Pandemie:Europa lockert, Deutschland streitet

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Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (rechts, FDP) sind sich beim Thema Corona-Maßnahmen nicht einig. (Foto: Kay Nietfeld/Reuters)

Während die Corona-Restriktionen in immer mehr Ländern fallen, herrscht in Berlin Dissens: Kanzler Scholz will an den Beschränkungen vorerst festhalten, FDP-Chef Lindner verlangt deren Ende.

Von Christina Berndt, Cerstin Gammelin, Karin Janker, Isabel Pfaff und Kai Strittmatter, Berlin

Mitten in der sich immer weiter aufbauenden Omikron-Welle sendet die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP widersprüchliche Signale über den weiteren Weg durch die Pandemie. Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch keinen Spielraum für Lockerungen sieht, hat sich FDP-Chef Christian Lindner an die Spitze derer gestellt, die die strengen Kontaktbeschränkungen bundesweit zügig abschaffen wollen.

Lindner plädierte am Donnerstag für schnelle Öffnungsschritte, darunter die bundesweite Abschaffung der 2-G-Regel im Einzelhandel. Deutschland solle sich "an dem liberalen Weg aus Schleswig-Holstein orientieren", twitterte Lindner, man brauche "nicht die strengsten, sondern die effektivsten Vorschriften". Schleswig-Holstein hat die 2-G-Regel gekippt; Lindners FDP regiert in Kiel mit der CDU und den Grünen, im Mai stehen Neuwahlen an.

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Scholz hatte zuvor die strengen 2-G-, 2-G-plus- und 3-G-Regeln verteidigt, sie seien "die Voraussetzung" dafür, dass über Lockerungen beraten und entschieden werden könne, wenn der Höhepunkt der Infektionen überschritten sei. "Aber da sind wir leider noch nicht angekommen", sagte Scholz am Mittwochabend im ZDF.

Die Debatte über stufenweise Öffnungen nimmt in Deutschland an Fahrt auf, entsprechende Forderungen kommen aus Bundesländern wie Hessen und Bayern, aber auch von Ärzten und Krankenhäusern. Bund und Länder wollen am 16. Februar darüber beraten. Unterdessen hat die Ständige Impfkommission (Stiko) am Donnerstag den Impfstoff Novavax zur Grundimmunisierung von Personen ab 18 Jahren empfohlen, er soll von 21. Februar an verfügbar sein. Die Stiko empfahl zudem eine zweite Auffrischungsimpfung für ältere Menschen ab 70 Jahren und besonders Gefährdete.

Europa erlebt derzeit eine regelrechte Lockerungswelle. Nachdem am Dienstag Dänemark sämtliche Beschränkungen aufgehoben hatte, verkündete Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Donnerstag den Wegfall der Restriktionen für den 9. Februar. "Die Pandemie ist nicht vorüber", sagte Andersson, "aber auf dem Weg in eine neue Phase." Wie schon die Dänen argumentiert die schwedische Regierung mit dem vergleichsweise milden Verlauf der Omikron-Infektionen, dem Rückgang von Todesfällen und Einweisungen auf Intensivstationen sowie mit der relativ hohen Impfquote. "Die schwersten Folgen der Infektion liegen offenbar hinter uns", sagte die Ministerpräsidentin.

In der Schweiz hat der Bundesrat mit sofortiger Wirkung die Kontakt-Quarantäne abgeschafft. Auch die Home-Office-Pflicht ist aufgehoben. Am 16. Februar soll über weitere Lockerungen entschieden werden. In Spanien kippen regionale Gerichte derzeit nach und nach die wenigen verbleibenden Maßnahmen. Erst fiel die 3-G-Regel für Restaurants in Katalonien, nun läuft sie im Baskenland aus.

Die Lage in Dänemark oder Spanien ist allerdings nicht mit der deutschen zu vergleichen. In beiden Ländern liegen die Impfquoten höher als in Deutschland, noch dazu haben erheblich mehr Menschen eine Infektion durchlaufen und Immunität erworben. Schließlich sind auch die Booster-Quoten höher: In Dänemark haben 61,5 Prozent der Bevölkerung ihre dritte Impfung erhalten, in Spanien sind es weit mehr als 80 Prozent der über 50-Jährigen. "Das ist eine ganz andere Ausgangslage", sagt Hans-Georg Kräusslich, Direktor der Virologie an der Universität Heidelberg.

Zwar kommen auch in Deutschland anteilsmäßig nicht mehr so viele Infizierte wie in früheren Wellen ins Krankenhaus oder auf die Intensivstation. Aber angesichts der massiven Inzidenzen füllen sich die Stationen doch wieder, wie das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) zeigt; täglich brauchen mehr als 200 Patienten weitere eine Intensivbehandlung. "Auch Omikron kann sehr schwere Verläufe machen", warnt Christian Karagiannidis, Leiter des Divi-Intensivregisters.

Wer jetzt öffne, gehe das Risiko ein, dass erneut Kliniken überlastet werden und die Behandlungen von Nicht-Covid-19-Patienten verschoben werden müssen, warnt auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk. Omikron kann vor allem für Menschen ohne Impfung oder Immunisierung gefährlich werden: "Wer immun-naiv ist und sich Omikron einfängt, muss je nach Alter und bestehender Grunderkrankung damit rechnen, dass es nicht glimpflich ausgeht." Falk rät dringend davon ab, sich absichtlich zu infizieren, um etwa den Genesenenstatus zu erhalten oder sich gegen künftige Wellen zu wappnen. "Eine Infektion funktioniert als Booster nur, wenn man vorher mindestens zweimal, besser dreimal geimpft ist", so Falk.

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