Flüchtlinge:Merkel allein zwischen Scharfmachern

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Im Frühjahr 2016 werden an der griechisch-mazedonischen Grenze massive Stacheldrahtzäune installiert. (Foto: dpa)

Vor dem EU-Gipfel drohen vier ostmitteleuropäische Länder, die Grenzen zu Griechenland dichtmachen zu lassen. Die Kanzlerin bringt das auch innenpolitisch in Bedrängnis.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Manchmal hilft ein Blick auf die Landkarte. Auf die von Griechenland zum Beispiel. Im Westen viel Land, im Osten viele Inseln. 3054 Inseln, um genau zu sein. Noch weiter östlich die Türkei. Die sogenannte Grenze zwischen der Türkei und Griechenland besteht vor allem aus Wasser und Inseln. Irgendwie bekommen es die Griechen da nicht hin, diese Grenze für Flüchtlinge wasserdicht zu machen.

Fünf Registrierzentren, Hotspots, sollte Griechenland aufbauen, in denen die Personalien ankommender Flüchtlinge aufgenommen werden sollen. In den schönen Plänen dazu, unterstützt und gefordert von Kanzlerin Angela Merkel, steht, dass hier entschieden werden soll, wer dahin zurückgehen muss, wo er hergekommen ist. Und wer in die EU ein- und in welches EU-Land weiterreisen darf. Alles wäre viel besser, wenn das funktionieren würde.

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Tut es aber nicht. das hat zwei Gründe:

  • Ein Grund ist, dass bisher lediglich ein Hotspot funktioniert, auf der Insel Lesbos. Ein weiterer Hotspot auf der Insel Chios ist am Sonntag fertig geworden und nimmt jetzt den Betrieb auf. Viele Flüchtlinge aber reisen unregistriert weiter.
  • Ein weiterer Grund ist, dass sich fast alle EU-Länder weigern, eine größere Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Eine Verteilung findet de facto nicht statt. Mit oder ohne Hotspots. Länder wie Polen oder Ungarn wollen sogar grundsätzlich keine Muslime aufnehmen.

Genug Stoff also für das Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Die Flüchtlingsfrage steht ganz oben auf der Tagesordnung.

Und so reisen täglich weiter Tausende Flüchtlinge über Griechenland und die Balkan-Route Richtung Kerneuropa. Jetzt hilft wieder ein Blick auf die Karte. Im Nordosten grenzt Griechenland an Bulgarien. Ein EU-Land. Aber kein Schengen-Land. Das grenzenlose Europa blieb den Bulgaren bisher - auch dank deutscher Intervention - verwehrt.

Weiter westlich grenzen Mazedonien und Albanien an Griechenland. Beide Länder sind weder im Schengen-Raum noch in der EU. Aber beide Länder sind Beitrittskandidaten. Für die Flüchtlinge ist Albanien aber bisher keine Option. Zu unwegsam ist das gebirgige Land.

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Für die Visegrád-Länder und EU-Mitglieder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn sind also Bulgarien und Mazedonien die geeigneten Adressaten für ihren Wunsch nach stärkeren Grenzkontrollen Richtung Griechenland. Sind deren Grenzen zu Griechenland dicht, so ist das Kalkül, kommen auch keine Flüchtlinge mehr nach Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei.

Zehntausende würden dann wohl im von Schulden gebeutelten Griechenland bleiben müssen. Wie Griechenland das dann schultern soll, dazu gibt es bisher keine Vorschläge. Europäische Solidarität scheint in manchen Staaten ein Fremdwort zu sein. Viele Flüchtlinge werden dann wohl versuchen, über das Ionische Meer hinüber nach Italien zu kommen.

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Die Visegrád-Länder verstehen sich als Koalition der Unwilligen, als schärfste Opponenten gegen Merkels "freundliches Gesicht" in der Flüchtlingspolitik. Sie treffen sich an diesem Montag in Prag. Zum Jubiläumstreffen dieses vor 25 Jahren in Visegrád gegründeten Bündnisses.

Diese vier waren lange eine eher unbedeutende Stimme im europäischen Haus. In der Flüchtlingsfrage aber machen sie inzwischen EU-Politik auf eigene Faust. Einige Dutzend tschechische und slowakische Grenzschützer stehen bereits in Mazedonien an der Grenze zu Griechenland. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán würde dort am liebsten einen undurchlässigen Zaun bauen. Das Signal der Islolation Griechenlands, das damit gesendet würde, bedroht die Freizügigkeit des Schengenraums insgesamt - doch das scheint den Visegrád-Staaten eher egal zu sein. "Wir brauchen eine neue, zweite Verteidigungslinie", sagt Orban. Als ob die Flüchtlinge statt vor Bomben zu flüchten in Wahrheit eine Art Krieg gegen die EU führen.

Applaus bekommen die vier inzwischen auch aus anderen EU-Ländern wie etwa Österreich. Österreich hat eine Art Obergrenze oder Richtwert für die Zahl von Flüchtlingen beschlossen. Mehr als 37 500 sollen nicht kommen dürfen. Schon in wenigen Wochen wird dieser Richtwert überschritten werden. Dann wird sich auch gezeigt haben, dass Obergrenzen nicht funktionieren. Die Menschen kommen dennoch.

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Heimlichen Beifall dürfte es auch von CSU-Chef Horst Seehofer zu den Plänen der Visegrád-Länder geben. Der sieht Deutschland gerade ohnehin wegen Merkels Flüchtlingspolitik unter einer "Herrschaft des Unrechts". Auch er fordert eine Obergrenze, 200 000 Menschen sollen im Jahr kommen dürfen. Seit Jahresbeginn sind aber schon etwas mehr als 100 000 gekommen. Um es deutlich zu sagen: Ein neuer Eiserner Vorhang an den Grenzen zu Griechenland würde ihm gut ins Obergrenzen-Konzept passen.

In Deutschland gibt es dennoch gerade nur den Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, einen gewissen Wolfgang Steiger, der jetzt öffentlich erklärt, dass er Griechenland am liebsten aus dem Schengen-Raum werfen würde. Der Wirtschaftsrat gehört zu den eher überschätzten Organisationen im deutschen Verbandswesen.

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Die Grenzsituation ließe sich mit einem Rauswurf Griechenlands aus dem Schengen-Raum eher nicht verbessern. Jeder Grieche, der heute offene Grenzen erleben möchte, kann das ohnehin nur mit dem Flugzeug tun. Einen Landweg in den Schengen-Raum gibt es nicht.

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel bezeichnete solche Ideen in einem Gastbeitrag in der FAZ als "Scheinlösungen, die die europäische Debatte vergiften". Griechenland dürfe nicht isoliert werden. In der Schuldenkrise müsse Europa den Griechen noch einmal deutlich entgegenkommen.

Kanzlerin Merkel setzt in der Debatte lieber auf die Türkei. Das Beste wäre, wenn die Flüchtlinge gleich dort blieben, statt sich auf die lange und gefährliche Reise in die zentralen Teile der EU zu machen. Die EU könnte dann mit großzügigen Kontingenten Flüchtlinge gezielt und gesteuert aufnehmen. Aber wie gesagt, dafür müsste es erst eine Einigung der EU-Länder über die Verteilung geben.

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Dies scheint aber schon an Frankreich zu scheitern. Die EU müsse die Botschaft aussenden, "dass wir keine Flüchtlinge mehr aufnehmen", sagte der französische Premierminister Manuel Valls am Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz.

Merkels Kontingent- und Verteilungsvorschläge scheinen in der EU immer weniger Gehör zu finden. Die Frage ist nur: Spricht das gegen Merkel? Oder eher gegen den versammelten Rest einer Europäischen Union, die sich unter anderem der Humanität verpflichtet hat?

Merkels europäischem Ansatz droht das Aus. Die EU-Mitglieder verheddern sich in nationalen Egoismen. Und das macht Merkel das Leben auch innenpolitisch schwer. Bisher konnte sie Seehofers Obergrenzen-Phantastereien noch mit ihrem Versprechen einer europäischen Lösung in Schach halten. Wenn die Rechnung nicht aufgeht, steht Merkel ohne greifbare Lösung da. Das Ziel einer spürbaren Reduktion der Flüchtlingszahlen wäre kaum zu halten. Sollte der Eiserne Vorhang tatsächlich nach Europa zurückkehren, wäre Merkels Flüchtlingspolitik gescheitert.

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