EU-Gipfel:Offene Grenzen, aber eingeschränktes Reisen

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Ein Ziel haben von der Leyen und Michel erreicht: Die EU-Mitglieder stimmen sich im Vorgehen ab. (Foto: Olivier Hoslet/AP)

Dadurch wollen die EU-Mitgliedsstaaten den Binnenmarkt am Laufen halten. Es soll jedoch härtere Regeln gegen unnötige Reiserei geben - und vorerst keine Privilegien für Geimpfte.

Von Karoline Meta Beisel, Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Vor diesem Videogipfel war bei manchem die Sorge groß gewesen, dass die EU-Staaten nun wieder untereinander die Grenzen schließen könnten, im Kampf gegen besonders aggressive Corona-Varianten. Doch bei der Konferenz der 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend war dann schnell klar, dass dies alle vermeiden wollen. Stattdessen einigten sich die Spitzenpolitiker darauf, härtere Regeln gegen unnötiges Reisen entwickeln zu wollen. Die EU-Kommission wird dazu bereits Anfang kommender Woche Vorschläge machen. Außerdem will sie für die europäische Risikogebiete-Karte eine neue, dunkelrote Kategorie vorschlagen. Derzeit leuchtet auf dieser praktisch ganz Europa knallrot.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte nach der Unterredung, die Regierungen hätten ihre Lektion aus dem Chaos gelernt, das nach den Grenzschließungen im vergangenen Frühjahr herrschte: "Es ist wichtig, das Funktionieren des Binnenmarktes zu garantieren", sagte der frühere belgische Premier. "Auf der anderen Seite wissen wir, dass es wahrscheinlich nötig sein wird, zusätzliche einschränkende Maßnahmen gegen nichtnotwendige Reisen zu ergreifen."

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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte es als "einen sehr guten Schritt nach vorne", dass die 27 Regierungen sich nun von Anfang an besser abstimmten. Sie klagte aber auch, dass die EU und die Regierungen viel mehr Daten "über die wirkliche Präsenz und die wirkliche Ausbreitung" des Virus in seinen Varianten benötigen würden. "Wir brauchen überall in der EU mehr Tests und mehr Sequenzierung; fast alle Mitgliedstaaten sequenzieren weniger als ein Prozent der positiven Tests." Das Sequenzieren macht klar, um welche Virusvariante es sich handelt. Die Kommission gibt einen Wert von fünf Prozent der positiven Tests als Ziel vor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich bereits am Donnerstagmorgen in Berlin zum europäischen Kampf gegen Corona geäußert. Sie hatte da Grenzkontrollen als "Ultima Ratio" bezeichnet, die man unter allen Umständen verhindern wolle. Ganz ausschließen könne man sie aber nicht. Kein Wunder, hatte die Bundesregierung die Debatte doch mit einem Papier vorangetrieben, das vorab unter den Mitgliedstaaten zirkulierte und der SZ vorliegt.

Demnach schlägt die Bundesregierung unter anderem vor, die Verbreitung der Varianten bei der Ausweisung von Risikogebieten zu berücksichtigen, ganz ähnlich wie es von der Leyen nach der Videokonferenz beschrieb. Dann könnten auch innerhalb der EU auf dieser Basis Test- oder Quarantänepflichten verhängt werden. Auch der CSU-Chef Markus Söder drängte auf ein gemeinsames Vorgehen. "Sollte das nicht klappen, dann sind Grenzkontrollen zwingend notwendig", sagte er.

Die Kanzlerin betonte, es gehe ihr nicht um flächendeckende Grenzkontrollen. Aber: "Wenn ein Land mit einer vielleicht doppelt so hohen Inzidenz wie Deutschland alle Geschäfte aufmacht, während sie bei uns noch geschlossen sind, dann hat man natürlich ein Problem." Redebedarf habe sie vor allem mit der Schweiz und mit Tschechien.

Aber während manche Regierungschefs zur Eindämmung des Virus neue Beschränkungen erwägen, denken andere bereits darüber nach, ob und wie man den Reiseverkehr für Geimpfte möglichst bald wieder erlauben kann. Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis hatte die Debatte angestoßen, in dem er Reisefreiheit für Geimpfte und dafür ein gemeinsames EU-Impfzertifikat forderte. Auch andere Urlaubsländer wie Spanien, Malta und Portugal befürworten solch eine Lösung. "Das könnte zur Wiederherstellung der Mobilität auf europäischer Ebene beitragen", sagte die spanische Tourismusministerin Reyes Maroto.

Die Frage nach Privilegien für Geimpfte stelle sich nicht, sagt Merkel

Andere Länder stehen dem Vorhaben allerdings kritisch gegenüber. Zum einen, weil noch gar nicht klar ist, ob und welche Impfstoffe auch vor der Übertragung des Virus schützen. Zum anderen konnte sich bis jetzt erst ein kleiner Teil der Europäer impfen lassen. Ähnlich äußerte sich auch Merkel: Die Frage nach Privilegien stelle sich noch nicht.

Tenor beim Gipfel war, dass es noch zu früh ist, Geimpften Vorteile zu gewähren. Von der Leyen sagte, es gebe hier viele offene Fragen: "Daher werden wir später, wenn die Zeit reif ist, eine gründliche Debatte führen müssen" darüber, welche Privilegien mit einem Impfzertifikat verbunden sein könnten.

Zu Beginn der Videokonferenz sprach EU-Ratspräsident Charles Michel die Verhaftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny an. Sie wird von der EU scharf verurteilt. Auch in der Forderung, den Kremlkritiker sofort freizulassen, sind sich alle einig, was Michel in der Pressekonferenz betonte. Laut EU-Diplomaten thematisierten neben Merkel auch die Premierminister aus Finnland, Polen und den Niederlanden die Lage des Kremlkritikers. Die Vertreter aus Lettland, Estland und Litauen sprachen sich erneut für Sanktionen gegen Moskau aus.

Auch das Europaparlament verlangte weitere Maßnahmen gegen Russland, unter anderem etwa gegen Oligarchen und deren Familien. Und 581 der 705 Abgeordneten stimmten zudem für einen Baustopp der deutsch-russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2. Die Entschließung wurde von Christ- und Sozialdemokraten sowie von Liberalen und Grünen unterstützt.

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