Ernährungsstrategie:Besser essen

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"Und schmecken darf's auch": Landwirtschaftsminister Cem Özdemir setzt sich für gesunde Ernährung ein. Und die Bauern protestieren weiter. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Das Bundeskabinett verständigt sich auf einen Plan, mit dem die Ernährung in Deutschland besser werden soll. Doch für viele der schönen Ideen fehlt dem Bund schlicht die Handhabe.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wie gutes Schulessen aussehen kann, das weiß Cem Özdemir ganz genau. Nur vielleicht nicht aus Deutschland. Im vorigen Jahr, bei einer Reise nach Brasilien, besuchte der Ernährungsminister von den Grünen dort eine Schule in Belo Horizonte. Mit einer weißen Hygienemütze auf dem Kopf sah er zu, wie in großen Töpfen ein Mittagessen entstand, zubereitet aus regionalen Produkten. Millionen Schüler werden in Brasilien so jeden Tag verpflegt. Der Minister aus Deutschland war beeindruckt.

Geht es nach Özdemir, dann gibt es solche Mahlzeiten dereinst auch in Deutschland. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett seine "Ernährungsstrategie" angenommen. Sie soll helfen, Ernährung in Deutschland gesünder zu machen, weniger fleischlastig, nachhaltiger. "Und schmecken darf's auch", findet Özdemir. Der Gemeinschaftsverpflegung, wie es sie in Kantinen, in Krankenhäusern oder eben in Schulen gibt, soll dabei eine "Schlüsselrolle" zukommen - schließlich nährt sie jeden Tag 17 Millionen Menschen im Land. "Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt", sagt Özdemir. "Und da leuchtet mir nicht ein, dass Kinder die Schule hungrig verlassen." Aus eigener Erfahrung könne er sagen, dass sich mit leerem Magen schwer lerne.

Auch der Bürgerrat sprach sich für gutes und kostenfreies Schulessen aus

Erst am Wochenende war der Bürgerrat Ernährung zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Bundesweit solle "an allen Kindergärten und Schulen kostenfreies und gesundes Mittagessen angeboten werden", empfahlen die Bürger, die in dem Rat monatelang über Wege zu einer besseren Ernährung debattiert hatten. Und auch der Ernährungsstrategie des Bundes war ein Bürgerforum vorgeschaltet, das Ideen zusammentrug - etwa zur Lebensmittelverschwendung oder zur Werbung für ungesunde Produkte. Nur krankt sie wie mancher gute Plan an der Umsetzung: Mal fehlt die Zuständigkeit, mal das Geld, mal der gemeinsame Wille. "In der Ernährungsstrategie finden sich zwar viele hehre Ziele", sagt Luise Molling vom Verbraucherverein Foodwatch. "Aber kaum wirkungsvolle Maßnahmen."

In Sachen Gemeinschaftsverpflegung etwa hat der Bund nur direkten Einfluss auf seine eigenen Kantinen: also auf das Essen in Ministerien, bei der Bundeswehr oder der Bundespolizei zum Beispiel. Länder und Kommunen regeln die Sache in den Schulen. Weshalb der Bund nun zumindest erreichen will, dass bis 2030 die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in der Gemeinschaftsverpflegung verbindlich werden. Damit würde so manche Mahlzeit gesünder.

Mit einem Wettbewerb will Özdemirs Ministerium Regionen nun animieren, höhere Standards umzusetzen, Titel: "Ernährungswende in der Region". Die Hauptaufgabe in den Schulen aber liegt bei den Ländern, räumt auch Özdemir ein. Und für eine richtig große Offensive fehlt dem Bund derzeit ohnehin das Geld.

Hier das Werbeverbot für Ungesundes, dort die Bauernproteste

Auch ein anderes Dauer-Thema des Ministers findet sich in der Strategie: ein Verbot von Werbung für Süßes und Fettiges, die an Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren gerichtet ist. Entsprechende Gesetzespläne gibt es seit dem vergangenen Sommer, ebenso lang aber auch Streit darüber. Der FDP gehen die Einschränkungen zu weit, auch die Werbewirtschaft begehrt auf.

"Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn wir da keine Lösung finden", sagt Özdemir, als er in seinem Ministerium die Ernährungsstrategie vorstellt. Zwischendurch dröhnt immer wieder Hupen durch die Fenster - vor dem Ministerium stehen fünf Traktoren. Der Ärger der Landwirte liefert auch am Mittwoch die Begleitmusik.

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Die Ernährungsstrategie kommt pünktlich zur Agrarmesse Grüne Woche, die am Freitag beginnt - aber auch inmitten der Proteste gegen gekürzte Dieselsubventionen für Landwirte. Diesen Donnerstag ist die Lage der Landwirte auch Thema im Bundestag, Özdemir stellt den "Agrarpolitischen Bericht" vor.

Die Koalitionsfraktionen haben einen Entschließungsantrag erarbeitet, der die Nöte der Landwirte aufgreifen soll. "Ein 'Weiter so' ist keine Option", heißt es darin. "Es bedarf eines umfassenden Ansatzes für einen Wandel hin zu einer zukunftsfesten Landwirtschaft." Doch der Antrag ähnelt der Ernährungsstrategie des Bundes: Er wirft jede Mengen Fragen auf. Konkrete Antworten enthält er bislang nicht.

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