Angehörige krimineller Clans sollen in Zukunft auch abgeschoben werden können, wenn sie noch nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sind. Einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung des Ausländergesetzes hatte das Bundesinnenministerium (BMI) in einem Diskussionspapier am vergangenen Donnerstag vorgelegt. Die Behörden könnten damit beispielsweise ein ausländisches, nicht straffällig gewordenes Mitglied der mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebrachten Berliner Familie Abou-Chaker aus Deutschland ausweisen.
Wenn sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ihrem Vorhaben durchsetzen sollte, könnte die Familienzugehörigkeit zumindest Anfangsverdacht für eine Ausweisung aus Deutschland sein. Der Vorstoß des BMI stärke Ressentiments gegen Migrantinnen und Migranten und stigmatisiere sie als "kriminelle Clans", sagt Clara Bünger, Sprecherin der Linksfraktion, der Süddeutschen Zeitung. "Faesers Vorschläge sind völlig indiskutabel und aggressiver Rechtspopulismus." Bünger sieht einen "neuen Tiefpunkt in einer völlig kopflosen Innenpolitik" der Ampelkoalition. Die Vorstellung, man könne Personen ausweisen, die den falschen Nachnamen trügen, sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar.
Übertreibt es die Politik mit dem Thema Clan-Kriminalität?
Auch Tareq Alaows von Pro Asyl hält den Vorschlag für gefährlich. "Wenn man beispielsweise auf Nordrhein-Westfalen schaut, wäre das eine Wiedereinführung der Sippenhaft, die unserer Rechtsordnung grundlegend widerspricht." Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) gilt als Hardliner, wenn es um Clans geht. In einem Bericht seines Ministeriums an den Landtag von 2019 hieß es, "der Einstieg in den Clan ist in der Regel die Geburt". Alaows findet, dass das Thema Clan-Kriminalität politisch größer gemacht werde, als es sei.
Die Sorge bezüglich krimineller Clans könne er zwar verstehen, sagt der Strafrechtsexperte Arndt Sinn von der Universität Osnabrück. Dennoch störe er sich am Vorstoß des BMI "erheblich". Besonders dass Menschen, die selbst keine Straftat begangen haben, abgeschoben werden sollen, bereite ihm Sorgen. "Die Zugehörigkeit zu irgendeiner Familie kann kein Anlass sein, jemanden aus der Gesellschaft zu entfernen." Nicht jedes Mitglied einer Familie, die als Clan gilt, sei kriminell. Und nicht jeder Clan gehe organisierter Kriminalität im Sinne des Bundeskriminalamts nach.
Das BMI lässt über einen Sprecher ausrichten: "Familienzugehörigkeit ist keine kriminelle Aktivität, es braucht immer einen Bezug zu Straftaten." Tatsachen müssten den Schluss zulassen, dass die Person Teil einer kriminellen Vereinigung sei. "Der Rechtsstaat darf sich von der organisierten Kriminalität nicht einschüchtern lassen. Aufenthaltsrechtliche Freiräume dürfen dabei kein Rückzugsort für Kriminelle darstellen", kommentiert Sebastian Hartmann, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, den Vorschlag des BMI, auf dessen Grundlage Bund, Länder und Kommunen eine Gesetzesnovelle erarbeiten wollen. Wann die kommt, ist völlig offen. Fest steht dagegen: Ein Großteil der Clanmitglieder hat die deutsche Staatsbürgerschaft - und kann sowieso nicht ausgewiesen werden.