wiederaufbau herausgegeben, darin wird zunächst der 135 Toten gedacht, der zwei Menschen, die noch immer vermisst sind. Da werden auch die Schäden vermessen: Insgesamt 65 000 Menschen sind betroffen, nicht nur im Ahrtal, sondern auch in den Landkreisen Cochem-Zell, Mayen-Koblenz und in Trier zerstörte die Mosel Häuser - 18 Milliarden Euro Schäden in sieben Landkreisen an Gebäuden, Straßen, Leitungsnetzen.

Natürlich gibt es die, bei denen alles geklappt hat. Aber es gibt auch die anderen

Aber natürlich will das Land auch zeigen, was alles getan worden ist, ein Jahr später: Von den Hilfen für den Wiederaufbau beim Hausrat etwa seien 9158 von 9787 Anträge bewilligt worden. Bei den Gebäuden: 1578 von 1909. Bei den Unternehmen: 182 von 265. Insgesamt sind demnach 538,4 Millionen Euro bewilligt worden. Nicht schlecht, oder?

In den Dörfern, in Dümpelfeld, Insul und Schuld, antworten die Leute sofort. Natürlich gibt es die einen, bei denen alles geklappt hat, die sagen, sie könnten sich nicht beschweren. Aber es gibt auch die anderen. Die klagen, das Ausfüllen sei zu kompliziert, gerade für Ältere, weil man es nur am Computer machen kann, weil viele Unterlagen gebraucht würden, dann habe man einen Haken falsch gesetzt, und der Antrag hänge bei der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) fest. Ein weiteres Problem: Bewilligt heißt nicht ausgezahlt, das wurden erst 210,3 Millionen Euro.

Dabei sollte es doch "schnell und unbürokratisch" gehen.

Anfang Juli erst demonstrierten etwa 200 Menschen in Mainz, sie hatten das Gefühl, vergessen zu werden von den Politikern, mit Trillerpfeifen und Plakaten wollten sie erinnern an dieses große Versprechen. "Wo sind die Spenden" stand auf einem der Schilder, dahinter: sechs Fragezeichen. Landesfinanzministerin Doris Ahnen (SPD) versuchte zu beschwichtigen: Wenn es um Gebäude gehe, gehe es um größere Summen, deshalb dauere es.

Bei der ISB verweisen sie darauf, dass sich 120 Menschen um die Aufbauhilfe kümmern, davon 60 um die Anträge, und dass gerade bei denjenigen zu Gebäudeschäden ein "höherer manueller Aufwand" notwendig sei. Da bekommen die Betroffenen zunächst eine Abschlagszahlung von 20 Prozent. Für den nächsten Teil des Geldes müssen sie eine Liste mit den angefallenen Rechnungen vorlegen. Für den letzten Teil müssen Verwendungsnachweise her. Dann erst kann die volle Summe ausgezahlt werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAhrtal
:Nach der Flut

Im vergangenen Sommer erlebte das Ahrtal eine der schlimmsten Naturkatastrophen der deutschen Geschichte. In Schuld stand das Wasser 7,87 Meter hoch. Wie hält man so einen Ort zusammen? Ein Jahr mit Bürgermeister Helmut Lussi.

Von Gianna Niewel (Text), Marcel Meyer (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: