Die Erleichterung war groß, als Twitter endlich gegen seinen prominentesten Nutzer vorging. Der Sturm einer wild gewordenen Meute auf das Kapitol in Washington Anfang des Jahres war dem Kurznachrichtendienst Beweis genug für das hetzerische Potenzial der Tweets von Donald Trump. Twitter sperrte den scheidenden US-Präsidenten, die Macht seiner kurzen Sätze war gebrochen. Sichtbar wurde damit aber eine andere Macht - nämlich der immense Einfluss der großen Plattformen auf dem Markt der Meinungen. Eine Klausel im Kleingedruckten von Twitter genügte, um den angeblich mächtigsten Mann der Welt stummzuschalten.
An diesem Donnerstag hat der Bundesgerichtshof sozusagen über die Miniaturausgabe des Streits um Trumps Account verhandelt. Eine Nutzerin hatte auf Facebook ihrem Zorn wegen der "Morde von islamischen Einwanderern" zum Besten gegeben: "Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen." Ein weiterer User formulierte seine Wut in lauten Großbuchstaben: "DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN ... KLAUEN ... RANDALIEREN ... UND GANZ WICHTIG ... NIE ARBEITEN." Facebook löschte die Posts, weil sie gegen das Verbot der Hassrede verstießen, und sperrte vorübergehend die Nutzerkonten.
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Das Ziel war eine Zerschlagung des Tech-Konzerns. Das Bundesgericht aber sieht eine Monopolstellung von Facebook nicht ausreichend belegt.
Dahinter steckt eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Kann Facebook nach seinen eigenen Hausregeln bestimmen, was jemand sagen darf und was nicht? Sind die Gemeinschaftsstandards solcher Plattformen rechtlich wirksam? Oder gilt das Grundgesetz, das die maßgeblichen Eckpfeiler längst enthält - die Meinungsfreiheit auf der einen Seite, den Schutz des Persönlichkeitsrechts auf der anderen?
Seine grundsätzliche Linie hat der Senatsvorsitzende Ulrich Herrmann gleich zu Beginn der Anhörung offengelegt. "Nach vorläufiger Auffassung gehen wir davon aus, dass die Beklagte berechtigt ist, Posts zu löschen und Konten zu sperren, auch wenn es sich nicht um strafbare Inhalte handelt. Das ist Teil der unternehmerischen Freiheit." Facebook darf "Hassrede" nach eigenen Regeln unterbinden, heißt das, und zwar auch dort, wo ansonsten die Meinungsfreiheit den Vorrang genießt. Dass dies so ist, davon geht der Senat trotz des hetzerischen Sounds aus. Wären sie strafbar, dann müsste Facebook sowieso löschen, sagte Herrmann. "Von einer Strafbarkeit der Beiträge können wir aber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit wohl nicht ausgehen."
Erst fragen, dann sperren?
Damit ist die juristische Prüfung aber noch nicht zu Ende. Denn die Befugnisse eines Quasi-Monopolisten wie Facebook mit 31 Millionen Nutzern allein in Deutschland bewegen sich nicht im grundrechtsfreien Raum. Denn Facebook agiert nicht auf dem Marktplatz - Facebook ist der Marktplatz, jedenfalls für sehr viele Menschen. Die unternehmerische Freiheit von Facebook muss daher auch mit der Meinungsfreiheit der Nutzer in Einklang gebracht werden. Der Senatsvorsitzende ließ daher eine Reihe von Vorgaben an mächtige soziale Netzwerke anklingen. Erstens müssten die Regeln transparent sein, also hinreichend verständlich. Zweitens gelte der Grundsatz der Gleichbehandlung - niemand darf diskriminiert werden.
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Danach will der Konzern entscheiden, ob von Posts des ehemaligen US-Präsidenten weiter eine Gefahr ausgeht. Generell will Facebook transparenter kommunizieren, wenn kritische Inhalte nicht gelöscht werden.
Entscheidend dürfte aber ein dritter Punkt sein - das Recht der Nutzer, sich gegen Sperrungen und Löschungen zur Wehr zu setzen. "Die Nutzer müssen Gelegenheit haben, sich zu verteidigen, bevor in ihre Meinungsfreiheit eingegriffen wird", sagte Herbert Geisler, Anwalt der beiden Kläger. Soll heißen: Erst fragen, dann sperren.
Aus Sicht des Facebook-Anwalts Christian Rohnke ist das völlig undenkbar. Facebook biete nur ein nachträgliches Beschwerdeverfahren, aber keine vorherige Anhörung. "Jede Anhörung wäre eine Verzögerung." Dass der Zeitfaktor im Netz entscheidend sei, habe beispielsweise der Shitstorm gegen die dunkelhäutigen englischen Elfmeterschützen nach dem EM-Finale gezeigt. Das habe man umgehend unter Kontrolle bekommen müssen, indem man lösche und sperre. "Man muss solche Phänomene kurzfristig stoppen können."
Ob das reicht, wird der BGH in seinem Urteil in spätestens drei Wochen bekannt geben. Das dürfte aber noch nicht das letzte Wort in dieser Frage sein. Denn beim Verfassungsgericht ist eine Beschwerde der rechtsextremen Kleinpartei "Der III. Weg" gegen die Sperrung ihres Facebook-Accounts anhängig. Im Eilverfahren hat die Partei vor zwei Jahren recht bekommen. Laut Gericht ist die Bedeutung der Grundrechte für Betreiber sozialer Netzwerke zu klären - abhängig vom Grad ihrer marktbeherrschenden Stellung.