Was ist in den vergangenen Monaten nicht alles über die Zukunft von Wolfgang Schäuble spekuliert worden. Die einen unkten, der Finanzminister werde seine Entscheidung, ob er 2017 noch einmal antritt, von Heinz Riesenhuber abhängig machen. Schäuble ist stolz darauf, dienstältester Abgeordneter in der Geschichte des Bundestags zu sein. Wenn Schäuble aufhöre, Ex-Forschungsminister Riesenhuber aber weitermache, könnte Schäuble diesen Rekord verlieren - das werde er nicht zulassen, hieß es. Andere schlossen aus der Tatsache, dass mehrere enge Mitarbeiter Schäubles sein Ministerium verlassen haben, er werde aufhören. Doch jetzt ist alles anders gekommen. Obwohl Riesenhuber Ende August seinen Rückzug angekündigt hat, macht Schäuble weiter.
Damit verlängert sich zunächst einmal eine tatsächlich außergewöhnliche Politikerkarriere. Als der 73-Jährige das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde, hieß der Kanzler noch Willy Brandt. Schäuble war Partei- und Fraktionsvorsitzender, Kanzleramtschef, Innenminister und Verhandlungsführer beim Einigungsvertrag mit der DDR. Doch für die CDU-Spitze ist heute nicht Schäubles Vergangenheit, sondern seine Zukunft am wichtigsten.
Egal wie es mit Angela Merkel weitergeht, der Finanzminister wird für die Partei von herausragender Bedeutung sein. Entsprechend groß ist die Erleichterung in der CDU-Spitze darüber, dass er an sein Rekord-Schaffen im Bundestag noch eine Legislaturperiode anhängen will. Die Kanzlerin hat bisher offengelassen, ob sie 2017 noch einmal antritt. Deshalb gibt es drei denkbare Szenarien - in allen ist Schäuble unverzichtbar.
Merkel ist auf seine Unterstützung angewiesen
Wenn Merkel weitermachen will, wird sie wegen der Verwerfungen durch ihre Flüchtlingspolitik dringend auf Unterstützung angewiesen sein. Schäuble ist derzeit nicht nur in allen Umfragen der beliebteste Unionspolitiker. Er ist auch bei den Gegnern des Merkel-Kurses in der CDU geachtet. Gleichzeitig hat er bewiesen, dass er trotz einiger Differenzen loyal zu Merkel steht. Hätte sich Schäuble bei der Griechenland-Rettung oder in der Flüchtlingspolitik von der Kanzlerin abgesetzt, wäre es eng für sie geworden. Er hat es nicht getan. Bei der Bundestagswahl 2017 wird bei vielen Bürgern Merkels Selbstanpreisung von 2013, "Sie kennen mich", nicht mehr ziehen - im Gegenteil. Umso mehr braucht die Kanzlerin ihren Finanzminister.
Sollte Merkel doch nicht mehr antreten, wäre nur Schäuble in der Lage, in der CDU für einen wenigstens einigermaßen geordneten Umbruch zu sorgen. Entweder würde er selbst Kanzlerkandidat. Oder er wäre - im dritten Szenario - der Garant der Stabilität; der Mann, der aufpassen würde, dass etwa eine Ursula von der Leyen die CDU nicht übermäßig strapaziert. Viele Bewunderer von der Leyens übersehen gerne, dass die Verteidigungsministerin in der CDU nicht gerade wohlgelitten ist.
Und Merkel? Nicht nur für ihre Partei, auch für sie persönlich ist Schäubles Ankündigung weiterzumachen ein Glücksfall. Die Kanzlerin muss daran interessiert sein, dass ihr Rückzug - wann immer er sein wird - nicht als Fiasko in das Geschichtsbuch der CDU eingehen wird. Mit Schäuble gibt es jetzt wenigstens eine Chance auf einen geordneten Wechsel.
Dass die CDU kommenden Februar mit einem Kandidaten Schäuble in die Bundespräsidenten-Wahl geht, ist jetzt allerdings noch unwahrscheinlicher geworden. Die CDU hat in der Bundesversammlung nicht einmal zusammen mit CSU und FDP eine Mehrheit, sie ist auf Stimmen aus dem rot-rot-grünen Lager angewiesen. Nach einer Rückzugsankündigung aus der Politik hätte die CDU Wolfgang Schäuble leichter als überparteilichen Kandidaten anpreisen können.