Ein Bild und seine Geschichte:Cesare Battisti: Held und Hochverräter

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Cesare Battisti wird im Graben hinter dem Bischofspalast von Trient am Würgegalgen stranguliert. Nach seinem Tod wurde die Leiche mit einem weißen Tuch bedeckt. Der Sinn der nachträglichen Markierungen auf dem Foto ist nicht vollständig geklärt. (Foto: Museo storico del Trentino)

Am 12. Juli 1916 wird der Italo-Österreicher Cesare Battisti erdrosselt. Die Fotos des sterbenden Sozialdemokraten gehen um die Welt, Mussolini instrumentalisiert ihn später schamlos. Wer war der Tote wirklich?

Von Oliver Das Gupta, Trient

Oberleutnant Cesare Battisti ahnt, dass ihm der Tod bevorsteht, als er am 11. Juli 1916 bergab stapft. Finster schaut der Mann drein, auf seinem Kopf sitzt ein Stahlhelm, eine Kette fesselt seine Hände. In der Nacht war Battisti mit seiner italienischen Einheit in ein Gefecht geraten mit Tiroler Landschützen. Der Rückzug war durch eigenes Artilleriefeuer abgeschnitten, es gab kein Entrinnen. Battisti soll noch die Pistole gezogen haben, ergab sich dann aber den Österreichern.

Heroische Romantik empfand er zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr, das Grauen des Krieges hatte ihn mürbe gemacht. "Die Soldaten sind Schlachtvieh", schrieb Battisti seiner Frau kurz bevor er zu dem verhängnisvollen Einsatz startete.

Nun ist er Gefangener. Die Österreicher erkennen bald, wen sie in ihrer Gewalt haben. Als die Nachricht von Battistis Gefangennahme in Wien eintrifft, informiert man sofort den Henker Josef Lang. Battisti ist zwar noch gar nicht der Prozess gemacht worden, aber der Scharfrichter macht sich schon auf den Weg ins ferne Trient.

Der Erste Weltkrieg tobt damals im dritten Jahr, Italien mischt seit 14 Monaten mit und das lag auch an Battisti. Vehement hatte er dafür getrommelt, dass Italien in diesen Krieg eintritt. Der promovierte Geograph stammte aus dem Trentino, dem südlichsten Teil der damaligen Grafschaft Tirol. Die Region um die alte Konzilsstadt Trient (Trento) gehört damals ebenso zu Österreich-Ungarn wie Triest und ein Teil Friauls. Die italienischsprachigen Einwohner gehören zu den Minderheiten im Vielvölkerstaat der Habsburger und sie fühlen sich benachtteiligt und von der Obrigkeit drangsaliert.

Battisti hatte in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg politisch versucht, die Dinge friedlich zu ändern. Er trat der Sozialdemokratischen Partei bei, gab eine Zeitung heraus, schließlich wurde er Abgeordneter im Reichsrat in Wien und im Tiroler Landtag. Er wandte sich gegen Rüstungsausgaben und prangerte Schikanen an.

Immer wieder forderte er Autonomie für das Trentino und damit eine dringend notwendige Föderalisierung des angestaubten Imperiums von Kaiser Franz Joseph I. "Wir wollen eine Autonomie, die Selbstverwaltung für jedes Volk vorsieht", schrieb Battisti 1914. Er warnte auch in Parlamentsreden vehement davor, dass die Reformunwilligkeit den Untergang der K.-und-K.-Monarchie bedeuten würde.

"Traurige Resignation" beim Ausbruch des Weltkrieges

Battisti hing lange dem sozialdemokratischen Credo von Internationalismus und Gerechtigkeit an und sprach sich gegen Nationalismus aus. Mit dem Ausbruch des Weltkrieges wandte er sich von den deutsch-österreichischen Genossen ab. "Die Sozialdemokraten in Österreich und Deutschland agierten immer mehr deutschnational", sagt Giuseppe Ferrandi, der Direktor des Historischen Museums in Trient. "Der Internationalist Battisti hatte kein Modell mehr und orientierte sich neu."

Als der Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo ermordet wurde und der Weltkrieg ausbrach, verglich Battisti die Lage mit den "letzten Zuckungen eines Sterbenden", dem man mit "Erleichterung" und "trauriger Resignation" beiwohne.

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Battisti war mit Österreich endgültig fertig. Nun forcierte er offen eine andere Lösung, um die Freiheit und Gleichbehandlung der Trentiner und anderssprachigen Untertanen in Österreich zu erreichen: den Anschluss der Regionen an Italien. Er setzte sich ins damals neutrale Italien ab und wirbt dort dafür, Wien den Krieg zu erklären. Tatsächlich trat Rom 1915 auf der Seite von Frankreich, Russland und Großbritannien in den Weltkrieg ein, nachdem die Großmächte bei einem Sieg großzügige Territorialgewinne versprochen hatten.

In Österreich-Ungarn galt Battisti zu dieser Zeit schon lange als Verräter, weithin bekannt wird er erst mit seinem Ende. Die letzten zwei Tage im Leben Battistis sind fotografisch weitgehend dokumentiert. Der Abstieg aus dem Hochgebirge hinab ins Etschtal, der Weg durch seine Heimatstadt Trient im offenen Pferdewagen, vorbei an der gaffenden Bevölkerung, vorbei am Dom. Die Route verläuft direkt durch das Stadtzentrum, von weitem kann Battisti noch einmal sein Geburtshaus sehen.

Im Castello del Buonconsiglio, dem prächtigen Bischofspalast, endet die Fahrt. Battisti wird verhört und in einer kleinen Zelle eingesperrt, man kann sie heute noch besichtigen. Nach einer Nacht wird ihm der Prozess gemacht, den Historiker Ferrandi "eine Farce" nennt: Battisti wird der Anwalt seines Vertrauens verweigert, die Ankläger ignorieren seine formell nach wie vor bestehende österreichische Abgeordnetenimmunität.

Ein Militärgericht befindet ihn innerhalb eines Vormittags für schuldig, er wird zum Tode verurteilt. Allerdings wird ihm verweigert so zu sterben, wie es nach damaliger Sicht "ehrenvoll" wäre: Statt in italienischer Uniform muss er einen Zivilanzug tragen. Zudem wollen ihn die Österreicher auch nicht erschießen lassen - Battisti soll am Würgegalgen sterben.

(Foto: sz-grafik)

Am Abend des 12. Juli wird Battisti von Soldaten in seiner Zelle abgeholt, er wird durch den kunstvoll mit Fresken versehenen Palast geführt auf die Rückseite, in den Graben. Dort warten hunderte Soldaten, manche sind die Felsen hochgeklettert, um besser sehen zu können.

Henker Lang legt ihm die Schlinge um, sie reißt. Den zweite Versuch überlebt Cesare Battisti nicht. Ein Arzt stellt den Tod fest. Scharfrichter Lang posiert über der Leiche, Soldaten und Zivilisten drängen links und rechts neben den Toten. Alle grinsen, als der Fotograf mit der Kamera kommt. Später wird ein Gebet gesprochen, man bedeckt den Toten mit einem weißen Tuch, die Soldaten salutieren.

Pausenlos knipsen damals mehrere Fotografen, so dass noch heute mehr als 150 Bilder von der Hinrichtung erhalten sind. Das frühe Medienereignis hat Folgen. Durch die öffentlichkeitswirksame Tötung verbreitet sich die Nachricht von Battistis Schicksal, zwar zeitversetzt, aber sicher dringt die Kunde um die Welt.

Der austriakische Triumph über den Verräter gerät zum propagandistischen Rohrkrepierer: Nicht Battistis Seitenwechsel, sondern die demonstrative Grausamkeit steht nun im Mittelpunkt. Nach dem Ende des Krieges wird Karl Kraus die Hinrichtung in seinem Werk "Die letzten Tage der Menscheit" einflechten. Die Erstausgabe illustriert der scharfzüngige Wiener Literat mit dem Foto der Leiche und den Grinsern.

"Battisti glaubte an die Demokratie - Mussolini glaubte an die Gewalt"

In Italien entsteht schon unmittelbar nach der Hinrichtung ein regelrechter Battisti-Kult. Anders als zu Lebzeiten preisen nun auch Nationalisten den Toten.

Besonders dratisch wird ab den 1920er Jahren. Benito Mussolini, der vor dem Krieg als sozialistischer Funktionär Battisti kennengelernt hatte, betreibt die posthume Instrumentalisierung schamlos. Auf einem Hügel über Trient lässt der faschistische Diktator sogar ein monumentales Grabmal errichten, bei dessen Einweihung Battistis Ehefrau Ernesta demonstrativ fernblieb. "Battisti blieb immer Sozialist und glaubte an die Demokratie", sagt Historiker Ferrandi: "Mussolini glaubte an die Gewalt."

Battistis Witwe versucht bis zu ihrem Tod in den fünfziger Jahren, das Bild ihres Mannes richtig zu rücken: Er sei kein Nationalist gewesen, schon gar nicht habe er gewollt, dass die deutschsprachigen Südtiroler unterdrückt werden - so wie das bis nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall sein sollte. Battisti habe im Prinzip den Traum geträumt von den "vereinigten (nationalen) Staaten Europas", schreibt der Südtiroler Journalist Claus Gatterer in seiner Battisti-Biographie.

Ein anderer Trentiner, den Battisti aus Innsbrucker Studententagen kannte und der im Ersten Weltkrieg nach Italien ging, macht später Karriere in Rom: Alcide de Gasperi, der als italienischer Regierungschef einer der Gründungsväter der heutigen EU werden sollte. "Wenn Battisti den Krieg überlebt hätte, wäre er einer der Vordenker Europas geworden", sagt Historiker Ferrandi. "Er wollte freie Bürger in einem föderalen Europa".

Im Trienter Castello del Buonconsiglio kann die Gefängnisszelle Cesare Battistis, der Saal der Gerichtsverhandlung und der Ort der Hinrichtung besichtigt werden.

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