EU-Kommission:Merkel ringt mit den Anti-Juncker-Männern

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Beim Mini-Gipfel in Schweden wirbt Kanzlerin Merkel öffentlich für Juncker als Chef der EU-Kommission. Unterstützt vom Niederländer Rutte und dem Schweden Reinfeldt, bleibt der britische Premier Cameron hart. Er will den Preis für einen Kompromiss hochtreiben.

Von Sebastian Gierke

Idyllische Bilder, voller Harmonie: Eine Frau, drei Männer und ein Boot. Ein kleines Ruderboot auf einem kleinen See, umgeben von sommerlichem Grün. Hinten im Heck sitzt der britische Premierminister David Cameron, davor die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Gastgeber, der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, rudert, am Bug hat der niederländische Regierungschef Mark Rutte Platz genommen.

Doch die Szene vom Pfingstmontag trügt: In einem Boot sitzen die Vier im Moment nicht, zumindest nicht politisch. Erbittert wird um die Frage gestritten, wer den Chefposten der Europäischen Union in Zukunft innehat.

Dieses Thema überlagert das Treffen der großen europäischen Wirtschaftsnationen des Nordens. Merkel, Cameron, Rutte und Reinfeldt sind zu einem Mini-EU-Gipfel auf dem Landsitz Reinfeldts in Harpsund, südwestlich von Stockholm, zusammengekommen. Merkel gegen die Männer, so war das Treffen angekündigt worden. Die Kanzlerin steht im Wort, für Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident zu kämpfen; Rutte und Reinfeldt sind skeptisch, Cameron will Juncker unbedingt verhindern.

An diesem Dienstag präsentieren sich die vier konservativen Regierungschefs trotzdem entspannt und durchaus harmonisch der Presse. Merkel scherzt über "einen Innovationsschub" bei den Sicherheitswesten, die sie während der Bootsfahrt trugen. Sie seien "leicht und angenehm" zu tragen gewesen.

Die Harmonie wirkte allerdings ein bisschen erzwungen - und sie war Programm. Alle betonten, man habe vor allem über Inhalte gesprochen, nicht über Personalien. Und bei den Inhalten herrsche große Einigkeit. "Wir haben uns auf die Wirtschaftspolitik konzentriert", beginnt Reinfeldt. Und das, was er dann sagt, wiederholten die anderen fast wortgleich. Einen umfassenden Plan für die kommenden fünf Jahre wolle man sich geben, eine Agenda für Wachstum und Wohlstand. Man müsse für mehr Beschäftigung in Europa sorgen. Die Energiepolitik und die Unabhängigkeit von ausländischen Energiequellen sei wichtig und die Digitalisierung.

Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeldt im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: AFP)

Merkel reichlich unkonkret

Merkel legt sich nicht fest und betont reichlich unkonkret, dafür brauche es Strukturreformen, die Konsolidierung der Haushalte müsse vorangetrieben werden, außerdem sei der Freihandel ein wichtiges Thema. Gleiches gilt für Cameron, der allerdings die Betonung auf Wandel legt. "Wir glauben, dass sich die Europäische Union ändern muss", sagt der britische Premier und unterstreicht, dass sich Brüssel aus seiner Sicht nicht mehr so stark in "nationale Belange" einmischen dürfe. Und die Sozialsysteme, die dürften nicht ausgenützt werden. Das ist nicht neu, das sagt Cameron in jedes Mikrofon, seit die UKIP Ende Mai die britische Europawahl gewonnen hat.

Was die drängenden Personalien angeht, halten sich die Vier auch auf Nachfrage der Journalisten merklich zurück. Merkel erklärt noch einmal, dass der frühere luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker ihr Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten sei. Cameron beharrt darauf, dass der Europäische Rat den Kandidaten vorschlage und dass dieses Verfahren bitteschön nicht verändert werden solle.

Den Namen Juncker nimmt Cameron nicht in den Mund. Schon kurz vor dem Gipfel hatte er in diesem komplexen diplomatischen Poker seinen Widerstand gegen den Luxemburger noch einmal verstärkt. Bei seiner Ankunft in Schweden erklärte er, dass die demokratisch gewählten Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) den Kandidaten für den Chefposten der Gemeinschaft bestimmen sollten. Es dürfe kein Verfahren akzeptiert werden, auf das sich die EU nie geeinigt habe.

Tatsächlich wurde Juncker in Großbritannien, anders als in Deutschland, nie als der konservative Frontmann im Europawahlkampf präsentiert. Cameron will und wollte nichts davon wissen, dass Parteien mit Spitzenkandidaten in den Wahlkampf ziehen und der Sieger später Kommissionschef wird. Der britische Premier hält Juncker für zu integrationsfreundlich. Er will sein Land dagegen unabhängiger von den Entscheidungen in Brüssel machen, hält Juncker er für einen "Mann der Vergangenheit". Angela Merkel hatte kurz nach der Wahl selbst gezögert, sich dann aber für Juncker ausgesprochen.

Auch nach Harpsund gilt weiter: Jean-Claude Juncker ist nicht gewählt, aber er ist auch nicht verhindert. Die jetzt zur Schau gestellte demonstrative Einigkeit bei inhaltlichen Fragen könnte ein Hinweis darauf sein, wie ein möglicher Kompromiss zumindest aus deutscher Sicht aussehen könnte. Merkels Taktik scheint zu sein, den Briten inhaltlich entgegenzukommen, so dass diese Juncker im Rat zumindest nicht blockieren. Konkrete Aussagen darüber, in welche Richtung sich der Machtpoker entwickelt, der sich immer mehr zu einem Machtkampf zwischen EU-Rat und EU-Parlament ausweitet, sind aufgrund der komplexen Situation im Moment allerdings kaum möglich ( weitere Hintergründe über die Interessen von Briten, Franzosen, Deutschen und Italiener in dieser SZ-Analyse).

Freiwilliger Verzicht Junckers möglich?

So hält die CDU-Führung einem Zeitungsbericht zufolge einen Rückzug Junckers aus dem Rennen für möglich. Im Umfeld von Merkel sei inzwischen von einem möglichen "freiwilligen Verzicht" Junckers die Rede, berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung. "Das wäre eine von mehreren Optionen", zitierte das Blatt Parteiführungskreise. Demnach ist sich die Führungsriege darüber im Klaren, dass ein Abgang Junckers die Wähler derzeit verwirren und enttäuschen könnte. Dies könne sich aber ändern, wenn sich nach einer monatelangen Debatte erweise, dass Juncker im Kreis der Staats- und Regierungschefs nicht durchsetzbar sei.

Sollte Juncker zurückziehen, werden als mögliche Alternativen in Brüssel und den anderen EU-Haupstädten die Regierungschefs Irlands und Finnlands, Enda Kenny und Jyrki Katainen, genannt. Sie gehören wie der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski alle der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) an. Oft fällt auch der Name von Dänemarks sozialdemokratischer Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt.

Anfang Juli tritt das Europaparlament zum ersten Mal zusammen. Bis zum EU-Gipfel am 26. Juni sollen sich die Staats- und Regierungschefs auf einen Vorschlag für einen Kommissionspräsidenten einigen, über den das Parlament dann abstimmen soll. Doch bis es zu einer solchen Einigung kommt, sind ganz sicher noch einige Treffen nötig. Rettungswesten für alle Beteiligten inklusive.

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