Bundestag:Der schönste Job Berlins

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Zu den Vorzügen des Postens zählt, dass man sich überall einmischen kann, aber keine Mehrheiten sichern muss: Alexander Dobrindt gab sein Ministeramt dafür auf. (Foto: imago/photothek)

Das Amt des CSU-Landesgruppenchefs vereint sehr viel Macht mit sehr wenig Pflichten. Das ist komfortabel, hat aber einen großen Haken: Danach wird es selten besser.

Von Stefan Braun und Robert Roßmann, Berlin

Da sitzt er nun in seinem Berliner Büro und lacht, wie nur er es kann. Ausgelassen wirkt er, und klingt dabei, als würde Lachen und Schnarchen bei ihm zusammengehören. Michael Glos hat gerade seine größte Schlacht geschlagen. Er hat Feind und Freund geschoben und gezogen, ist in schwierigen Momenten reingegrätscht. Dann musste er kurz selbst die Nerven bewahren - und am Ende hat er mit all dem den Sieg davongetragen.

Es ist Januar 2002. Und Glos hat den damaligen CSU-Chef Edmund Stoiber zum Kanzlerkandidaten der Union gemacht. Das wollte er seit Monaten, das bekämpfte Angela Merkel mindestens ebenso lange. An den Tricks und Manövern des CSU-Landesgruppenchefs aber ist auch die spätere Kanzlerin damals nicht vorbeigekommen. Am Schluss steht das Meisterstück des Müllermeisters aus Franken.

Für Glos ist das der Höhepunkt seiner Zeit als Landesgruppenchef und ziemlich sicher auch der Höhepunkt seiner gesamten politischen Karriere gewesen. Er war der Strippenzieher im Hintergrund, er hatte hinter den Kulissen auch Verbündete in der CDU. Es war eine ziemlich perfekte Regieführung - und das mit minimalem Risiko für die eigene Karriere.

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Auch bei der Wahl zum Vize-Fraktionschef traten zwei Kandidaten an. Die Zeit der vorab geklärten Postenvergabe scheint in der Union zu Ende zu gehen. Manche sprechen bereits von Anarchie, andere nennen es Demokratie.

Von Robert Roßmann

Auch 16 Jahre später gibt es im politischen Berlin vermutlich kein Amt, das so viel Macht und Freiheiten mit so wenig konkreter Verantwortung verbindet. Die Kanzlerin und die anderen Parteichefs müssen ihren Kopf für alles hinhalten, die Minister zumindest ihren Zuständigkeitsbereich verantworten.

Der CSU-Landesgruppenchef ist von derlei Pflichten frei, er ist auch keiner Kabinettsdisziplin unterworfen. Außerdem gilt: Jedes Ministeramt ist weitgehend beschränkt auf ein Thema; der CSU-Landesgruppenchef kann sich dagegen in alles einmischen. Öffentlich verantworten müssen sich für die CSU aber fast immer nur der Parteivorsitzende und der Ministerpräsident.

Auch in der Unionsfraktion genießt der CSU-Landesgruppenchef einen Sonderstatus. Er ist überall dabei, aber die Mehrheiten muss der Fraktionsvorsitzende sichern. Wenn Abstimmungen mal anders ausgehen als von der Spitze gewünscht, zeigt keiner auf den Mann aus Bayern. Die Blicke richten sich ausschließlich auf den Fraktionschef von der CDU. Das ist schon sehr viel Macht bei sehr wenig Haftung.

Peter Ramsauer zelebrierte den Job als Bilderbuch-Bayer

Der Königsee im September 2008: herrliche Gebirgslandschaft, bunter Blätterwald, beste Stimmung. An Bord des Elektroboots, das leise über den tiefen See schippert, gibt es natürlich einen Kapitän, der steuert. Und es gibt einen Chef, der eine Journalisten-Reisegruppe anführt. Peter Ramsauer ist in diesen Spätsommertagen Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. Und der Oberbayer zelebriert das wie kaum einer vor ihm. Trachtenjacke, Lederhose, stolze Sprüche und dazu an jeder zweiten Ecke einen Schnaps - Ramsauer, damals so etwas wie ein Bilderbuch-Bayer, zeigt mit größtmöglichem Stolz, was seine Heimat hergibt.

Und nicht nur das: Ziemlich viele Journalisten sind mit ihm hierhergekommen, weil Ramsauer erstaunlich offen über alles und jeden spricht, und erheblichen Einfluss hat in einer Zeit, in der Merkels erste große Koalition alles andere als sattelfest in den Herbst zieht.

Ramsauer sitzt damals in jedem Koalitionsausschuss. Und er hat bei allem, was CDU und CSU im Parlament durchsetzen möchten, ein Vetorecht. Das steht zwar nicht wörtlich im Fraktionsvertrag mit den Christdemokraten. Aber wenn der Landesgruppenchef Nein ruft, wird es nichts, auch nicht mit den schönsten Ideen.

Keine andere Landesgruppe in der Unionsfraktion hat derartige Rechte. Das Amt ist das schönste in der Hauptstadt. Alexander Dobrindt, der aktuelle Landesgruppenchef, war zuvor immerhin Bundesverkehrsminister. Trotzdem hat er sein Ministeramt sofort aufgegeben, als er Chef der CSU-Abgeordneten werden konnte.

Es ist deshalb kein Wunder, dass sich die Liste der Landesgruppenvorsitzenden wie ein Who's Who der CSU liest. Glos ist bis heute mit zwölf Jahren derjenige, der am längsten am Stück amtierte. Zur Gruppe zählen aber auch Franz Josef Strauß und Richard Stücklen, die das Amt sogar zweimal innehatten. Hinzu kommen christsoziale Granden wie Fritz Schäffer, Hermann Höcherl, Friedrich Zimmermann und Theo Waigel. Sie alle genossen die Tatsache, dass sie über alles sprechen und entscheiden durften. "Mehr Freiheit und mehr Spielraum - das geht kaum", findet einer, der selbst Landesgruppenchef war.

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Peter Ramsauer sagt im Rückblick freilich auch, dass die Macht eher eine Verhinderungsmacht sei und keine "Erzwingungsmacht". Aus diesem Grund sei es in diesem Amt eine hohe Kunst, nicht nur destruktiv zu wirken. Schlauer sei es, ein mögliches Veto allenfalls ins Schaufenster zu stellen - und ansonsten clever und konziliant aufzutreten. Eine Maxime, an die sich die meisten Landesgruppenchefs allerdings oft nicht hielten, sieht man von Gerda Hasselfeldt ab, der einzigen Frau in der langen Liste.

Die besonderen Vorzüge des Amtes erklären wohl auch, warum viele Landesgruppenchefs, kaum waren sie später Minister geworden, plötzlich unglücklich erschienen. Michael Glos ging das so, er wurde Wirtschaftsminister; Peter Ramsauer ging es kaum besser, er wurde Verkehrsminister. Am schlimmsten aber traf es Hans-Peter Friedrich, der als nachdenklicher Landesgruppenchef begann, dann aber Innenminister werden musste, weil es sonst keiner werden wollte - und scheiterte.

Alexander Dobrindt, so gut kennt man ihn, dürfte diese Geschichten genau studiert haben. Nach einer Niederlage der CSU bei der Landtagswahl könnte - über kurz oder lang - Innenminister Horst Seehofer sein Amt verlieren. Das um Bau und Heimat erweiterte Ressort ist ein Superministerium. Dobrindt beteiligt sich öffentlich nicht an Spekulationen, wer dann Innenminister werden könnte. Eines aber scheint sicher zu sein: Dass es ihn nicht in das Amt drängt. Chef der CSU-Landesgruppe zu sein ist einfach viel schöner.

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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