Verteidigung:Pistorius will Bundeswehr "kriegstüchtig" machen

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"Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt": Bundeswehrsoldaten bei einer Militärübung im litauischen Pabradė. (Foto: Mindaugas Kulbis/DPA)

Einschnitte im Ministerium, mehr Munition, Werbeoffensiven für Personal: Der Verteidigungsminister plant, das Militär für unruhige Zeiten zu rüsten - und stellt neue Leitlinien vor.

Von Georg Ismar, Berlin

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist derart damit beschäftigt, die Bundeswehr und sein Ministerium umzubauen, dass er bis Ende des Jahres fast keine Dienstreise mehr ins Ausland unternehmen will. Wer in den letzten Tagen in seinem Ministerium in Berlin unterwegs war, erlebte auf der Chefebene ein geschäftiges Treiben, hochrangige Generäle und Abteilungsleiter hatten viel mit dem Team von Pistorius zu besprechen.

"Das ist eine ganz wichtige Tagung, der Minister muss liefern", hat ein führender Bundeswehrvertreter die Erwartungshaltung an den Verteidigungsminister für die Bundeswehrtagung 2023 beschrieben. An diesem Donnerstag wurden dort zunächst intern Soldaten und Beamte über die Pläne informiert, am Freitag kommt der Kanzler.

"Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt", lautet der erste Satz

Pistorius selbst hatte nach Dienstantritt das Ministerium mit seinen rund 3000 Mitarbeitern, zehn Abteilungen und 29 Unterabteilungen als "aufgebläht" bezeichnet und für eine Straffung der Entscheidungsprozesse einen Planungs- und Führungsstab unter Leitung von Brigadegeneral Christian Freuding eingerichtet. Durch Einschnitte in einigen Abteilungen sollen hier nun Posten wegfallen, es sollen 200 bis 300 sein, die genaue Zahl steht noch nicht fest.

Vor allem aber hat Pistorius mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, nun neue verteidigungspolitische Leitlinien vorgelegt. Nachdem der SPD-Politiker zuletzt mit der Feststellung, Deutschland müsse wieder "kriegstüchtig" werden - und zwar auch im Denken der Gesellschaft - Debatten auslöste, definiert der Minister nun quasi schriftlich, was er damit meint. Die Leitlinien ersetzen das bisherige Weißbuch von 2016, die letzten verteidigungspolitischen Leitlinien wurden von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) 2011 erlassen.

"Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt", lautet der erste Satz. Die internationale Ordnung werde in Europa und rund um den Globus angegriffen. "Wir leben in einer Zeitenwende." Auf 33 Seiten wird definiert, was das für die Bundeswehr bedeutet. Von dem neuen Kernauftrag Landes- und Bündnisverteidigung über Personal bis zur schnelleren Rüstungsbeschaffung.

"Die Bundeswehr ist ein Kerninstrument unserer Wehrhaftigkeit gegen militärische Bedrohungen. Hierzu muss sie in allen Bereichen kriegstüchtig sein", wird in den Leitlinien betont, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. "Das bedeutet, dass ihr Personal und ihre Ausstattung auf die Wahrnehmung ihrer fordernden Aufträge ausgerichtet sind." Maßstab hierfür sei "jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht". Nur so werde Abschreckung glaubwürdig und der Frieden gewährt.

Die Bundeswehr verliert Soldaten. Wie kommt sie an neues Personal?

"Als Staat und Gesellschaft haben wir die Bundeswehr jahrzehntelang vernachlässigt. Zu lange hielten wir das Szenario eines Krieges in Europa und einer direkten Bedrohung unseres Landes für kaum vorstellbar", wird selbstkritisch eingeräumt. Man habe sich zu sehr auf internationale Einsätze fokussiert und Fähigkeiten aus Zeiten des Kalten Krieges aufgegeben.

Neben den strukturellen Reformen und schnelleren Entscheidungen gerade zur Beschaffung von neuen Waffensystemen bleiben die Leitlinien aber sehr vage, wie zum Beispiel der Aufwuchs beim Personal von 181 000 auf 203 000 in den nächsten Jahren klappen soll. Derzeit verliert die Bundeswehr eher mehr Soldaten, als dass sie neue gewinnt. Mit attraktiveren Bedingungen und einer verbesserten "Vereinbarkeit von Familie und Dienst" solle dem entgegengewirkt werden.

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, sagte der SZ, vieles hänge miteinander zusammen. "Moderne Ausrüstung schafft Verteidigungsfähigkeit und Attraktivität in puncto Nachwuchsgewinnung. Wer will beispielsweise in einem Artilleriebataillon dienen, in dem es kaum Haubitzen oder Munition gibt?" Die Regierung müsse nach der Abgabe von viel Material an die Ukraine "endlich dafür sorgen, dass die Produktionskapazitäten erweitert werden".

Mehr Geld für mehr Munition - und das muss irgendwo herkommen

Immerhin wird nun in den Leitlinien eingeräumt, dass dringend wieder mehr auf Vorrat produziert werden soll, um weniger blank dazustehen. "Um den notwendigen Einsatzvorrat sicherzustellen, sind die Produktions- und Lagerkapazitäten bei der Beschaffung von Waffensystemen, Ausrüstung, Verpflegung, Munition und Betriebsstoffen auszubauen", wird dort betont.

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Aber das kostet Geld. Kanzler Olaf Scholz hatte nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine erklärt, Deutschland werde ab sofort zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr investieren und ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auflegen.

Pistorius schätzt, dass das Sondervermögen spätestens 2028 verbraucht sein dürfte. Dann müssten zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels rund 20 Prozent mehr Geld für den Verteidigungsetat als heute ausgegeben werden, für 2024 sind 51,8 Milliarden Euro eingeplant. Wüstner betont, wenn der Etat nicht steige, dann seien die 100 Milliarden, wie es der Inspekteur der Marine vor einiger Zeit formuliert habe, "lediglich eine teure Palliativmaßnahme".

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