Steinmeier in Ankara:Diesmal ohne Eklat

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Steinmeier ist schon seit sieben Jahren Bundespräsident, doch in dieser Funktion war er jetzt zum ersten Mal in der Türkei. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Zum Abschluss seiner Türkeireise trifft sich Bundespräsident Steinmeier mit Präsident Erdoğan. Dieser kritisiert Israels Vorgehen in Gaza scharf, verhält sich ansonsten aber ungewohnt diplomatisch.

Von Robert Roßmann, Ankara

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nach einem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die israelische Regierung scharf kritisiert. Erdoğan sagte, im Gazastreifen würden beispiellose Grausamkeiten begangen. Israels Premier Benjamin Netanjahu setze mit dem Vorgehen seiner Armee die Sicherheit der gesamten Region auf Spiel, nur um sich im Amt halten zu können. Gaza sei dem Erdboden gleichgemacht worden - "unsere deutschen Freunde müssen diese tragische Situation sehen", sagte Erdoğan. Die Türkei habe vom ersten Tag des Kriegs im Gazastreifen an ein mutiges Auftreten gezeigt und werde ihre Bemühungen um einen Waffenstillstand fortsetzen.

Steinmeier sagte nach dem Gespräch in Erdoğans Präsidentenpalast, man sei sich über vieles nicht einig. Die Hamas habe bei ihrem brutalen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 mehr als tausend Menschen ermordet. Ohne den 7. Oktober gäbe es den Krieg im Nahen Osten nicht. Die Türkei und Deutschland seien sich aber einig, dass man die Ausweitung des Kriegs zum Flächenbrand in der ganzen Region verhindern müsse. Und dass man sich um humanitäre Hilfe sowie eine Freilassung der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln kümmern müsse. Dabei komme der Türkei "eine ganz wichtige Rolle zu".

In der Türkei wird die Unterstützung Israels durch Deutschland in weiten Teilen der Bevölkerung sehr kritisch gesehen. An mehreren Stationen von Steinmeiers Reise gab es Demonstrationen gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen und die deutsche Regierung. Bisher befeuert Erdoğan die Stimmung in seinem Land allerdings noch zusätzlich. Erst am vergangenen Wochenende hat der türkische Präsident den Hamas-Politbürochef Ismail Hanija freundlich in Istanbul empfangen. Der israelischen Regierung hat er dagegen vorgeworfen, mit dem Krieg in Gaza inzwischen "Hitler übertroffen" zu haben.

Die Türkei könnte bei den Verhandlungen um eine Freilassung der Geiseln vermitteln

In Steinmeiers Delegation zeigte man sich zufrieden darüber, dass sich die Türkei offenbar als Vermittler bei den Bemühungen um eine Freilassung der Geiseln ins Spiel bringen will. Bisher ist hier vor allem Katar engagiert, dessen Bemühungen sind aber ins Stocken geraten. Erdoğan könnte diese Lage jetzt für einen Bedeutungszuwachs der Türkei nutzen, hieß es.

Anlass der dreitägigen Steinmeier-Reise in die Türkei war eigentlich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern vor hundert Jahren. Außerdem wollte der Bundespräsident "seine Wertschätzung für die Lebensgeschichten und Lebensleistungen der Millionen türkeistämmigen Menschen in Deutschland zum Ausdruck bringen". Wegen der veränderten innenpolitischen Lage in der Türkei und der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten standen bei der Reise jetzt aber andere Themen im Mittelpunkt.

Erdoğan hat bei den Kommunalwahlen vor einem Monat eine schwere Niederlage erlitten. Er stand zwar selbst nicht zur Wahl, aber seine AKP ist überraschend auf den zweiten Platz zurückgefallen. Zum ersten Mal seit fast 50 Jahren wurde die säkular-kemalistische CHP stärkste Kraft. Sie stellt nun in den fünf größten Städten des Landes die Oberbürgermeister - also auch in Istanbul und Ankara.

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Steinmeier traf sich auch mit Spitzenpolitikern der säkularen CHP

Steinmeier hat sich bei seinem Besuch bereits auf die neue politische Lage eingestellt. Er traf sich nicht nur mit Erdoğan, sondern auch mit CHP-Chef Özgür Özel und den CHP-Oberbürgermeistern von Istanbul und Ankara. In der Pressekonferenz mit Erdoğan sagte der Bundespräsident, er wünsche der Türkei "eine dynamische, eine demokratische und natürlich europäisch orientierte Entwicklung".

Steinmeier ist schon seit sieben Jahren Bundespräsident, doch in dieser Funktion war er jetzt zum ersten Mal in der Türkei. Treffen mit Erdoğan sind nie einfach. Bei der bisher letzten Reise einen Bundespräsidenten kam es zu einem Eklat. Joachim Gauck hatte 2014 gesagt, er beobachte mit Sorge Tendenzen in der Türkei, den Rechtsstaat zu beschränken. Erdoğan warf ihm daraufhin eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes vor und ätzte, Gauck denke wohl immer noch, ein Pastor zu sein, der predigen müsse. Er solle seine Ratschläge aber besser für sich behalten.

Auch beim Staatsbankett während des Erdoğan-Besuchs in Deutschland 2018 war die Stimmung giftig. Steinmeier hatte damals in seiner Rede die Verfolgung von Regierungskritikern in der Türkei beklagt und darauf hingewiesen, dass es auch deutsche Staatsangehörige gebe, die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert seien. Erdoğan war darüber verärgert. Er warf Deutschland vor, Terroristen nicht zu verfolgen. In der Bundesrepublik würden Tausende PKK-Mitglieder frei und unbehelligt herumlaufen.

Angesichts dieser Vorgeschichte war man in der Entourage des Bundespräsidenten am Mittwoch ausgesprochen erleichtert, dass es bei der Pressekonferenz Steinmeiers mit Erdoğan nicht erneut zu einem derartigen Eklat gekommen ist.

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