Agrarpolitik:Brüssel will Landwirte versöhnen - und löst damit Streit in Berlin aus

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Ein Traktor zieht bei Berlin einen Pflug über ein Feld (Archivbild). (Foto: Rainer Jensen/dpa)

Wenn sich die Koalition beeilt, könnte sie noch diesen Monat Umweltauflagen für die Bewirtschaftung der Äcker lockern - mit dem Segen der EU-Kommission. Doch es gibt Streit, und der grüne Agrarminister droht, zwischen die Fronten zu geraten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Traktoren rollten auf Brüssel, und sie haben Eindruck hinterlassen. "Die weit verbreiteten Proteste der Landwirte sind für uns alle besorgniserregend", schreibt EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski am Donnerstag in einem Brief ans EU-Parlament. "Und ich stimme mit Ihnen überein, dass rasches Handeln erforderlich ist." Einen ersten Schritt hat die EU-Kommission dazu schon eröffnet, und der ist wirklich rasch: Die Mitgliedstaaten dürfen eine Regel aussetzen, die vier Prozent der europäischen Äcker aus der Bewirtschaftung herausnimmt. Bisher sollen diese vier Prozent Brachflächen bleiben, zum Schutz der Artenvielfalt. Wenn die Staaten wollen, können sie auf diese Pflicht vorübergehend verzichten, sehr zur Freude der Bauern, die überall in Europa demonstriert haben, zuletzt in Paris. Nur: Erklären müssen sie das noch in diesem Monat. Also bis nächsten Donnerstag.

Die Ampelkoalition hat so schon genug Probleme, einig zu werden. Und dann noch in solcher Zeitnot? Keiner muss sich darüber so viele Sorgen machen wie der zuständige Landwirtschaftsminister, der Grüne Cem Özdemir.

Die Umweltministerin kritisiert den "überstürzten und unreifen Beschluss"

Dessen Parteifreundin Steffi Lemke, die Umweltministerin, hatte schon vorige Woche klargemacht, dass sie von der Brüsseler Idee nichts hält. Es handele sich um einen "überstürzten und unreifen Beschluss", den Deutschland nicht umsetzen solle. Schließlich solle mithilfe der Brachflächen "das anhaltende Artenaussterben in unseren Agrarlandschaften gebremst werden", beschied Lemke, die selbst Agraringenieurin ist. Die Zukunft der Landwirtschaft hänge letztlich auch von der Artenvielfalt ab.

Özdemir wiederum steht unter dem Druck der Bauern, schon wegen der Causa Agrardiesel. Er würde deshalb gern der Aussetzung der Brachland-Pflicht zustimmen. Denn tatsächlich würde dies den Landwirten Linderung verschaffen. Zwar sollen die Brachflächen nur für Zwischenfrüchte oder Eiweißpflanzen geöffnet werden, aber auch die bringen Erträge. Zudem könnten die Betriebe weiter auf die Bewirtschaftung dieser Flächen verzichten, dann aber freiwillig - und gegen Entschädigung aus EU-Agrartöpfen.

Dem Landwirtschaftsministerium schwebt, so heißt es aus Fraktionskreisen, ein Kompromiss vor: Deutschland setzt die Brachland-Regelung aus, sorgt aber an anderer Stelle für mehr Naturschutz in der Landwirtschaft. Etwa durch Prämien für Betriebe, die Milchvieh auf Weiden halten, denn die Weidewirtschaft ist wichtig für den Artenschutz. Auch die schonende Einbringung von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln könnte extra entlohnt werden. Die nötigen Mittel ließen sich aus den bisherigen Flächenprämien für Landwirte abzweigen - was wiederum der Forderung vieler Expertinnen und Experten entspräche, Agrarsubventionen mehr an gesellschaftliche Leistungen und weniger an die Hektarzahlen der Betriebe zu knüpfen. Auch die vom Bund eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft fordert das. Das Umweltministerium findet den Kompromiss gut.

"Da machen wir nicht mit", sagt der FDP-Agrarpolitiker

Weniger als eine Woche bleibt der Regierung, um die deutsche Entscheidung nach Brüssel zu melden - doch eine Einigung ist fern. "Es wäre ein fatales Signal, wenn wir erst den Landwirten Entlastung zusagen und ihnen als Nächstes neue Lasten aufbürden", sagt etwa der FDP-Agrarpolitiker Gero Hocker. Nichts anderes bedeute es, wenn Gelder zugunsten neuer Ökoregeln umgeschichtet würden. "Die Landwirte sollen für das gleiche Geld mehr arbeiten", sagt Hocker. "Da machen wir nicht mit." Auch der Bauernverband läuft Sturm. Jede Änderung der finanziellen Bedingungen sei "inakzeptabel", sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. "Es ist ein Unding, dass erneut über die Köpfe von uns Bauern hinweg entschieden werden soll." Grünen-Agrarpolitikerin Renate Künast dagegen sieht nun alle Fraktionen "in der Pflicht, nicht im Klein-Klein zu verharren und zu blockieren". Denn immerhin schaffe der Kompromissvorschlag für die Betriebe Verlässlichkeit. "Ich werde die Hoffnung bis Donnerstag nicht aufgeben", sagt sie.

Auch Özdemir hält an seinem Vorschlag fest. Er habe "einen Weg der Mitte" vorgeschlagen, der Wettbewerbsfähigkeit und Artenschutz gleichermaßen diene. Für den wolle er nun werben. Fünf Tage hat er noch für diese Überzeugungsarbeit. Danach hat er entweder Stress mit der Umweltministerin oder mit den Bauern.

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