Bundeswehr:Das große Versprechen des Kanzlers

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Verteidigungsminister Boris Pistorius, Kanzler Olaf Scholz und Carsten Breuer, der Generalinspekteur, bei der Bundeswehrtagung in Berlin. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Von Waffenproduktion über Personalsorgen bis zu mitunter mangelhaften Lagebildern in Sachen hybrider Kriegsführung: Bei der Bundeswehrtagung zeigen sich die Probleme der Zeitenwende.

Von Georg Ismar, Berlin

Der Generalinspekteur bittet alle, sich zu erheben. "Meine Damen und Herren, ich melde den Bundeskanzler", ruft Carsten Breuer in den etwas schummerig beleuchteten Ballsaal des Marriott-Hotels in Berlin und salutiert. Olaf Scholz nickt kurz, läuft mit der Redemappe unter dem Arm direkt zum Rednerpult. Dort moniert er, er stehe hier doch etwas sehr im Zwielicht. Etwas diffus waren zuletzt aber auch die finanziellen Aussichten für den weiteren Verlauf der von ihm am 27. Februar 2022 ausgerufenen Zeitenwende. Und da wird er hier später ein großes Versprechen abgeben.

Kurz vor dem Kanzler hat der Verteidigungsminister um 8.15 Uhr bei der Bundeswehrtagung 2023 eine Art Morgenappell gemacht und den Generalen und hochrangigen Beamten drei Botschaften auf den Weg gegeben. "Wir müssen aus der Zeitenwende die richtigen Schlüsse ziehen", sagt Boris Pistorius (SPD) und ergänzt: "Wir schaffen nur eine starke Bundeswehr, wenn sie auch den Rückhalt in Staat und Gesellschaft hat." Da sei aber auch schon viel geschafft, "wir stehen heute besser da als vor einem Jahr".

Aber klar ist: Von der Personalrekrutierung über verkrustete, aufgeblähte Strukturen bis zur langsamen Waffen- und Munitionsproduktion, die Baustellen bleiben groß. Bei der Tagung verkündete Pistorius, dass drei Unterabteilungen im Ministerium aufgelöst und mehr als 200 Dienstposten zur Stärkung der Bundeswehr in der Fläche verlagert werden sollen. Mehr als 1000 Dienstposten - mehr als ein Drittel des Hauses - sollen bei der größten Reform seit 2012 zudem intern umstrukturiert werden. Ihm gehe es bei der Stärkung der Bundeswehr, materiell, strukturell und personell, darum, sagt Pistorius: "Krieg führen zu können, um keinen Krieg führen zu müssen, das ist Kriegstüchtigkeit." Für den Begriff bekam er auch in der SPD einige Kritik.

"Wir müssen uns mehr und mehr auf hybride Lagen vorbereiten"

Im Saal sind viele Sorgen präsent. Ein General der Luftwaffe berichtet, es sei ja gemäkelt worden, dass Deutschland von Israel das Raketenabwehrsystem Arrow 3 kauft, Kosten: fast vier Milliarden Euro. Es kann Lang- und Mittelstreckenraketen in über 100 Kilometer Höhe zerstören - nun habe Israel erstmals damit eine Rakete abgefangen, abgefeuert in Jemen. "2000 Kilometer, das ist auch die Entfernung Moskau - Berlin", sagt der General. Breuer wiederum treibt dies stark um: "Wir müssen uns mehr und mehr auf hybride Lagen vorbereiten." Nicht richtiger Krieg, aber irgendetwas dazwischen. Auch der Kanzler betont: "Wir müssen die Lagebilder verbessern" - auch mit Blick auf kritische Infrastruktur und Cyberangriffe: "Damit wir nicht überrascht werden." Bei Russlands Überfall auf die Ukraine waren die deutschen Dienste suboptimal im Bilde.

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Scholz betont, er wolle hier Danke sagen - die Lehren zu ziehen aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sei nicht möglich "ohne Ihren unermüdlichen Einsatz, ohne den Einsatz Ihrer Kameradinnen und Kameraden". Nun gebe es noch den grausamen Terror der Hamas und ihrer Unterstützer gegen Israel.

"Deutschlands Platz ist an der Seite Israels", betont Scholz. Bei der Ukraine sei man zweitgrößter Unterstützer nach den USA. "So bitter es ist: Wir leben nicht in Friedenszeiten. Unsere Friedensordnung ist in Gefahr." Er benutzt nicht wie Pistorius das Wort "kriegstüchtig", betont aber: "Wir brauchen Streitkräfte, die in der Lage sind, unser Land zu schützen. Streitkräfte, die mit Fähigkeiten, Personal und Material bereitstehen, um die Sicherheit des Bündnisgebietes zu verteidigen." Er selbst lässt sich ja gerne auch auf Panzern oder im Eurofighter fotografieren, besucht Bundeswehrstandorte und macht deutlich, für den Fall der Fälle müsse man die Reserve stärken.

"Wir werden dauerhaft die zwei Prozent gewährleisten", sagt Scholz

So verweist er auf die Bedeutung der neuen Heimatschutzregimenter, in denen Reservedienstleistende eingesetzt werden. Sechs Regimenter wurden bisher geschaffen als Teil der Territorialen Reserve mit knapp 4000 Dienstposten. Und Scholz betont, "erstmals seit über drei Jahrzehnten" werde 2024 das Nato-Ziel geschafft, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, dank des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro.

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Aber wird das auch dauerhaft geschafft? Nach seiner Rede bittet ihn Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations auf die Bühne, sie will es genauer wissen, die Zuhörer auch. Denn wenn das Sondervermögen spätestens 2028 aufgebraucht sei, müsse der reguläre Verteidigungsetat von heute rund 52 auf bis zu 80 Milliarden Euro wachsen. Wo sollen dauerhaft die mindestens 25 Milliarden Euro zusätzlich herkommen? Scholz macht nun ein Versprechen, das quasi auch künftige Bundesregierungen binden soll, wenn er längst nicht mehr Kanzler ist. "Wir werden dauerhaft die zwei Prozent gewährleisten", sagt Scholz. Das gelte für die Zwanziger- wie für die Dreißigerjahre.

Der Elefant im Raum: die Personalfrage bei der Truppe

Wie er das mit Einhalten der Schuldenbremse schaffen will, sagt er nicht. Scholz betont, man müsse sehr langfristige Lieferbeziehungen eingehen, schon damit es stets genug Nachschub gebe, auch an Munition. Man sehe ja, wie schwer es sei, jetzt alles wieder neu hochzuziehen. Pistorius hat gesagt, das Thema "Kriegstüchtigkeit" erfordere auch ein Umdenken in der Gesellschaft. Scholz erkennt beim Mentalitätswechsel keinen Mangel, die Wertschätzung für die Truppe sei deutlich gestiegen.

Der Elefant im Raum bleibt auch hier das Thema Personal. Scholz sagt, der Dienst in Uniform müsse noch mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken. Er sagt nichts zu in der Bundeswehr diskutierten Modellen wie verpflichtendem Dienstjahr oder partieller Wehrpflicht, um die Personalreserve zu steigern. Die Bundeswehr hat mehr als 260 000 Mitarbeiter - 180 907 in Uniform, 81 501 Zivilisten -, aber bei den Soldaten beträgt die Frauenquote nur 13 Prozent, zudem mangelt es an Soldaten mit Migrationshintergrund. Und völlig unklar ist, ob der geplante Aufwuchs auf 203 000 Soldaten klappt und reicht. Pistorius verspricht zum Ende der Tagung, das Thema Personal habe für ihn "höchste Priorität".

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