Fast alle etablierten Parteien zeigen sich empört über eine Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zur Flüchtlingspolitik. Er sprach im Zusammenhang mit der Asylpolitik von Kanzlerin Angela Merkel von einer "Herrschaft des Unrechts".
Seehofers Äußerung sei "erkennbar abstrus und spricht entweder für eine besorgniserregende geistige Verwirrung oder ist als Zeugnis für das 'erfolgreiche' Wirken der CSU-Bundesminister zu verstehen", sagte SPD-Vizechef Ralf Stegner. Er legte dem bayerischen Ministerpräsidenten nahe, sich "seine Orientierung in Demokratiefragen" nicht vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und von Russlands Präsident Wladimir Putin zu holen.
Auch SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte in Berlin, Seehofers Äußerungen seien "wirr und in hohem Maße irritierend". Der CSU-Chef habe jedes Maß verloren. "Entweder zieht er damit historische Verbindungen, die unerhört sind, oder er hat schlicht kein Geschichtsbewusstsein." Seehofers Formulierung ist sehr nah am Begriff des "Unrechtsstaats", der in Deutschland im Allgemeinen für die NS-Diktatur oder auch für die DDR benutzt wird.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hatte zuvor in der Süddeutschen Zeitung von einem "üblen Missgriff" des CSU-Vorsitzenden gesprochen.
Kritik aus der CDU
Mehrere CDU-Spitzenpolitiker wollten nicht öffentlich zu den Seehofer-Äußerungen Stellung nehmen, um die Spannungen zwischen den Schwesterparteien nicht noch zu erhöhen, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete. Man sei empört, hieß es aber hinter den Kulissen. Deutliche Worte fand der CDU-Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier. "Herr Seehofer spielt mit seinen Äußerungen den Gegnern von Demokratie und Rechtsstaat in die Hände", sagte der Innenminister. Caffier warf dem CSU-Vorsitzenden vor, er selbst schüre die Unsicherheit und Unzufriedenheit in der deutschen Bevölkerung.
Ähnlich äußerte sich Europapolitiker Elmar Brok. Seehofers Äußerungen nutzten nur "Gegnern unserer demokratischen Ordnung wie der AfD", sagte er. Er sei "entsetzt".
Grüne: Merkel hat Recht zur Geltung verholfen
Grünen-Politikerin Renate Künast hält die Äußerungen von CSU-Chef Horst Seehofer über Unrecht in Deutschland "schlichtweg für falsch". Zwar kämen einige Normen des Asylrechts gerade kaum zur Geltung, sagte die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags.
"Dafür hat Angela Merkels Grenzöffnung der Genfer Flüchtlingskonvention zur Geltung verholfen." So könnten die Menschenrechte all derer gewahrt werden, die sonst etwa an Grenzzäunen möglicherweise Gewalt ausgesetzt wären. "Es läuft mir kalt den Rücken herunter, wenn ich dran denke, womit sich Horst Seehofer noch verbal steigern könnte", sagte Künast.
Linke: Konsequenterweise müsste Seehofer die Regierung verlassen
Linken-Politiker Dietmar Bartsch forderte die CSU auf, die Bundesregierung zu verlassen. "Wenn der CSU-Vorsitzende bei der Bundesregierung, die durch seine Partei mitgetragen wird, eine 'Herrschaft des Unrechts' ausmacht, muss die CSU umgehend die Bundesregierung verlassen", erklärte der Fraktionschef der Linken in einer Mitteilung. Nach der Logik Seehofers seien die CSU-Bundesminister Vollstrecker des Unrechts. Außerdem forderte er die Kanzlerin auf, beim Bundespräsidenten die Entlassung der CSU-Minister zu ersuchen.
CSU bleibt auf der Linie Seehofers
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer rechtfertigte hingegen die Aussagen seines Parteivorsitzenden. "Die Entscheidung vom letzten Jahr war falsch. Die hat dazu geführt, dass es millionenfachen Zustrom nach Deutschland gibt, der unbegrenzt ist, der teilweise illegale Einreise bedeutet", sagte er im ZDF-Morgenmagazin. Und daher habe "der Parteivorsitzende und bayerische Ministerpräsident recht, wenn er mit diesem Begriff umgeht". Die CSU werde das in den kommenden Monaten klarstellen. "Wir bleiben auf dem Kurs, dass wir die Herstellung von Recht und Ordnung wollen. Und das wird auch klar formuliert von der CSU", sagte Scheuer.
Wie zuvor Seehofer bezog sich auch Scheuer auf die von Merkel verkündete Grenzöffnung für Flüchtlinge im vergangenen Sommer. Seehofer hatte von einer "Herrschaft des Unrechts" gesprochen, weil Flüchtlinge ungehindert ins Land kommen dürften.