Taxonomie:Es grünt so grün

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"Stoppen Sie das Greenwashing schmutziger und gefährlicher Technologien": Umweltverbände fordern Bundeskanzler Olaf Scholz zur Klage gegen die Taxonomiepläne der EU auf. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Warum die Pläne der EU-Kommission zur Förderung von Gas und Atomenergie im Europaparlament umstritten sind.

Von Michael Bauchmüller und Björn Finke, Brüssel/Berlin

Das Europaparlament verlangt bei der umstrittenen grünen Taxonomie mehr Mitsprache. Europa-Abgeordnete wollen sich bei der Kommission beschweren, dass sie bei dem sensiblen Thema nicht um ihre Meinung gebeten werden. Zudem wollen die Politiker eine inhaltliche Stellungnahme vorbereiten. Der CSU-Parlamentarier Markus Ferber hat die Initiative angestoßen. "Die ersten Rückmeldungen waren positiv", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion.

Die EU-Kommission hat am Silvesterabend den Entwurf eines Rechtsakts vorgelegt, der Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter bestimmten Umständen als nachhaltig erklärt. Damit könnten auch Gelder aus Ökofonds an die Betreiberfirmen fließen. Fachleute der EU-Regierungen haben bis Freitag kommender Woche Zeit für Stellungnahmen, das Parlament hingegen wird nicht gefragt. In der Woche darauf wird die Kommission das Gesetz wohl verabschieden - vermutlich ohne große Änderungen.

Die Taxonomie bestimmt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Das Klassifizierungssystem - das weltweit erste seiner Art - soll verhindern, dass Firmen oder Investmentfonds Greenwashing betreiben, sich also als grüner verkaufen, als sie es wirklich sind. Dies soll das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen. Schon im vergangenen April präsentierte die Kommission einen Rechtsakt mit Kriterien für viele wichtige Branchen und Güter, doch die heikle Frage, was für Atom- und Gaskraftwerke gilt, wurde ausgespart und aufgeschoben: bis Silvester.

Dem lange erwarteten Vorschlag der Kommission zufolge können Gas- und Atommeiler ebenfalls als grün gelten, weil sie eine notwendige Brückentechnologie seien auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Stromversorgung. Die Regelung soll 2023 in Kraft treten. Ökofonds müssten jedoch klar darüber informieren, ob sie neben Aktien klassisch grüner Unternehmen auch Atom- oder Gaskonzerne im Portfolio haben.

Selbst die Christdemokraten zweifeln an den Chancen des Gesetzes

Da es sich um einen sogenannten delegierten Rechtsakt handelt, tritt er nach der Verabschiedung automatisch in Kraft - es sei denn, EU-Parlament oder Ministerrat, das Gremium der Mitgliedstaaten, weisen das Gesetz zurück. Im Ministerrat ist dafür allerdings die Unterstützung von 20 der 27 Staaten nötig, was unrealistisch ist. Im Europaparlament reicht eine normale Mehrheit. Die Kommission schätzt aber, dass eine große Koalition von Gas- und Atomfreunden unter den Abgeordneten eine Blockade verhindern wird.

Der umweltpolitische Sprecher der mächtigsten und vergleichsweise atom- und gasfreundlichen Fraktion, der EVP, äußert indes Zweifel: "Der Unmut über die großzügigen Regelungen für Kernkraft ist groß, auch in Teilen der EVP", sagt der CDU-Abgeordnete Peter Liese. "Wenn ich eine Wette abschließen müsste, würde ich zwar immer noch wetten, dass das Europaparlament den delegierten Rechtsakt am Ende nicht blockiert, aber ich würde nicht mehr viel Geld darauf setzen."

Joachim Schuster, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Europaabgeordneten, sagt, in der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten würden bei der Streitfrage "je nach Herkunftsland durchaus unterschiedliche Akzente gesetzt". Es herrsche aber "Einigkeit, dass der Kommissionsvorschlag kein vernünftiger Kompromiss ist".

Nils Torvalds, der umweltpolitische Sprecher der europäischen Liberalen, erklärt, es sei "noch zu früh", um zu sagen, was die Linie seiner Fraktion sein werde. "Die größten nationalen Gruppen in der Fraktion haben sehr unterschiedliche Positionen", sagt der finnische Europaabgeordnete.

Die KfW will keine Atommeiler fördern

Die Taxonomie zielt zunächst nur auf den Markt für Öko-Finanzprodukte ab. Kritiker befürchten freilich, dass die Regelung künftig auch bei Entscheidungen über staatliche Förderprogramme eine Rolle spielen könnte. Eine Sprecherin der EU-Förderbank EIB in Luxemburg, einer der größten Banken der Welt, sieht aber keine direkten Folgen für ihr Institut. Die Europäische Investitionsbank finanziert seit Jahresanfang keine Gaskraftwerke mehr mit ihren zinsgünstigen Darlehen, Atommeiler sind schon länger tabu. Eine Reform der Förderrichtlinien müssten die EU-Regierungen als Anteilseigner beschließen, sagt die Sprecherin - die Taxonomie alleine ändere nichts.

Ähnlich klingt das bei der deutschen Förderbank KfW. Das staatliche Institut bezieht sich in den Richtlinien für manche Unterstützungsprogramme dezidiert auf die EU-Taxonomie. Doch "eine vollständige Steuerung des KfW-Geschäfts nach den Kriterien der EU-Taxonomie ist derzeit nicht vorgesehen", sagt eine Sprecherin. Die Bank möchte sich also in manchen, aber eben nicht unbedingt in allen Fragen an dem Brüsseler Kriterienkatalog orientieren. Und Finanzierungen von Atomkraftwerken schlössen die Regeln der Frankfurter Bank explizit aus, betont die Sprecherin.

Olaf Scholz soll "klar und öffentlich vernehmbar Stellung beziehen", fordern Umweltverbände

Unterdessen wächst der Druck auf die Bundesregierung, gegen den Rechtsakt vorzugehen. Die Bundesregierung müsse "klar und öffentlich vernehmbar Stellung beziehen", heißt es in einem Brief von 13 Umweltverbänden an Bundeskanzler Olaf Scholz. "Stimmen Sie bei der Abstimmung im Rat der Europäischen Union gegen den delegierten Rechtsakt, und gewinnen Sie andere Mitgliedstaaten dafür, dasselbe zu tun."

Die Umweltverbände, darunter BUND, Nabu, WWF und die Deutsche Umwelthilfe, fordern die Bundesregierung auch zur Klage auf. Wie Österreich und Luxemburg müsse Deutschland vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. "Es geht um nichts Geringeres als die Legitimität und Wirksamkeit dieses grundlegenden Instruments und die Frage, wie glaubwürdig und relevant es im finanzwirtschaftlichen Kontext überhaupt werden kann." Auch gegen die Aufnahme von Erdgas in die Taxonomie solle Berlin klagen. Erdgas sei "keinesfalls ein nachhaltiger Energieträger". Auch müsse die Koalition dennoch strenge Kriterien für den Bau von Gaskraftwerken erarbeiten, verlangen die Verbände. "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir zählen auf Sie", schließt ihr Brief. "Stoppen Sie das Greenwashing schmutziger und gefährlicher Technologien, die der Vergangenheit angehören."

Bisher aber hält sich die Koalition in Sachen Erdgas bedeckt. Schließlich hatte sie es für einen Übergangszeitraum für unverzichtbar erklärt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) machte allerdings am Dienstag klar, dass er den Rechtsakt im Ganzen skeptisch sieht: Dieser sei "eigentlich falsch", sagte er. "Gas und nukleare Energie hätte es nicht gebraucht."

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