EU:Macron steht mit dem Wunsch nach Autonomie nicht allein

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Einige EU-Chefs denken über das Verhältnis zu China und den USA wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (li.), sagt EU-Ratspräsident Charles Michel. (Foto: Federico Pestellini/Imago)

Der Streit um das Interview des französischen Präsidenten geht weiter. Er offenbart die Zerrissenheit Europas im Verhältnis zu China und den USA.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Charles Michel, der Ratspräsident der Europäischen Union, hat derzeit keinen leichten Stand in Brüssel. Nach dem Geschmack seiner Kritiker reist er zu viel in der Welt herum, statt die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs vernünftig vorzubereiten, was sein eigentlicher Job ist. So gesehen gibt Michel nicht unbedingt den besten Kronzeugen für die Stimmung unter den 27 Chefinnen und Chefs ab. Aufschlussreich ist aber doch, wie Michel nun Emmanuel Macron verteidigt, der auf dem Rückflug aus Peking in einem Interview das Bündnis der EU mit den USA infrage zu stellen schien.

Immer mehr Staats- und Regierungschefs in der EU würden an Macrons Idee der "strategischen Autonomie" Europas Gefallen finden, sagte Michel einem französischen Rundfunksender. Die EU habe auf dem Weg zur Autonomie in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Was die Beziehungen zu den USA betrifft, so gebe es bei den Gipfeltreffen unterschiedliche Befindlichkeiten. Einige am Tisch der 27 Chefs und Chefinnen würden genau wie Emmanuel Macron denken - es allerdings nicht so ausdrücken wie Macron, sagte Michel. Der Franzose steht nicht allein, lautete die Botschaft, sein Ton ist das Problem.

Beim Besuch in Peking übte nur von der Leyen Kritik an China

Europa dürfe in der Auseinandersetzung mit China nicht zum "Vasallen" der USA werden und beim Thema Taiwan sich nicht hineinziehen lassen in einen "Konflikt, der nicht der unsere ist", hatte Macron gesagt. Der Franzose verlor kein Wort des Dankes für die Rolle der USA bei der Unterstützung der Ukraine. Tags drauf sah er sich dann veranlasst klarzustellen, die USA seien Verbündete, China aber ein Systemrivale.

Ende Juni kommen die EU-Anführer wieder zum Gipfeltreffen, dann wird Charles Michel Gelegenheit haben, die unterschiedlichen Positionen zum Verhältnis zu China und den USA zusammenzuführen. Die Zerrissenheit der EU wurde am Dienstag deutlich, als Emmanuel Macron beim Staatsbesuch in den Niederlanden wieder sein Modell der europäischen Souveränität ausbreitete - und zur selben Zeit der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Richtung Washington aufbrach mit dem erklärten Ziel, das militärische und wirtschaftliche Bündnis mit den USA zu vertiefen. Nur die USA würden Europas Sicherheit garantieren, sagte der Pole. So sieht man das in fast ganz Osteuropa.

Auch die Kommission als Exekutive der Europäischen Union hat nun Mühe, die unterschiedlichen Positionen zu China und den USA zusammenzubringen. Ein Kommissionssprecher beharrte diese Woche darauf, Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron hätten bei ihrem gemeinsamen Besuch in Peking mit einer Stimme gesprochen. Tatsächlich hatte von der Leyen vor der Reise Chinas Menschenrechtsverletzungen im Inneren und das zunehmend aggressive Gebaren in der Außenpolitik deutlich kritisiert, vor allem die Unterstützung für den Kriegsherrn Wladimir Putin. Macron dagegen schlug in Peking deutlich versöhnlichere Töne an.

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Zur Schar der europäischen China-Besucher wollte sich diese Woche auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gesellen, er musste aber am Mittwoch seine Reise nach Peking wegen einer Covid-Infektion absagen. Er hatte, wie Macron, zuletzt mehrmals betont, Europa verfolge gegenüber China andere Interessen als die USA.

Die US-Regierung hat bislang sehr gelassen auf Macrons Interview und den Streit der Europäer reagiert. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, verwies auf das gute Verhältnis zwischen Macron und US-Präsident Joe Biden. Beide Länder würden "bei so vielen verschiedenen Themen" zusammenarbeiten. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump, der neuerlich für das Amt kandidiert, wertete Macrons Annäherung an Peking dagegen als Beleg dafür, dass die USA ihren Einfluss in der Weltpolitik verloren hätten. Macron habe Xi "den Arsch geküsst", sagte Trump.

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