China:Pekings Kampf gegen die Nato

Lesezeit: 3 min

Der japanische Premierminister (re.) und der südkoreanische Präsident am 12. Juli beim Nato-Gipfel. (Foto: Imago/Kyodo News)

Seit dem Nato-Gipfeltreffen in Vilnius verschärft die chinesische Führung ihre Anti-Nato-Propaganda. Peking sieht in der Zusammenarbeit mit asiatischen Staaten im Pazifik eine Gefahr für die eigene Sicherheit.

Von Lea Sahay, Peking

Es sind grausige Szenen: zerbombte Städte, Seen aus Blut und verletzte Kinder. Zu sehen sind sie in einem einminütigen Video, das Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua vor ein paar Tagen veröffentlichte. "Als der Kalte Krieg endete, entstieg seinem Körper ein Geist: die militärische Hegemonie", heißt es darin. Dieser Geist stecke heute im Körper der Nato. Ein "todbringender Mörder", der im Dienste der USA jene befalle, die schwach seien. Er bringe kein Gefühl von Sicherheit nach Europa, dafür weltweites Chaos.

Seit dem Nato-Gipfeltreffen in Vilnius hat Peking mehrere solcher Anti-Nato-Videos und -Statements veröffentlicht. Die Sprecherin des Außenministeriums, Hua Chuying, warf dem Bündnis vor, internationales Recht zu untergraben. Die Nato bezeichnete sie als eine "Kriegsmaschine", die für das Leid von Millionen Menschen verantwortlich sei. Sie erinnerte auch an die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad im Jahr 1999, bei der drei chinesische Journalisten starben.

Eigentlich umwirbt China gerade die Europäer

Das Ganze passiert in einer Zeit, in der sich Chinas Staatsführung eigentlich freundlicher gegenüber dem Ausland zeigen wollte, besonders gegenüber Europa: Die Wirtschaft steht unter massivem Druck, politisch sind die Beziehungen zu vielen westlichen Ländern angespannt. Mit Blick auf die Nato ist von dieser Charmeoffensive aber kaum etwas zu spüren.

Im Abschlusskommuniqué hatten die Nato-Mitglieder China direkt erwähnt und als eine Herausforderung für ihre "Interessen, Sicherheit und Werte" bezeichnet. "China versteht die Nato als eine US-dominierte Allianz", erklärt Helena Legarda vom Berliner Mercator Institute for China Studies. Man sehe die Nato als ein "Werkzeug Washingtons, um seine eigene Vorherrschaft zu sichern, China einzudämmen und andere Verbündete, vor allem europäische Mitgliedsstaaten auf seinen Kurs zu bringen".

Zum Gipfel in Vilnius eingeladen waren auch die Regierungschefs aus Südkorea, Australien, Neuseeland und Japan. Der japanische Premier Fumio Kishida wurde von Generalsekretär Jens Stoltenberg gar mit den Worten " Kein anderer Partner steht der Nato näher als Japan" begrüßt. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die angespannte Lage in der Taiwan-Straße hatte er im Januar gewarnt: "Was heute in Europa passiert, könnte morgen in Ostasien geschehen."

In Peking hört man so etwas gar nicht gerne. "Peking sieht darin die Bereitschaft des Bündnisses, auch im indopazifischen Raum aktiv zu werden", erklärt Legarda. Auch wenn die Nato dafür weder ein Mandat habe noch ein Interesse, wie die Expertin klarstellt. Für China sei "aus einer eher theoretischen Sorge eine reale Gefahr für die nationale Sicherheit" geworden. Ein Begriff, den Peking in den vergangenen Jahren immer weiter ausgedehnt hat.

China stellt Europa gerne als Schoßhündchen Amerikas dar

Richtig ist, dass das Verteidigungsbündnis seit einigen Jahren einen engeren Kontakt zu den Demokratien in der Region sucht - vor allem auf Drängen der USA. Bei der jüngsten Nato-Luftübung Air Defender, der größten in der Geschichte des Bündnisses, waren auch japanische Flugzeuge beteiligt. Zudem gibt es die Überlegung, ein Verbindungsbüro in Tokio aufzubauen. Es wäre das erste in Asien.

Ein Aspekt, der beim Gipfel ebenfalls viel Aufmerksamkeit fand: Chinas nukleare Aufrüstung. Nato-Generalsekretär Stoltenberg erklärte, diese sei in Tempo und Ausmaß "beispiellos" und werde ohne jegliche Transparenz durchgeführt. Tatsächlich dürfte Peking vor der größten Ausweitung seines Kernwaffenprogramms in der Geschichte stehen: 2008 besaß das Land nach Schätzungen unabhängiger Experten der Federation of American Scientists, einer gemeinnützigen Denkfabrik, nur rund 200 Sprengköpfe, heute sind es fast 350. Weltweit belegt Peking bei den Nuklearwaffen damit Platz drei hinter Russland und den USA.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Laut einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums vom November 2021 könnte China bis 2030 über mehr als 1000 atomare Sprengköpfe verfügen. "Wir werden ein starkes System strategischer Abschreckung aufbauen", kündigte Parteichef Xi Jinping im Oktober 2022 an.

Ein Motiv, das sich immer wieder in den chinesischen Attacken auf die Nato findet: die europäischen Staaten als Schoßhündchen der USA, die ohne eigene Agenda ausführten, was Washington ihnen anweise. Inwiefern die Spitze der Kommunistischen Partei das selbst glaubt, ist schwer zu sagen. Sicher ist aber, dass Peking die Neigung hat, die Selbstbestimmtheit kleinerer Staaten gegenüber den USA abzutun und Differenzen aufzugreifen: "Ziel ist, das Bündnis zu spalten und Europäer dazu zu bringen, die stärkere Ausdehnung in Richtung Asien zu stoppen", erklärt Legarda.

In den letzten Jahren hat Peking die Europäische Union immer wieder dazu aufgerufen, sich politisch von den USA unabhängig zu machen. Europa müsste demnach "wahrhaftig strategische Autonomie" erreichen.

Um die Position und Entscheidungen einzelner Nato-Verbündeter zu beeinflussen, setzt Peking neben Propaganda und Desinformation auch auf Elitenbeeinflussung, Cyberangriffe und wirtschaftlichen Druck. Gegenüber ärmeren Ländern im sogenannten Globalen Süden inszeniert sich Peking als die verantwortungsvollere Macht im Vergleich mit den USA. Zu Hause bezeichnet die Staatspresse die USA und die Nato indes als Aggressor im Ukraine-Krieg, den russischen Angriff hat Peking nie verurteilt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungChina-Strategie
:Die Bundesregierung traut sich nicht

Berlin beschreibt akribisch seinen Beziehungsstand zur Volksrepublik. Dabei gerät das Große und Ganze aus dem Blick. Aber wenigstens die Wirtschaft darf sich über ein bisschen Klarheit freuen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: