In den Reihen der Linken schauen einige höchst angestrengt auf ihre Smartphones. Oder müssen extrem Wichtiges mit ihren Sitznachbarn besprechen. Sahra Wagenknecht steht gerade am Rednerpult im Plenum des Deutschen Bundestages. Die Fraktionsvorsitzende der Linken eröffnet die sogenannte Elefantenrunde in der Haushaltsdebatte. Der Ort, an dem die Kanzlerin ihre Politik erklären und verteidigen muss. Und die Opposition mit möglichst dampfenden Reden dagegenhält. An diesem Mittwoch war alles etwas anders als in den Jahren zuvor. Und das lag auch an Wagenknecht.
Kleine Rückblende: Am Morgen des 9. November gehen Schockwellen um die Welt, ausgelöst in den Vereinigten Staaten von Amerika. Donald Trump hat die Wahl zum Präsidenten der USA gewonnen. Und jetzt steht Wagenknecht im Hohen Haus und sagt an die Bundesregierung gerichtet: "Offenbar hat ja selbst noch ein Donald Trump wirtschaftspolitisch mehr drauf als Sie."
Die Linke gefällt sich durchaus in der Rolle, als einzige Partei etwas anders zu sehen als der Rest der Republik. Aber Trump loben? Das verblüfft. Wagenknecht unterstützt Trumps Ankündigung eines "großangelegten öffentlichen Investitionsprogramms". Das habe jetzt schon zu höheren Zinsen geführt. Und so etwas will Wagenknecht auch für Deutschland, für Europa. Mit Trump sei ein "Weiter so" abgewählt worden.
Trump hat bisher einige Versprechen gemacht: Massive staatliche Investitionen gehören ebenso dazu wie massive Steuersenkungen. Ohne allerdings bisher zu sagen, wie das zusammenpassen soll.
Irgendwie scheint Wagenknecht diese Art von Politik zu gefallen. Genau wie Trump, der die USA in düstersten Farben geschildert hat, kann Wagenknecht nichts, aber auch gar nichts Positives an Deutschland entdecken: sozialer Notstand, Altersarmut, Dauerarbeitslose, Hartz IV, baufällige Schulen, überlastete Lehrer, junge Menschen ohne Chance, überschuldete Städte, geschlossene Bibliotheken und Schwimmbäder. Und so weiter und so fort.
Die Linke warnt die Regierung davor, sich moralisch überlegen zu fühlen
Wer dagegen nichts tue, "der sollte aufhören, sich den Trumps und Le Pens moralisch überlegen zu fühlen. Denn das sind Sie nicht." Und natürlich fordert sie auch: "Treten Sie aus der militärischen Infrastruktur der US-dominierten Nato aus!" Besser lässt sich die Idee von einem rot-rot-grünen Projekt nach der Bundestagwahl 2017 gar nicht kaputtreden.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bemerkt dazu später: "Früher hieß es, Proletarier aller Länder vereinigt euch. Heute muss es heißen Populisten aller Länder vereinigt euch."
Angela Merkel geht auf Wagenknecht so gut wie gar nicht ein. Sie versucht sich stattdessen an einer Antwort auf die Frage, warum Politik so viele Menschen offenbar gar nicht mehr erreicht. Und wie es um den Zusammenhalt in der Gesellschaft bestellt ist.
Merkel beschwört den Zusammenhalt der Gesellschaft
Sie zitiert den peruanischen Schriftsteller Mario Vargas Llosa mit einem Gedanken, der sie offenbar beeindruckt hat: "Die Bereitschaft mit denen zusammenzuleben, die anders sind, war vielleicht der außergewöhnlichste Schritt der Menschen auf dem Weg zur Zivilisation. Ein Schritt, welcher der Demokratie vorausging. Und diese überhaupt erst möglich gemacht hat."
Mit dem Satz wiederholt Merkel im Grunde ihr "Wir schaffen das", mit dem sie vor einem Jahr an die Flüchtlingsfrage herangegangen ist. Und der vor allem von der CSU und den Rechtspopulisten der AfD heftig angegangen worden ist.
Merkel bleibt dabei. Trotz aller "kritischen Diskussionen hat sich im letzten Jahr ein großartiges Maß an Zusammenarbeit und Zusammenhalt von Hauptamtlichen und Freiwilligen gezeigt, auf das unser Land wirklich stolz sein kann". Es sind nicht mehr viele, die beharrlich auf diesen Umstand hinweisen.
Die Kanzlerin verteidigt auch das EU-Türkei-Abkommen, mit dem Kriegsflüchtlinge in der Türkei abgehalten werden sollen, sich über das Meer auf den lebensgefährlichen Weg nach Griechenland zu machen. Der Linken gefällt der Deal nicht. Wagenknecht hatte den türkischen Präsidenten zuvor als "Diktator" bezeichnet.
"Schande!", brüllt eine Linken-Abgeordnete dazwischen. "Schande!"
"Ganz vorsichtig", ermahnt Merkel die Parlamentarierin. Das Abkommen habe bisher verhindert, dass noch mehr Menschen in der Ägäis ertrinken. "Wer auf Schlepper und Schleuser setzen muss, weil er politisch nicht gestalten kann, der macht seine Arbeit nicht", sagt Merkel.
Für Erdoğan findet sie klare Worte: Der Putschversuch "rechtfertigt nicht die Einschränkung der Pressefreiheit und die Verhaftung von Tausenden von Menschen". Das werde sie auch weiter kritisieren. Aber sie werde genauso ausdrücklich dafür plädieren, "den Gesprächsfaden aufrechtzuerhalten".
Beim Umgang mit Russland weicht die Linke aus
Die Linke hat an anderer Stelle ein Problem. Sie will nicht in einen offenen Konflikt mit Russland und seinem Präsidenten Putin geraten. Darum sagt Wagenknecht zu den Bombardements des syrischen Machthabers Baschar al-Assad im Zusammenspiel mit Putin nur: Dem "zerfetzten Kind" sei es egal, ob die Bombe von Assad komme oder von einem westlichen Bündnis.
Merkel stellt dagegen klar: Es gebe zu viele Indizien, dass Assad Krankenhäuser und Schulen bombardieren lässt. Das sei eindeutig verboten. Und müsse "strafrechtlich verfolgt werden. Das muss das Assad-Regime wissen." Es sei bedauerlich, dass Russland dieses Regime unterstütze.
Viele Menschen machten sich Sorgen um die Stabilität der Gesellschaft, sagt Merkel. Statt jetzt aber über die sozialen Systeme zu sprechen, über ausbaufähige Infrastruktur vor allem auf dem Land, redet sie über veränderten Medienkonsum, über Digitalisierung.
Merkel warnt vor Meinungsmanipulation im Internet
Die Meinungsbildung heute funktioniere grundsätzlich anders als vor 25 Jahren, stellt Merkel fest. Fake-Seiten, Bots, Trolle, all dies könne Meinung beeinflussen und verfälschen. Sie will da mehr Regeln. Auch gegen all die Hasskommentare im Netz. Sie wolle "alles unternehmen, um das zu unterbinden". Weil dieser Hass "unseren Grundsätzen widerspricht".
Streit sei wichtig in der Demokratie. "Aber er muss mit Respekt vor der Würde des jeweils anderen", geführt werden, sagt Merkel. Sie bekommt dafür breiten Applaus.
An einer Stelle geht sie doch noch kurz auf Wagenknecht ein, weil sie behauptet hatte, dass sich alle Rentenprobleme mit der gesetzlichen Rente lösen ließen. Merkel ist tatsächlich empört. "Erzählen Sie den Menschen bitte nicht, dass bei veränderter Demografie alles so bleiben kann, wie es ist", ruft sie Wagenknecht zu. Sie glaube nicht, dass sich die Rente zukunftsfest machen lasse, ohne dass es einen Teil privater Vorsorge gebe.
Am Ende bleibt der Eindruck einer Oppositionsführerin, die Attacken gegen alles und jeden reitet. Wie Opposition auch funktionieren kann zeigt nach Wagenknecht der Grüne Anton Hofreiter. Auch er kritisiert die Politik der Bundeskanzlerin und der großen Koalition. Aber an den Anfang seiner Rede setzt er einen geradezu präsidialen Appell, sich als Demokraten nicht auseinanderdividieren zu lassen. "Kein Fußbreit der Gewalt, kein Fußbreit dem Hass", sagt er. Und verlangt durchaus selbstkritisch von seinen Grünen: Wer das Land ökologisch umbauen wolle, müsse auch die betroffenen Menschen mitnehmen. Mit anderen Worten: Es reicht nicht die Kohlegrube zu schließen, wenn die Arbeitnehmer danach keine Perspektive haben.
Dafür "müssen wir eine Sprache finden, die Menschen überzeugt, mitnimmt und für diese Demokratie wieder begeistert", sagt Hofreiter. Wagenknecht sollte sich angesprochen fühlen.