Agrarpolitik:EU-Kommission will Bauern besänftigen

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Wochenlang protestierten Landwirte in ganz Europa gegen Umweltvorschriften, auch in Brüssel. Sie hatten offenbar Erfolg. (Foto: NICOLAS MAETERLINCK/AFP)

Als Reaktion auf die massiven Proteste sollen die Ökoregeln dauerhaft entschärft werden. So könnte die Pflicht zur Flächenstilllegung für die Landwirte gänzlich entfallen.

Von Michael Bauchmüller und Josef Kelnberger, Brüssel/Berlin

Um den protestierenden Bauern entgegenzukommen, will die EU-Kommission im Eilverfahren die Ökoregeln der europäischen Agrarpolitik entschärfen. Die von Ursula von der Leyen geführte Behörde hat mehrere Gesetzesänderungen erarbeitet, die voraussichtlich an diesem Freitag vorgestellt und noch vor den Europawahlen Anfang Juni verabschiedet werden sollen. Die überwölbende Botschaft: weniger Zwang und weniger Bürokratie, stattdessen mehr Freiwilligkeit.

Unter dem Eindruck massiver Bauernproteste in Brüssel hatten die Agrarminister der 27 Mitgliedsländer Ende Februar die Kommission aufgefordert, Erleichterungen für die Bauern auf den Weg zu bringen. Die Gesetzesänderungen, die nun auf dem Tisch liegen, sind grundsätzlicher Natur. Sie betreffen die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), also die Basis der Landwirtschaftssubventionen aus dem Haushalt der Europäischen Union. Für den Förderzeitraum bis 2027 waren die Ökoregeln verschärft worden, um das Artensterben zu stoppen und den Klimawandel zu bekämpfen. Nun regt die Kommission an, sie in wesentlichen Teilen zu ändern.

Bei den deutschen Bauern am umstrittensten ist die Verpflichtung, vier Prozent ihrer Flächen nicht zu bewirtschaften. Diese Pflicht war zuletzt mehrfach ausgesetzt worden - etwa um angesichts des Krieges in der Ukraine Europas Getreideerträge zu steigern. Erst kürzlich hatte die Bundesregierung die Vorgabe auch für das laufende Jahr gekippt. Nachdem sie den Landwirten die Agrardiesel-Förderung gestrichen hatte, sollte dies die Gemüter wieder etwas beruhigen.

Wer freiwillig Flächen stilllegt, bekommt ab dem ersten Hektar Geld

Nun soll die Verpflichtung gänzlich fallen. Wenn Landwirte dennoch Flächen stilllegen, soll dies künftig schon ab dem ersten Hektar honoriert werden. Bisher gab es diese Förderung in Deutschland nur für Flächen, die jenseits der vier Prozent ungenutzt blieben. Die Brachen sollen vor allem in intensiv genutzten Regionen zumindest einige Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen erhalten.

Detaillierte Vorschriften enthält die GAP bislang auch zum Fruchtwechsel, also zum jährlichen Wechsel der Hauptkultur auf einem bestimmten Ackerland. Dies soll den Böden dienen - wird aber künftig ebenfalls weniger strikt gehandhabt werden. Generell sollen die Mitgliedstaaten die Regeln künftig freier als bislang auslegen dürfen. Auch ein spezielles Signal an kleinere Betriebe enthalten die Vorschläge der Kommission: Wer weniger als zehn Hektar bewirtschaftet, soll nicht mehr kontrolliert werden, ob er die Ökoregeln wirklich einhält. Zur Begründung ihrer Vorschläge erwähnt die Kommission explizit die Bauernproteste, die eine angemessene, schnelle Antwort verlangten. Es gelte, die Landwirte von Bürokratie zu befreien und ihnen zusätzliche Einnahmen zu ermöglichen.

Der CDU-Politiker Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament, unterstützt die Vorschläge ausdrücklich. Die Kommission nehme die Sorgen der Landwirte offensichtlich ernst, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Er fordert nun den grünen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, die Reformen "konstruktiv statt wie bislang destruktiv" zu begleiten, damit das Gesetzgebungsverfahren zügig abgeschlossen werden könne. Viel Zeit bleibt nicht bis zum Ende der Legislaturperiode. Die Mitgliedsländer und das Parlament müssten sich mit der Kommission bis Ende April einigen.

Ein Sprecher des deutschen Landwirtschaftsministeriums wollte sich zu dem Vorstoß am Donnerstag nicht äußern. Bisher hatte das Ministerium allerdings immer betont, wie wichtig ökologische Leistungen in der Landwirtschaft seien - und für deren Finanzierung auch Vorschläge unterbreitet. Die Idee aus Brüssel dürfte damit wohl kaum auf Linie des grünen Agrarministers Cem Özdemir liegen. Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling spricht sogar von einem "Katalog des Grauens". Brachflächen würden geopfert, der Grünlandschutz werde geschwächt. Darunter würden die biologische Vielfalt in Europa und letztlich auch der Klimaschutz leiden.

Auch die Landwirte sind gespalten. Der Bauernverband begrüßte den Vorstoß. "Die vorgeschlagene Flexibilisierung eröffnet unseren Landwirten die Möglichkeit für mehr Wettbewerbsfähigkeit", sagte Generalsekretär Bernhard Krüsken. Allerdings erwarte man noch weitere Entlastungen. Die kleinere Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft dagegen warnte vor Nachteilen. "Die indirekt angestrebte Produktionssteigerung kommt letztlich vor allem der Agrar- und Ernährungsindustrie zugute, weil sie die Erzeugerpreise drückt", sagte ihr Agrarpolitik-Experte Ottmar Ilchmann. Auch der Verzicht auf Naturschutz werde "uns Bauern über kurz oder lang teuer zu stehen kommen".

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