Innere Sicherheit:Welche Daten darf das BKA auf Vorrat sammeln?

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Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, im Kreis seiner Kolleginnen und Kollegen des Ersten Senats. (Foto: Uli Deck/dpa)

Das Bundeskriminalamt hortet auf seinen Servern sehr viele Erkenntnisse. Zu viele - oder ist das "gute Polizeiarbeit", wie Innenministerin Faeser meint? Das müssen wieder einmal Bundesverfassungsrichter entscheiden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Dass das Bundesverfassungsgericht sich mal wieder mit den Befugnissen der Sicherheitsbehörden auseinandersetzt, ist im Grunde nichts Neues. Über Polizei- und Verfassungsschutzgesetze zu urteilen, gehört gleichsam zur DNA des Karlsruher Gerichts, weil es dort - so drückte es Gerichtspräsident Stephan Harbarth an diesem Mittwoch aus - um "das Spannungsfeld zwischen dem Sicherheitsauftrag des Staates und dem Schutz individueller Freiheitsrechte" geht. Allerdings war das BKA-Gesetz, das jetzt zur Überprüfung steht, bereits 2016 Gegenstand eines buchdicken Karlsruher Urteils, das damals den Eindruck hinterlassen hatte, alle Fragen seien geklärt.

Nun, das sind sie nicht. Vielmehr hat der Erste Senat in diesem neuen Verfahren eine fast schon alte Frage zu klären, die den großen Datenpool betrifft, den das Bundeskriminalamt (BKA) auch als Zentralstelle für die Länder führt. Denn in vielen Urteilen wurde zwar präzisiert, unter welchen Voraussetzungen Daten hineingegeben werden dürfen in den großen Topf, ebenso, nach welchen Vorgaben man sie wieder herausnehmen darf. Es gibt da einen fein abgestuften Katalog von Kriterien, die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahr spielt da eine Rolle, ebenso ihre Konkretheit. Was aber gilt, wenn man die Daten einfach drin lassen will im großen Pool, als Vorrat für womöglich irgendwann auftretende Sicherheitslagen? Gelten dafür ähnlich strenge Regeln? Oder laxere? Oder keine?

Die Innenministerin verweist auf die verschärfte Sicherheitslage

Aktuell werden Fragen wie diese, weil die "Informationsordnung" des BKA nach dem Karlsruher Urteil von 2016 einer grundlegenden Neuordnung unterzogen wurde. Früher führte das BKA seinen Datenbestand in separaten Dateien, mal im Verbund mit den Ländern, mal als Zentraldatei. Daraus ist nach einer Reform von 2018 ein einheitliches Verbundsystem geworden, mit zentraler Datenhaltung im BKA.

Das hatte den guten Sinn, Informationen etwa zur Terrorabwehr im Ernstfall besser auffindbar zu machen. Die effektive Verknüpfung von Daten sei entscheidend die Arbeit der Sicherheitsbehörden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die zur Verhandlung nach Karlsruhe gereist war: "Das zeichnet gute Polizeiarbeit aus." Sie verwies darauf, dass sich die Sicherheitslage verschärft habe, durch die Kriege in der Ukraine und in Israel. Dies müsse sich auch in der Abwägung der juristischen Vorschriften widerspiegeln. Die deutschen Regeln seien im internationalen Vergleich sehr streng, oft könnten die Behörden Anschläge nur durch Hinweise aus dem Ausland verhindern. Würden die deutschen Gesetze überall gelten, dann "hätten wir weltweit ein großes Sicherheitsproblem".

Das Ziel einer wirksamen Verknüpfung von Daten stellen auch die Beschwerdeführer nicht infrage. Darunter sind zwei Strafverteidigerinnen, die von Berufs wegen mit Terrorverdächtigen in Kontakt kommen, aber auch Fußballfans, die fürchten müssen, gewalttätigen Gruppierungen zugerechnet zu werden. Sie alle werden vertreten von der "Gesellschaft für Freiheitsrechte" (GFF), einer in solchen Klagen sehr erfahrenen Organisation.

Wer gespeichert ist, könnte stärker kontrolliert werden

Für das BKA schilderte Kriminaldirektorin Julia Pohlmeier, wie sorgfältig die Behörde mit Daten aus der Terrorabwehr umgehe. Seit dem Jahr 2009 - damals erhielt das BKA die Präventivbefugnis für die Terrorabwehr - habe es 28 solcher "Gefahrenabwehrvorgänge" gegeben, damit sind zum Beispiel Anschlagsplanungen gemeint. Informationen aus Observation, Fahrzeug- oder Telefonüberwachung würden in einem großen Topf gebündelt. Wenn sich für eine der beteiligten Personen eine "Negativprognose" ergebe - etwa eine radikal-islamistische Gesinnung oder Kontakt zu einem Attentäter -, dann werde diese Information an die Zentralstelle zur weiteren Speicherung gegeben. Andernfalls werde gelöscht.

Der zentrale Angriffspunkt der Verfassungsbeschwerde ist indes ein anderer. Wer im Info-Pool des BKA gespeichert ist, der läuft aus Sicht der Kläger Gefahr, beispielsweise bei einer Polizeikontrolle einer sehr belastenden Untersuchung unterworfen zu werden - einfach deshalb, weil der Datenabruf einen kriminellen oder gewalttätigen Kontext ergeben hat. Dass die Polizei in solchen Fällen genauer hinschaut, geht zwar in Ordnung, solange jemand zu Recht etwa als terroristischer "Gefährder" geführt wird. GFF-Vertreter Bijan Moini monierte indes, die juristischen Vorgaben im BKA-Gesetz seien derart unklar, dass auch hochsensible Daten, gewonnen aufgrund vager Anhaltspunkte, in den Datenvorrat aufgenommen werden könnten.

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Die Reaktion von der Richterbank konnte man als eindrucksvolle Bestätigung dieser Diagnose lesen. Normalerweise können Verfassungsrichterinnen und -richter selbst kryptische Paragrafen schneller entschlüsseln als der Rest der juristisch gebildeten Menschheit. Doch was genau aus den einschlägigen Vorschriften nun für die Bevorratung von Daten abzulesen war, wann man sie für schlechte Zeiten "zwischenspeichern" darf und wann man löschen muss, das löste eine Kaskade von Fragen und Nachfragen aus.

Rechtsprofessor Matthias Rossi, juristischer Vertreter der Bundesregierung, versuchte die Sache zwar noch semantisch zurechtzubiegen. Man dürfe hier nicht von einer "Bevorratung" sprechen, es gehe nur um eine "vorsorgliche Speicherung" für den Fall, dass die Daten später von Nutzen sein könnten. Aber sein Kollege von der Gegenseite, der GFF-Vertreter Matthias Bäcker, fasste das so zusammen: "Ich kann mir schwer vorstellen, dass eine Vorschrift, die so viele Zweifel produziert, mit dem Gebot der Normenklarheit vereinbar ist." Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

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