Rechtsstaatlichkeit in der EU:Ultimatum für Ursula von der Leyen

Lesezeit: 2 min

Soll den Rechtsstaatsmechanismus laut einer Forderung des EU-Parlaments zügig anwenden: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: Stephanie Lecocq/REUTERS)

Das Europaparlament fordert von der EU-Kommission, die Rechtsstaatsklausel sofort anzuwenden. Angesichts der Lage in Polen und Ungarn warnt Ex-Justizministerin Barley: "Hier zählt jeder Tag."

Von Matthias Kolb, Brüssel

Das Europaparlament erhöht den Druck auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), den seit Januar gültigen Rechtsstaatsmechanismus zügig gegen Staaten wie Ungarn oder Polen einzusetzen. Damit könnten Fördergelder aus Brüssel gekürzt oder gestoppt werden. Für eine entsprechende Resolution stimmten 529 Abgeordnete, während sich zehn Parlamentarier enthielten und 148 dagegen votierten. "Die Verzögerungstaktik der EU-Kommission ist rechtswidrig und muss Konsequenzen haben. Korrupten Rechtsstaatsignoranten gehört der EU-Geldhahn endlich abgedreht", sagt der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner, der die Resolution federführend verfasst hat.

In ihr wird der EU-Kommission bis zum 1. Juni ein Ultimatum gesetzt, das neue Instrument zum Schutz des EU-Haushalts anzuwenden. "Wenn von der Leyen nicht bald gegen Rechtsstaatssünder vorgeht, wird das Parlament sie auf Untätigkeit verklagen", sagt Katarina Barley (SPD). Beim EU-Gipfel im Dezember hatten die Regierungen aus Polen und Ungarn ihre Blockade des EU-Haushalts und des Corona-Pakets, mit dem sie die neue Rechtsstaatskonditionalität blockieren wollten, erst nach einem Deal aufgegeben. Damals war ihnen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den anderen Staats- und Regierungschefs zugesichert worden, dass der Mechanismus nicht angewendet wird, bevor der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) dessen Vereinbarkeit mit EU-Recht überprüft hat.

Europäischer Gerichtshof
:Polen und Ungarn klagen vor EuGH gegen EU-Rechtsstaatsklausel

Diese erlaubt die Kürzung von EU-Geldern bei bestimmten Rechtsstaatsvergehen. Die Machtprobe Ungarns und Polens mit der EU geht damit in die nächste Runde.

Die Klagen, die Budapest und Warschau Mitte März eingereicht haben, haben nach Ansicht der früheren Bundesjustizministerin Barley keine aufschiebende Wirkung. Von der Leyen, mit der sie gemeinsam im Kabinett von Angela Merkel saß, wirft Barley vor, dass wegen der "Feigheit" der Kommission die Grundfesten der EU zerbröckeln. Sie sei im Austausch mit Richterinnen und Richtern in Polen, wie Barley dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte: "Sie werden willkürlich versetzt und mit Disziplinarmaßnahmen belegt, nur weil sie die Unabhängigkeit der Justiz hochhalten." Die Schäden, die der Rechtsstaatlichkeit und diesen mutigen Menschen und ihren Familien zugefügt werden, seien irreparabel: "Hier zählt jeder Tag."

Mit einem Richterspruch rechnet die Kommission im Frühsommer

Sowohl gegen Polen als auch Ungarn laufen bereits sogenannte Artikel-7-Verfahren wegen der Verletzung von EU-Grundwerten. Da für eine Strafe jedoch Einstimmigkeit erforderlich ist, blieben sie wirkungslos. Auch Terry Reintke von den Grünen drängt zur Eile: "Die ungarische Regierung schränkt weiterhin zivilgesellschaftliche Freiräume ein und beschneidet die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen." Rechtsstaatlichkeit sei nichts Abstraktes, sondern etwas sehr Konkretes: "Sie ist die Kontrolle, die eine Regierung zur Rechenschaft zieht, und unterscheidet die Demokratie von der Diktatur."

Das neue Instrument sieht vor, dass die EU-Kommission die Kürzung von Fördergeldern beantragen kann, wenn wegen einer Verletzung von Grundwerten wie Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit oder fehlender Neutralität der Staatsverwaltung ein Missbrauch von EU-Mitteln droht. Die EU-Abgeordneten kritisieren auch, dass die Behörde erst eigene Leitlinien ausarbeiten will, wie die Rechtsstaatsklausel interpretiert und umgesetzt werden soll. Die zuständige Kommissarin Věra Jourová, die auch im Europaparlament hohes Ansehen genießt, sprach in einem Interview mit Bloomberg kürzlich davon, dass die Leitlinien nach dem EuGH-Urteil in zwei Monaten fertigzustellen seien. Mit einem Richterspruch aus Luxemburg rechnet Jourová "im Frühsommer".

Auch aus den eigenen Reihen gibt es Druck auf die CDU-Politikerin von der Leyen, die im Juli 2019 dank der Stimmen der polnischen und ungarischen Regierungsparteien an die Spitze der EU-Kommission gewählt wurde. Auch die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier möchte die Leitlinien bis Juni sehen und warnt vor einer Verzögerung. Dem EuGH-Urteil sieht die Chefin des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament jedoch gelassen entgegen: "Die Nichtigkeitsklagen von Polen und Ungarn sind kein Anlass zur Beunruhigung."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kurz vor Gipfeltreffen in Brüssel
:EU verschärft Regeln für Export von Corona-Vakzinen

Die Kommission will damit den Druck auf die Hersteller erhöhen - und auf Länder wie Großbritannien. Auch in der EU selbst wird gestritten.

Von Björn Finke, Matthias Kolb und Alexander Mühlauer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: