Europäische Union:Ein erster Schritt mit Symbolkraft

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(Foto: Shutterstock)

Die EU-Kommission will die Ukraine und Moldau zu Beitrittskandidaten machen. Daran sind aber Bedingungen geknüpft, die nicht einfach zu erfüllen sind.

Von Matthias Kolb, Frank Nienhuysen und Henrike Roßbach, Brüssel/Berlin/München

Die Ukraine ist ihrem Ziel, Mitglied der Europäischen Union zu werden, ein deutliches Stück näher gekommen. In einem symbolischen machtvollen Schritt empfahl die EU-Kommission den Mitgliedstaaten, der Ukraine den Status des Beitrittskandidaten zu verleihen. "Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben", sagte Ursula von der Leyen bei der Vorstellung der Analyse ihrer Behörde. Die Ukraine zeige das nötige Bestreben und Engagement, den europäischen Werten und Standards gerecht zu werden.

Damit der politisch bedeutsame, rechtlich jedoch unverbindliche Status erteilt werden kann, müssen beim EU-Gipfel in der kommenden Woche alle 27 Staats- und Regierungschefs zustimmen. Während Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in Kiew für eine "positive Entscheidung" geworben hatte, zeigen sich andere Staaten, etwa Portugal und Ungarn skeptisch. Die Niederlande dagegen haben ihre Bedenken aufgegeben und wollen die Empfehlung der Kommission nun doch stützen, signalisierte Außenminister Wopke Hoekstra am Freitag.

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Die Kommissionschefin verlangte von der Ukraine allerdings weitere Reformen, etwa im Kampf gegen Korruption, bei der Auswahl von Richtern, der Medienfreiheit oder dem Schutz von Minderheiten. Bereits Ende 2022 soll geprüft werden, ob Fortschritte erzielt worden sind.

In den Landesfarben der Ukraine präsentierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU-Beitrittsperspektiven (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Nach Ansicht der Kommission soll auch die Republik Moldau den Kandidatenstatus erhalten. Das Land hatte wie Georgien nach der russischen Invasion der Ukraine die Aufnahme in die EU beantragt. Moldau ist laut von der Leyen mit seinen geplanten Reformen auf einem klaren europäischen Pfad, habe aber noch einen langen Weg vor sich. Die Bewerbung Georgiens nannte sie "stark", allerdings seien noch weitere Maßnahmen nötig, bevor der Kaukasus-Staat Beitrittskandidat werden könne.

Für die Ukraine bedeutet die Empfehlung aus Brüssel ein auch moralisch wichtiges Signal in einer Phase, in der das Land von Russland militärisch, politisch und wirtschaftlich extrem unter Druck gesetzt wird. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij erklärte auf Twitter: "Dies ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft, der uns sicherlich dem Sieg näher bringt." Er bedankte sich bei Kommissionschefin von der Leyen und sprach von einer "historischen Entscheidung".

Der Kreml fordert "erhöhte Aufmerksamkeit"

Der Kandidatenstatus ist auch aus europäischer Sicht zunächst vor allem als starkes Symbol für das angegriffene Land gedacht. Ob und wann die Ukraine eines Tages Mitglied in der Union wird, hängt von der Erfüllung der Beitrittsbedingungen ab. Dies kann lange dauern. Serbien, Nordmazedonien und Montenegro etwa sind bereits seit vielen Jahren Beitrittskandidaten, die Türkei sogar seit 1999. Auch den Beginn der offiziellen Beitrittsverhandlungen kann jede EU-Regierung per Veto verhindern.

Auch deshalb warnte der österreichische Außenminister Andreas Schallenberg im Deutschlandfunk vor einem "geostrategischen Tunnelblick". Er warb dafür, beim anstehenden EU-Gipfel auch klare Signale etwa an Albanien, Nordmazedonien und Bosnien-Herzegowina zu schicken.

Die russische Führung bemühte sich am Freitag zunächst um eine nüchterne Reaktion auf den empfohlenen Kandidatenstatus für die Ukraine. "Natürlich erfordert dies erhöhte Aufmerksamkeit", sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow, "denn wir wissen alle, dass in Europa über eine verstärkte Verteidigung diskutiert wird", darunter auch militärisch.

Sein Chef Wladimir Putin wurde dann deutlicher. Er ging bei seinem Auftritt beim Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg am Freitag zwar nicht direkt auf die EU-Kandidatur ein. Er nutzte jedoch die Gelegenheit, um den Westen zu attackieren. "Unsere westlichen Kollegen denken immer noch in den Kategorien des vergangenen Jahrhunderts", sagte Putin. "Sie behandeln andere Länder wie Kolonien." Er griff dabei vor allem die USA an, die sich aufführten, als seien sie "Gottes Repräsentanten auf Erden", die ihre Interessen für "heilig" hielten. Über die EU sagte Putin, sie habe ihre "politische Souveränität" verloren, Wahlen und andere demokratische Prozesse seien dort nur Fassade.

Die Gasversorgung in Deutschland ist "angespannt"

Für Moskau ist die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union genau das, was es immer verhindern wollte. Schon der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hatte 2013 mit Brüssel einen EU-Assoziierungsvertrag ausgehandelt, auf Druck Russlands jedoch kurzfristig die Unterzeichnung abgelehnt. Die Folge waren die Massenproteste des Maidan.

Die Spannungen zwischen Russland und dem Westen wirken sich seit Tagen auch zunehmend auf den Energiemarkt aus. Die Bundesnetzagentur stufte die aktuelle Lage der Gasversorgung in Deutschland als "angespannt" ein, wie aus dem Lagebericht von Freitag hervorging. Die Gasversorgung sei im Moment aber stabil, die Versorgungssicherheit "weiter gewährleistet".

Hintergrund ist, dass Russland in den vergangenen Tagen die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt hat, auf inzwischen 40 Prozent der Maximalleistung. Betroffen ist auch die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie Italien, Frankreich, Österreich und Tschechien. Anders als der russische Konzern Gazprom vermutet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hinter der gedrosselten Liefermenge eine politische Entscheidung Moskaus. Diese Einschätzung teile auch Olaf Scholz, wie eine Regierungssprecherin am Freitag sagte.

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